EU-Vorsitz: "Der Spiegel" ortet "Rechtsdrift" in Österreich

EU-Vorsitz: "Der Spiegel" ortet "Rechtsdrift" in Österreich
"Kleiner Brauner": Deutsches Nachrichtenmagazin beschreibt Österreich als "weiteren Testfall in Europa, wie Ungarn, wie Italien".

Das deutsche Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" hat die Übernahme des EU-Ratsvorsitzes durch Österreich per 1. Juli zum Anlass genommen, das Nachbarland in einer Reportage zu analysieren. Unter dem Titel "Kleiner Brauner" heißt es in der am Wochenende erschienenen Ausgabe, in Österreich laufe "ein Großversuch". Es gehe "um die Kraft der Demokratie im westlichen Europa". Es folgen ein paar Auszüge:

"(....) Nun klingt es steil zu sagen: Österreich wackelt. Es wirkt hysterisch zu behaupten, das Land und seine Hauptstadt Wien stünden politisch auf der Kippe, aber ganz und gar falsch ist es auch nicht. Falsch ist es sicher, immerfort einen Rückfall in die Dreißigerjahre zu beschwören, wie das manche Gegner der neuen Regierung tun.

Berechtigt sind aber die Fragen danach [...] Ob das autoritäre Denken noch weiter einsickert in die Gesellschaft.

von aus dem Spiegel Magazin

Berechtigt sind aber die Fragen danach, ob Österreich eine aufgeschlossene, moderne Demokratie bleibt und bleiben will. Ob das autoritäre Denken noch weiter einsickert in die Gesellschaft. Und wie sehr das eigentlich doch recht gemütliche Alltagsleben in Freiheit und Wohlstand durch reaktionären Mutwillen verdorben wird.

Das ganze Bild ist noch nicht erkennbar, aber es liegen schon einige bemerkenswerte Puzzlestücke herum. Der Vizekanzler der Republik Österreich ist jetzt ein Mann, zu dessen 'Jugendsünden' ausgiebige Freizeitaktivitäten mit kriminellen Neonazis gehören. Ein Mann, der, seit er längst erwachsen ist, via Facebook tagtäglich ein Millionenpublikum mit engstirnigen, übelmeinenden, fremdenfeindlichen Postings und Fake News versorgt, mit gefälschten Karikaturen, ungeprüften Behauptungen, vorsätzlichen Täuschungen, mit plumper Juristen- und Journalistenschelte.

Ein weiterer Mann der FPÖ ist seit diesem Winter Innenminister der Republik Österreich, der von 2005 bis 2018 Generalsekretär der Partei war und also verantwortlich für Wahlwerbeslogans wie 'Asylbetrug heißt Heimatflug', 'Abendland in Christenhand' oder, stramm und kunstlos: 'Die Islamisierung gehört gestoppt.'

Als Minister ordnet dieser Mann nun Razzien in staatlichen Behörden an, hält Referate darüber, dass 'eine restriktive Asylpolitik berechtigtes Anliegen der Bevölkerung' sei, und er hat gesagt, dass in Österreich eine 'Infrastruktur' zu schaffen sei, 'wo es uns gelingt, diejenigen, die in ein Asylverfahren eintreten, auch entsprechend konzentriert an einem Ort zu halten'. Hat er Konzentrationslager gesagt? Nein. Hat er es gemeint? Und was sollten Öffentlichkeit und Wahlvolk verstehen.

Österreich ist jetzt ein weiterer Testfall in Europa, wie Ungarn, wie Italien, auch wie Großbritannien. Das kleine Land, das im Kalten Krieg zwischen Ostblock und NATO-Staaten stets auf seiner Neutralität beharrte, hat kulturell und politisch doch zweifellos zur Familie des Westens gehört, aber diese Gewissheit steht infrage. Es hat den Anschein, dass viele Österreicherinnen und Österreicher des mühseligen Aushandelns von Kompromissen derart überdrüssig geworden sind, dass sie sich autoritären Vorbildern zuwenden. (...)"

Zum Text auf Spiegel Online

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