Nach nächtlichem Ringen: EU einigt sich auf abgeschwächtes Klimaziel
Windkraftwerk vor Braunkohlekraftwerk.
Zusammenfassung
- Die EU-Umweltminister haben ein abgeschwächtes Klimaziel für 2040 beschlossen: 90 Prozent weniger Treibhausgase gegenüber 1990, davon bis zu fünf Prozentpunkte durch Zertifikate aus Drittstaaten.
- Der Start des neuen Emissionshandels für Verkehr und Gebäude wird auf 2028 verschoben, und das Klimaziel enthält eine Revisionsklausel für mögliche Anpassungen.
- Das Klimaziel wurde nach langen Verhandlungen und kontroversen Diskussionen um Wirtschaft, Arbeitsplätze und internationale Gutschriften festgelegt und stößt auf Kritik, insbesondere von den Grünen.
Die EU-Staaten haben förmlich ihr Klimaziel für 2040 beschlossen und damit kurz vor dem Weltklimagipfel in Brasilien ihre Verhandlungsposition festgelegt. Die Umweltminister der EU-Mitgliedstaaten billigten am Mittwoch in Brüssel einen in der Nacht erzielten Kompromiss. Demnach soll der Ausstoß von Treibhausgasen um 90 Prozent im Vergleich zu 1990 sinken. Dieses Ziel wurde aber in letzter Minute abgeschwächt. Bis zu fünf Prozentpunkte der Einsparungen können durch den Kauf von Klimazertifikaten in Drittstaaten erbracht werden, womit die Emissionen in der EU faktisch nur um 85 Prozent sinken müssten.
Zudem wird der Start des neuen Emissionshandels für Verkehr und Gebäude (ETS2) um ein Jahr auf 2028 verschoben. Dem Beschluss waren mehr als 18-stündige Verhandlungen der EU-Umweltminister vorausgegangen. Die EU-Kommission hatte ursprünglich eine strengere Regelung bei den Zertifikaten vorgeschlagen. Mit der Einigung will die EU nun eine gestärkte Position auf dem am Donnerstag beginnenden Klimagipfel COP30 einnehmen.
Neben Österreich soll sich dem Vernehmen nach zuletzt vor allem auch Rumänien quergelegt haben. Das diskutierte EU-Klimaziel 2040 sieht eine Reduktion des Treibhausgas-Ausstoßes bis 2040 um 90 Prozent im Vergleich zu 1990 vor. Totschnig bezeichnete das bei seinem Eintreffen in Brüssel als "sehr ambitioniert". Auf Journalistennachfrage bezüglich der Rahmenbedingungen nannte Totschnig unter anderem eine Verlängerung der Frist für Gratis-Zertifikate im Rahmen des Emissionshandels, Flexibilität beim Carbon Management oder auch einen "verpflichtenden Netto-Null-Pfad für alle Mitgliedsländer".
Nicht nur das Klima: Auch Wirtschaft und Arbeitsplätze sind Themen
Es gehe bei der Thematik nicht nur um das Klima, sondern auch um den Wirtschaftsstandort, die Erhaltung des Wohlstands, die Sicherung von Arbeitsplätzen und um Ernährungssicherheit. "Es gibt Nachbesserungsbedarf", unterstrich Totschnig. Man müsse die Klimaneutralität mit Rahmenbedingungen erreichen, "die solide sind", so der Minister. In der öffentlichen Sitzung des Ministerrats am Vormittag verlangte Totschnig bezüglich der Verlängerung der Frist für Gratis-Zertifikate "ein klares Bekenntnis im Text".
Uneinigkeit über "internationale Gutschriften"
Der deutsche Umweltminister Carsten Schneider machte sich in der öffentlichen Sitzung für eine Entscheidung stark, "die Nachhall in der Welt hat". In Bezug auf die "internationalen Gutschriften" - es soll zulässig sein, einen Teil der Reduktion der Treibhausgas-Emissionen über Maßnahmen in Nicht-EU-Ländern zu erreichen - sprach sich Schneider für eine Höchstgrenze von drei Prozentpunkten aus, während die französische Ministerin Monique Barbut feststellte: "Wir akzeptieren nichts unter fünf Prozent." Tschechien, Ungarn oder auch die Slowakei gaben sich grundsätzlich skeptisch bezüglich des Klimaziels. 90 Prozent seien nicht erreichbar, so die ungarische Politikerin Aniko Raisz. Sie kündigte an, "den Text nicht zu unterstützen".
Kommissionsvertreter Wopke Hoekstra erkannte am Ende des ersten Teils der öffentlichen Sitzung zu Mittag eine "deutliche Mehrheit für das, was auf dem Tisch liegt". Lars Aagaard als Vertreter des dänischen Ratsvorsitzes sah eine "breite Mehrheit, die heute einen Deal erreichen möchte, wir sind aber noch nicht dort angelangt".
Klimaziel 2040 mit "Revisionsklausel"
Zuletzt hatte sich beim EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs Ende Oktober die Haltung abgezeichnet, dass das von der EU-Kommission angestrebte Ziel akzeptiert werden könnte. Im Gegenzug werden die Maßnahmen zur Zielerreichung wohl weniger streng ausfallen als ursprünglich erwartet - es also in die Richtung gehen wird, die Totschnig verlangt.
So ist etwa an eine Aufweichung des Emissionshandels gedacht, auch das für 2035 anvisierte "Verbrenner-Aus" wird neu diskutiert - auch wenn diese Themen am Dienstag nicht auf der Tagesordnung stehen. Überhaupt soll in das Klimaziel 2040 eine "Revisionsklausel" eingebaut werden. Für die Wissenschaft stellt eine Absenkung der CO2-Emissionen um 90 Prozent bis 2040 das absolute Minimum dar.
Beschluss überfällig
Der Beschluss für das EU-Klimaziel 2040 ist angesichts der Weltklimakonferenz (COP30) im brasilianischen Belém (10. bis 21. November) überfällig. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EU-Ratspräsident Antonio Costa werden persönlich nach Südamerika reisen und dort die Interessen der EU vertreten. Totschnig drückte sich so aus: "Europa darf nicht mit leeren Händen nach Belém reisen."
Gelingt eine Einigung auf ein Klimaziel 2040, wird auch das EU-Ziel für 2035 daraus abgeleitet. Einer Absichtserklärung der Länder zufolge wird ein Reduktionswert zwischen 66,25 und 72,5 Prozent im Vergleich zu 1990 angestrebt. Für einen diesbezüglichen Beschluss muss aber - anders als beim Zielwert für 2040 - Einstimmigkeit herrschen. Ein Zielwert für 2035 ist auch deshalb von großer Bedeutung, weil bei der COP30 über die weltweiten Klimaziele für 2035 verhandelt wird. Die Klimaziele sind Teil des 2015 geschlossenen Pariser Klimaschutzabkommens, das die globale Erwärmung möglichst auf 1,5 Grad Celsius beschränken möchte - auch wenn UNO-Generalsekretär António Guterres selbst vor wenigen Tagen das Verfehlen des 1,5 Grad-Ziels in den kommenden Jahren bereits als "unvermeidlich" bezeichnet hat.
Scharfe Grüne Kritik
Die Grüne Europaabgeordnete Lena Schilling übte scharfe Kritik an der österreichischen Haltung und am Vorgehen von Umweltminister Totschnig: "Was die österreichische Bundesregierung heute auf EU-Ebene abgeliefert hat, war ein peinliches PR-Spiel." Wochenlang sei von Mitgliedern der Bundesregierung aus ÖVP, SPÖ und Neos "groß versprochen" worden, hinter dem Klimaziel von 90 Prozent zu stehen - "nur um im letzten Moment mit vorgeschobenen Forderungen aufzutreten und die Verhandlungen bis zum letzten Moment zu blockieren".
Der Dienstag habe viele Hintertüren gebracht und werde Milliarden an Steuergeldern für Verschmutzungszertifikate kosten. "Dieses Geld fehlt bei Investitionen in den Ausbau der Erneuerbaren, den Naturschutz und niedrigere Energiekosten für Bürgerinnen und Bürger", so Schilling.
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