Erwin Pröll: "Mit Franz Vranitzky verstand ich mich am besten"

Sissy Pröll hat sich ein E-Bike gekauft, damit sie mit Erwin Pröll bei Radtouren mithalten kann.
Zum Rücktritt spricht das First Couple Niederösterreichs, wie die Entscheidung über den Ausstieg aus der Politik gefallen ist. Und Sissy Pröll erzählt erstmals über private Gerüchte und wie sie das Dirty Campaigning wegsteckte.

KURIER: Frau Pröll, bei der Entscheidung, ob Ihr Mann zur Bundespräsidentenwahl antritt oder nicht, haben Sie sich nicht eingemischt. Beim Rücktritt scheint es eine Familienentscheidung gewesen zu sein. Wie viel Einfluss hatten Sie auf diesen Schritt?

Sissy Pröll: Eingemischt habe ich mich auch dieses Mal nicht. Aber es war absehbar, wenn man den 70. Geburtstag feiert, dass man sich im 72. Lebensjahr der Wahl nicht nochmals stellt.

Erwin Pröll: Es war ein Reifeprozess, der fast ein Jahr gedauert hat. Diese Entscheidung habe ich mir nicht leicht gemacht. Denn jeder, der mich kennt, weiß, mit viel Freude ich Politik gemacht habe. Dazu kamen viele auf mich zu, und mich gebeten haben, weiterzumachen. Da wurden zwei Pole in mir wach. Das eine war die persönliche Leidenschaft für die Politik und der zweite Pol ist die Verantwortung für das Land. Sich im 72. Lebensjahr nochmals in einen Wahlkampf zu begeben, ist problematisch. Da habe ich dann erkannt, dass ich mich in einer Situation befinde, wo man sich selber zurücknehmen muss. Einfach, um dem größeren Ganzen eine Chance zu geben. Im Dezember hat sich diese Entscheidung in mir manifestiert. Am 26. Dezember feierte ich mit meiner Familie meinen 70. Geburtstag. Am Mittagstisch informierte ich meine Kinder über die Entscheidung. Das Schöne an der Situation war, es herrschte volle Harmonie innerhalb der Familie.

Wenn der Reifeprozess ein Jahr dauerte. Wie schwer fällt Ihnen das Loslassen?

Erwin Pröll: Die Frage bekomme ich im Moment sehr oft gestellt. Ich hatte ein Aha-Erlebnis. Weder ist eine Last von mir gefallen, noch habe ich damit ein Problem. Ich bin innerlich klar und rund. Das ist wahrscheinlich das Ergebnis dieses doch relativ langen Reifungsprozesses.

Frau Pröll, es beginnt nun ein neuer Lebensabschnitt. Gibt es schon Pläne?

Sissy Pröll: Für mich wird es eine riesige Herausforderung. Denn mein Mann möchte ja viel Zeit am Rad verbringen. Nachdem ich konditionell nicht so fit wie er bin, habe ich mir ein E-Bike gekauft, damit ich mit ihm mithalten kann. Meine Unsicherheit am Rad muss ich noch ein wenig bezwingen. Einige Routen wie den Ybbstal-Radweg möchte ich unbedingt absolvieren.

Wie wird es die Beziehung verändern, wenn man sich statt zwei Mal pro Woche nun täglich sieht?

Sissy Pröll: So war es ja nicht.

Erwin Pröll: Wir haben uns täglich gesehen.

Sissy Pröll: Das gemeinsame Frühstück war unsere tägliche gemeinsame Zeit. Hier haben wir alle Probleme besprochen und auch die gemeinsamen Termin für die kommenden Tage. Als die Kinder aus dem Haus waren, habe ich meinen Mann zu vielen Events begleitet.

Kommt nun die Zeit der Wiedergutmachung?

Erwin Pröll: Ich habe nichts wiedergutzumachen. Unser Sohn Stefan hat bei einer privaten Geburtstagsfeier Folgendes gesagt: Es kommt nicht auf die Bruttozeit an, sondern auf die Intensität der Nettozeit. Und unsere Nettozeit war unglaublich intensiv. Deswegen werden wir überhaupt kein Problem haben, wenn die Nettozeit eine größere wird. Wir werden ohne Zeitdruck im Mai Urlaub in Opatija machen. Mit Gunnar Prokop und Franz Stocher werde ich eine Woche in Mallorca radfahren gehen.

Wie werden Sie Ihr politisches Leben nach der Zeit als Landeshauptmann halten?

Erwin Pröll: Ich werde mich nicht aus dem gesellschaftlichen Leben wegbeamen. Aber ich habe nicht vor, nach meiner Zeit als Landeshauptmann große, gescheite Reden zu halten. Das Einzige, was ich anbiete, dass ich meine Erfahrung, wenn es gewünscht ist, gerne einbringe.

Was war in den letzten 25 Jahren das größte Opfer, das Sie als Ehefrau erbringen mussten, damit Ihr Mann Karriere machen kann?

Sissy Pröll: Das muss ich nachdenken. Denn ich habe es nie als Opfer empfunden. Es ist nicht so, wie man glaubt, dass der Mann von sechs in der Früh bis Mitternacht unterwegs ist. Wir haben es geschafft, einen Tag pro Woche gemeinsam zu verbringen. Nach den vier Kindern habe ich wieder zum Arbeiten begonnen. Man darf nicht warten, dass man von außen unterhalten wird und man muss sich auch selber auf die Beine stellen und die Eigenständigkeit bewahren. Das habe ich gut geschafft.

Herr Pröll, was werden Sie am meisten vermissen?

Erwin Pröll: (denkt nach). Möglicherweise meinen Terminkalender (lacht). So komisch das auch klingen mag. Das höre ich von vielen, die diesen Schritte, der nun vor mir steht, schon hinter sich haben. Viele ehemalige Politiker haben mir erzählt, dass sie anfangs irritiert waren, weil der Terminkalender nicht mehr beschrieben war. Momentan kann ich mir das zwar nicht vorstellen, weil ich vollkommen ausgeglichen bin. Erst vor wenigen Tagen wurde ich von einem Freund gefragt, ob ich mich schon innerlich darauf eingestellt habe, dass ich in wenigen Wochen nicht mehr nach dem Terminkalender leben werde? Das scheint für viele ein Problem zu sein. Ich hoffe sehr, dass ich innerlich so rund bleibe ,wie ich mich im Moment fühle. Es wird sicherlich der eine oder andere Tag kommen, wo der Abschied schmerzt. Was ich wirklich vermissen würde, wenn Freundschaften wie mit dem Peter Kirchweger (langjähriger Wegbegleiter von Pröll), mit dem ich dieses Jahr die silberne Hochzeit der Mitarbeit feiern würde, nicht weiter bestehen. Wenn mich Peter ein Monat lang nicht anruft...

Sissy Pröll: Das wäre ein Drama.

Erwin Pröll: Das wäre ein echter Entzug für mich. Aber wissen Sie, worauf ich am meisten freue? In wenigen Wochen kann ich mir aussuchen, wohin und zu wem ich gehen will und zu wem nicht.

Ein prominenter Politiker hat bei seinem Ausscheiden aus der Politik einmal in einem Interview zu mir gesagt: "Er freut sich darauf, nun unwichtig zu werden. Kann sich ein Machtmensch, wie Sie es sind, auch auf diese Tatsache freuen?

Erwin Pröll: Sie gehören auch zu jenen Menschen, die meine Wichtigkeit überschätzen (lacht). Wissen Sie, was für mich das Wichtigste ist? Dass ich für meine Familie und für meine Enkeln, deren "Opsi" ich bin, wichtig bleibe.

Ich meinte politisch ...

Erwin Pröll: Sie haben gar keine Ahnung, mit welcher Leichtigkeit ich nun die Tageszeitungen lese und was ich mir dabei alles denken kann, ohne reagieren zu müssen (lacht). Vor wenigen Tagen bekam ich einen Anruf von einem ehemaligen niederösterreichischen Landesrat. Er hat mir eines prophezeit: "Du wirst ab jetzt sehr viel gewinnen. Denn du wirst dein Leben wiedergewinnen." Auf das setze ich.

Frau Pröll, Dirty Campaigning gehört zum politischen Geschäft. Über Ihren Mann sind in den vergangenen zwei Jahren viele Gerüchte verbreitet worden, die Ihre Ehe betreffen. Wie steckt man das als Ehefrau weg?

Sissy Pröll: Dieses Gerücht hat unsere Familiensituation betroffen. Darüber wurde in keinem Medium geschrieben, aber durch Mundpropaganda wurde es österreichweit bekannt. Trotzdem ging es mir eigentlich sehr gut.

Warum? Der umgekehrte Gefühlszustand wäre die Normalität ...

Sissy Pröll: Weil ich sicher war, dass es nicht stimmt. Man soll zwar nie für einen Mann die Hand ins Feuer legen, ich tue es für meinen Mann.

Erwin Pröll: Für eine Frau soll man das auch nicht tun (lacht).

Sissy Pröll: In dieser Situation habe ich mich manchmal über mich selbst gewundert, angesichts dessen, was da alles getrascht und an mich herangetragen wurde. Das hat mich, uns beide und die ganze Familie stark gemacht. Denn nicht nur ich bin die Leidtragende, sondern auch die Kinder. Wenn die Eltern so verleumdet werden, tut das den Kindern unheimlich weh. Selbst unser ältestes Enkelkind hat das Gerücht gehört. Letztendlich hat diese Zeit die Familie noch mehr zusammengeschweißt.

Mit welchem SPÖ-Kanzler haben Sie sich am besten verstanden?

Erwin Pröll: Mit Franz Vranitzky und über einen langen Zeitraum mit Werner Faymann. Allerdings kann ich mir vorstellen, dass Werner Faymann und ich das wieder in den alten Zustand bringen. Er hat mir am Mittwoch eine SMS geschickt, wo er mir vorgeschlagen hat, ob wir nicht einmal wieder Mittagessen gehen wollen. Ich habe geantwortet: "Das würde ich gerne tun." Mit Franz Vranitzky war das Verhältnis sehr freundschaftlich, aber auch auch von einem gewissen gegenseitigen Respekt geprägt. Zum 70. Geburtstag habe ich einen Brief von Vranitzky bekommen, der mich sehr bewegt hat. Als ich den Brief las, dachte ich mir, das ist ein Mann von einer staatspolitischen Größe.

Erwin Pröll: "Mit Franz Vranitzky verstand ich mich am besten"
Doppelinterview mit Landeshauptmann Erwin Pröll und seiner Ehefrau Elisabeth Pröll am 20.01.2017 in St.Pölten. Pröll wird im März als Landesparteiobmann der ÖVP zurückzutreten und in der darauffolgenden Landtagssitzung auch das Amt als Landeshauptmann zurückzulegen.
Sie sind seit über 40 Jahren verheiratet, haben vier Kinder und viele Gerüchte überstanden. Was ist das Geheimnis Ihrer Ehe?

Sissy Pröll: Uns geht der Gesprächsstoff nie aus. Das hält eine Ehe lebendig. Wir beobachten sehr oft, dass viele Paare auf den Nebentischen im Restaurant sich nichts mehr zu sagen haben. Und wir können unglaublich viel lachen miteinander. Die Ehe muss auch lustig sein. Es gibt keinen Tag, wo wir nicht miteinander lachen.

Waren Sie auch ein politischer Mensch? Wurde im Hause Pröll politisiert?

Sissy Pröll: Es gab ein Gesetz, wenn mein Mann nicht von selbst über Politik begonnen hat zu sprechen, habe ich dieses Thema nicht aufgriffen. Wenn er nach Hause kam, war das Erste, was mein Mann machte, dass er sich umgezogen hat. Da hat er die Last des Arbeitstages abgestreift und in den Alltag eingestiegen. 1968 war ich 18 Jahre alt, da kann man gar nicht unpolitisch sein, wenn man die 68er bewusst miterlebt hat.

Wie viel Prozent Ihrer Karriere haben Sie Ihrer Frau zu verdanken?

Erwin Pröll: 80 Prozent (Sissy Pröll lacht). Ich sage Ihnen auch, warum. Wenn meine Frau nicht so tolerant gewesen wäre, wäre ich gar nicht in die Politik gekommen. 1979 hat mich der damalige Landeshauptmann Andreas Maurer überraschend angerufen und mich um ein Gespräch gebeten. Ich hatte schlotternde Knie vor dem Termin, weil ich nicht wusste, was er von mir will. Er bot mir einen Posten als Agrarlandesrat an. Ich fiel aus allen Wolken. Maurer sagte zu mir: "Du musst nicht gleich antworten. Fahr heim und frag’ deine Frau, ob sie will, dass du kein Wochenende mehr zu Hause bist." Ich fuhr sofort heim. Sissy stand in der Küche und sagte ihr: "Sissy, ich war jetzt grad beim Maurer. Er will, dass ich in die Landesregierung komme. Und ich soll dich fragen, ob es dir recht ist, wenn du mich kein Wochenende mehr siehst." Sissy antwortet: "Willst es du? Dann mache es. Denn wenn du glücklich bist, dann ist es die Familie auch." Wenn meine Frau nicht so tolerant gewesen wäre, wäre ich nicht die Politik gegangen. Rückblickend täte mir das sehr leid, denn in den 37 Jahren gab es keine einzige Minute, die ich bedauern würde.

Angesichts dieser Tatsache, war der Zeitpunkt des Rückzuges nicht falsch gewählt, weil er unwillkürlich mit dem Falter-Artikel über die Erwin-Pröll-Stiftung in Zusammenhang gebracht wird?

Erwin Pröll: Die Stiftung ist korrekt und hat Menschen geholfen. Dazu stehe ich. Wird sie eines Tages rückblickend erwähnt, dann steht bei den Vorwürfen schon erwiesene Verleumdung. Das ist also eher das Problem des gelenkten Journalismus als meins.

Porträt in Bildern

Das Ehepaar Pröll lernte sich vor mittlerweile 47 Jahren in einem Studentenheim kennen. Der Kennenlerntag am 4. September wird jedes Jahr gefeiert. Sissy Pröll ist gelernte Kinderkrankenschwester. Als sie die vier Kinder (3 Söhne, 1 Tochter) aufzog, war sie Hausfrau und Mutter. Danach begann sie wieder als Krankenschwester zu arbeiten.

„Damals musste ich mir oft anhören, dass ich als Frau des Landeshauptmann einer anderen Frau den Job wegnehme. Heute ist es selbstverständlich, dass die Frauen der Politiker arbeiten.“ Seit 2011 ist Sissy Pröll Präsidentin des Vereins „Hilfe im eigenen Land“. Opfer, findet Sissy Pröll, musste sie für die Karriere ihres Mannes nie erbringen. „Ich durfte dadurch viele interessante Menschen kennenlernen.“

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