EU-Kommissar Hahn: "Türken unter Flüchtlingen"
KURIER: Herr Kommissar, Bundespräsident Van der Bellen fordert ein neues Narrativ für die EU, eine positive Erzählung. Was muss die EU dafür tun?
Johannes Hahn: Die EU ist eine soft power, aber attraktiv, weil wir Wohlstand, Frieden und Freiheit haben. Diese Kraft sollte die EU für ihr globales Auftreten nützen. Im Budget-Entwurf der Kommission kommt das klar zum Ausdruck. Den Budgetplan habe ich mitverhandelt und in der Außenpolitik entscheidend mitgeprägt. Die Schwerpunkte Westbalkan, Europäische Nachbarschaftspolitik sowie Unterstützung und Afrika haben budgetäre Zuwächse zwischen 20 und 24 Prozent. Damit sichern wir Stabilität in der Nachbarschaft, was Sicherheit innerhalb der EU und globale Wettbewerbsfähigkeit bedeutet. Es geht um eine „Weltpolitikfähigkeit“ der EU, wie es Präsident Juncker treffend formuliert hat.
Dafür ist die EU zu zerstritten.
Schauen Sie die Weltkarte an: Europa ist ein Kap des asiatischen Festlandes. Dieser Fleck Erde ist der mit Abstand stärkste und attraktivste Markt weltweit. Um eine stärkere Rolle als globaler player zu spielen, muss die EU vom Einstimmigkeitsprinzip in der Außenpolitik wegkommen.
Bundeskanzler Kurz findet den Budget-Entwurf „inakzeptabel“. Was sagen Sie ihm?
Ich appelliere an alle Mitglieder, nicht nur nachzurechnen, was es kostet, sondern auch, was es es den Bürgern im Hinblick auf Wohlstand, Stabilität und Friedenssicherung bringt. Wir sollten alle gemeinsam eine Vision haben, wie wir die Zukunft der EU gestalten, denn das Budget ist ja in Zahlen gegossene Politik. Ich bin stolz, dass wir etwa Erasmus verdoppeln und einen dreistelligen Betrag für Innovation vorgesehen haben. Wir planen auch eine bedeutende Aufstockung im Bereich der Grenzsicherung, ein großes Anliegen Österreichs. Diese Nettozahler und Netto-Empfänger-Sichtweise wird der Komplexität des EU-Budgets nicht gerecht und kann daher in dieser Form nicht mehr angewandt werden.
Sie sind Vizechef der Europäischen Volkspartei. Kürzlich gab es ein Krisentreffen mit Viktor Orbán. Was kam dabei heraus?
Ich hoffe, er begreift, dass es nicht hilfreich für Ungarn ist, immer isoliert zu sein. Ich beobachte, dass von Ungarn sinnvolle Vorschläge kommen, sie werden aber gleich ignoriert, weil sie von Orbán kommen. Wenn er etwas bewirken will, sollte er moderater und kooperativer sein. Dann wird er mehr erreichen.
2019 wird das EU-Parlament neu gewählt und die Kommission bestellt. Sind sie für das Spitzenkandidaten-System?
Wenn Spitzenkandidaten wahlkämpfen, kommt es zu intensiveren Debatten und stärkeren Personalisierung. Man hat Menschen vor Augen, nicht nur EU-Gebäude.
Budget, Westbalkan, Brexit, Grenzsicherung sind zentrale Themen des EU-Vorsitzes Österreichs. Kann die Regierung mit ihrer starren Budget-Haltung den ehrlichen Makler spielen?
Die inhaltlichen Schwerpunkte tragen aktuellen Erfordernissen Rechnung. Die Sicherung der EU-Außengrenzen beginnt aber weit vor den Außengrenzen. Man kann keinen lückenlosen Cordon schaffen. Migration muss vor Ort angegangen werden. Deswegen ist ein starker finanzieller Auftritt der EU in Afrika so wichtig.
Starten Albanien und Mazedonien bald EU-Verhandlungen?
Die Kommission empfiehlt, das Mandat heuer zu erteilen. Dafür ist der einstimmige Beschluss der Mitglieder erforderlich. Wenn Länder die mit ihnen vereinbarten Aufgaben erfüllen, müssen auch wir zu unseren Zusagen stehen. Es geht mir um den strategischen Ansatz: Entweder wir exportieren Stabilität oder wir importieren Instabilität.
Es kommen wieder mehr Flüchtlinge aus der Türkei in Griechenland an. Hält der Pakt?
Ja. In den vergangenen Wochen sind mehr Flüchtlinge gekommen, ich lese darin aber noch keinen Trend ab. Was auffällt ist, dass sich darunter türkische Staatsbürger befinden. Generell ist ein Ende der Flüchtlingsbewegungen noch nicht absehbar.
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