Ja, es geht um das gute Leben. Das wird natürlich in der Philosophie unterschiedlich gesehen, was das bedeutet.
Wie geht das Unterrichten in Klassen mit Kindern unterschiedlichster Herkunft?
Die Schülerinnen und Schüler haben natürlich unterschiedliche Ansichten, Moral- und Wertvorstellungen. Im Unterricht wollen wir aber den Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit geben, sich damit auseinanderzusetzen, ihre Haltung zu reflektieren, über das Leben zu philosophieren.
Das heißt, die Schülerinnen und Schüler sollen ihre Moralvorstellungen und Werte infrage stellen?
Natürlich.
Besteht da nicht die Gefahr, Kinder zu indoktrinieren?
Das würde ich vehement verneinen. Lehrerinnen und Lehrer sind sehr wohl in der Lage zu differenzieren zwischen ihren eigenen Wertvorstellungen und ethischen Theorien; im Ethikunterricht werden Diskurse genau über diese Fragen geführt. Und es wird niemanden indoktriniert.
Warum wurde dann das Indoktrinationsverbot extra ins Gesetz geschrieben?
Die Einführung des Ethikunterrichts ist lange Zeit sehr kontrovers diskutiert worden und es mussten viele Befürchtungen ausgeräumt werden. Ziel des Ethikunterrichtes ist nicht Meinungen zu reproduzieren, sondern wir versuchen gemeinsam die wichtigsten Fragen des Lebens zu diskutieren. Als Grundlage dafür haben wir die Philosophie, Psychologie, Soziologie, die Geschichte und vieles mehr. Wir erfinden das Rad nicht neu – Liebe, Glück, Tod, sind seit Menschengedenken wesentliche Fragen, die sich nicht geändert haben. Geändert haben sich die Antworten, das schon. Aber ich gebe kein Ziel aus, welche Haltung oder Meinung alle zum Schluss haben sollen.
Und wenn ein Schüler sagt: Männer sind mehr wert als Frauen?
Naja, das ist kein Naturgesetz, sondern Ausdruck einer patriarchalischen, paternalistischen Gesellschaftsordnung. Aufgabe des Ethikunterrichts wäre es, das zu reflektieren, warum es zu so einer Haltung kommt. Zum Glück können wir uns da auf eine Jahrtausende alte Philosophie stützen.
Haben Jugendliche heute einen anderen Fokus als noch vor zehn oder zwanzig Jahren, sind sie abgestumpfter?
Abgestumpft sind sie überhaupt nicht, nein. Außerdem hat sich schon Sokrates über die Jugend beschwert. Mein Eindruck ist eher, dass es sehr viele engagierte Jugendliche gibt, die einen gesellschaftlichen und politischen Beitrag leisten wollen. Die Probleme sind sicher andere geworden. Ich finde es ja wunderbar, wenn sich junge Menschen engagieren, für Klimaschutz etwa oder Umweltschutz oder Tierethik.
Hatten Sie je Probleme mit Eltern bekommen, wenn ein Kind daheim dann sagt: Ich will wegen des Klimas nicht auf die Malediven fliegen oder kein Fleisch essen?
Das wäre ja schön, wenn dann daheim diskutiert wird, ob es wirklich die Malediven sein müssen, oder es nicht auch Alternativen gibt. Da hätten wir doch sehr viel bewirkt. Es gibt ja keine Vorschriften, außer den demokratischen Grundrechten, über alles andere müssen wir diskutieren können.
Kommen da zum Schluss nicht lauter junge linke Ökoaktivistinnen und -aktivisten heraus?
Das war ganz am Anfang eines der Vorurteile über den Ethikunterricht, dass da lauter linke Terroristen herauskommen. Es geht um eine grundsätzliche Diskussion, wie wir unser Handeln verändern können/müssen, damit auch unsere Kinder und Jugendlichen eine lebenswerte Welt vorfinden.
Der Ethikunterricht ist nur Pflicht, wenn man sich vom Religionsunterricht abmeldet. Ein guter Kompromiss?
Nein, es sollte ein Pflichtfach für alle sein. Im Schulgesetz steht, Aufgabe der Schule ist es, mitzuwirken, Schülerinnen und Schüler zu kritischen Bürgerinnen und Bürgern nach den Werten des Wahren, Guten und Schönen zu bilden. Wenn wir in der Schule aber zu segregieren beginnen, werden wir viele Probleme, die wir heute haben, nicht lösen. Wir sollten aber versuchen, gemeinsam daran zu arbeiten, eine bessere Gesellschaft für alle zu machen.
Steht Ethik in Konkurrenz zum Religionsunterricht?
Nein, der Glaube wird den Schülerinnen und Schülern ja nicht genommen. Es sind einfach unterschiedliche Bereiche. Jede/r soll glauben, was sie/er will.
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