Gesetzeslücke bringt Strasser Etappensieg

Im Wiener Landesgericht spielte Strasser eine Art James Bond, der Geheimagenten enttarnen wollte. Die Richter glaubten ihm die Story nicht.
Der OGH weist den Korruptionsfall an die erste Instanz zurück - das Verfahren wird neu aufgerollt.

In einem Punkt hat Ernst Strasser recht, als er noch vor Verkündigung des Urteilsspruchs proklamierte: „Richter verurteilen einen ja nicht einfach so zu vier Jahren Haft. Was ist da falsch gelaufen?“

Nein, nicht einfach so. Der ehemalige ÖVP-Innenminister und EU-Abgeordnete hat von zwei als Lobbyisten getarnten britischen Journalisten bzw. deren vermeintlichen Auftraggebern 100.000 Euro im Jahr dafür gefordert, dass er auf die EU-Gesetzgebung Einfluss nimmt. Er war grundsätzlich bereit, sich für ein pflichtwidriges Amtsgeschäft schmieren zu lassen. „Daran gibt es nichts zu rütteln“, verkündete am Dienstag der Präsident des Obersten Gerichtshofes (OGH), Eckart Ratz, als Vorsitzender eines Berufungssenats.

Daran vermag nichts zu ändern, dass Strasser nach wie vor „nicht getan, nicht gewollt und nicht versucht“ haben will, was ihm vorgeworfen wird. Und auch nicht, dass er den Höchstrichtern mit einer Expertise der Strafrechtsprofessoren Helmut Fuchs und Peter Lewisch kommt, wonach das Urteil falsch und die Strafe exzessiv streng sei. „Die Tatfrage ist geklärt“ und das Urteil in dieser Hinsicht „mängelfrei“, erklärte Eckart Ratz.

Die Frage ist nur: Wofür genau hat Strasser das Geld gefordert? Für welche konkrete Intervention?

Entschärfung

Für zwei Richtlinien, den Anlegerschutz und die Entsorgung von Elektroschrott betreffend, die der Finanzwelt und den Unternehmern Kopfschmerzen bereiteten? Sie waren bei den heimlich gefilmten Treffen zwischen Strasser und den angeblichen Lobbyisten Thema. Strasser wollte sich dafür einsetzen, die Richtlinien im Sinne der Auftraggeber entschärfen zu lassen. Das wird im Urteil des Erstgerichts zwar erwähnt, aber nicht konkret als Gegenleistung für die Zahlung der 100.000 Euro festgestellt und gewürdigt.

Diesen Mangel hat der OGH von sich aus aufgegriffen. Man mag darin eine Spitzfindigkeit sehen, aber das Höchstgericht „muss von Amts wegen einschreiten, wenn es materielle Rechtsfehler entdeckt“ (Ratz). Deshalb wurde das Urteil aufgehoben und die Strafsache zur Prozesswiederholung ans Erstgericht zurückverwiesen.

Die bloße Bestechlichkeit eines Amtsträgers ohne ganz bestimmte Intervention ist nämlich erst seit 1. 1. 2013 strafbar. Der Paragraf, mit dem die Gesetzeslücke geschlossen wurde, kam für Strasser zu spät. Das Delikt, das ihm angelastet wird, erfordert eine nachgewiesene Verbindung zwischen Schmiergeldzahlung und einem konkreten Amtsgeschäft.

Schnell erledigt

Wobei Ratz deutlich machte, dass diese Korrektur „schnell erledigt“ werden könne, wenn man sich entsprechend „konzentriert“. Selbst Verteidiger Thomas Kralik rechnet für die Wiederholung des Prozesses mit nicht mehr als zwei Tagen. Strasser selbst kam ernst und ging lächelnd, zumindest psychologisch war der Tag für ihn ein Gewinn: Fürs Erste sind die vier Jahre Haft vergessen.

Der tiefe Fall des Karrieristen

Gesetzeslücke bringt Strasser Etappensieg

STRASSER-PROZESS AM LANDESGERICHT WIEN: STRASSER
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Ist das neue Verfahren gegen Ernst Strasser nur Formsache? Ist wieder mit einem Schuldspruch zu rechnen, weil der Oberste Gerichtshof die Bestechlichkeit des Ex-Ministers de facto bestätigt hat (siehe Seite 2)?

Für gewöhnlich ist Franz Fiedler keiner, der mit seiner Meinung hinterm Berg hält. Bei der Affäre um den ehemaligen EU-Mandatar Strasser ist der Korruptionsexperte und Ex-Rechnungshofpräsident aber zurückhaltend. „Als ehemaliger Richter und Staatsanwalt bin ich in diesem Fall sehr vorsichtig. Da ist jetzt alles möglich“, sagt Fiedler zum KURIER. „Die Aufhebung hat der Verteidigung neue Perspektiven eröffnet, ich würde selbst einen Freispruch nicht kategorisch ausschließen wollen.“

Der Linzer Strafrechtsexperte Alois Birklbauer sieht das nicht ganz so. „Der Oberste Gerichtshof hat die Argumente der Verteidigung (Nichtigkeitsbeschwerde, Anm.) abgewiesen und vereinfacht gesagt eine Nachbesserung des Urteils gefordert.“ Den Schuldspruch sieht Birklbauer inhaltlich bestätigt. „Sonst hätte der OGH ja freisprechen müssen.“

Strasser habe aber die Zeit auf seiner Seite. „Je länger das Verfahren dauert, desto eher kann man überlange Verfahrensdauer als Milderungsgrund ins Treffen führen“, sagt Birklbauer. Ergehe im Laufe des nächsten Jahres ein Schuldspruch, habe Strasser seit der Tat wieder vier Jahre ohne strafbare Handlung gelebt. „Das muss – zusammen mit der bisherigen Unbescholtenheit – ins Urteil einfließen.“ Die vier Jahre Gefängnisstrafe, die der Erst-Richter für angemessen hielt, werden damit noch unwahrscheinlicher.

Man muss einfach formulieren können; so, dass einem auch Nicht-Juristen gut folgen können. Denn wer nicht verstanden wird, der bewirkt nichts, hat ein kluger Professor einmal zu Eckart Ratz gesagt. Und der gebürtige Vorarlberger hat sich das zu Herzen genommen.

Ratz ist Präsident des Obersten Gerichtshofs und begründete als solcher die OGH-Entscheidung in der Causa Strasser (siehe oben). Der 60-Jährige gilt als technisch-genauer Jurist, der von einer spannenden Vita zehrt: Ratz war Problemkind und flog von der Schule. Am Jesuitengymnasium in Feldkirch wurde er schulisch „aufgefangen“, in Mathe und Deutsch auf Vordermann gebracht – und zudem fürs Gericht begeistert. Das Gerichtsgebäude war nebenan. „Da bin ich immer zuhören gegangen“, erzählt der zweifache Vater dem KURIER.

Anfangs wurde Ratz Zivilrichter, seine klare Sprache hat ihm nicht nur Freunde eingebracht. Beim Innsbrucker Oberlandesgericht blitzte er drei Mal mit der Bewerbung ab, erst nachdem sich Fürsprecher für den formidablen Richter stark gemacht hatten, wurde er befördert – und landete 1994 am Wiener Oberlandesgericht und drei Jahre später im Obersten Gerichtshof.

Selbstzweifel hat Ratz ganz selbstverständlich. Man müsse um die eigenen Schwächen wissen, damit umgehen lernen. Wer sich allzu perfekt gibt, ist Ratz suspekt. „Mir bereitet eher derjenige Sorge, der nicht erkennt, dass auch er beeinflussbar ist.“

Der Oberste Gerichtshof hat nun also das Urteil gegen Ernst Strasser aufgehoben und angesichts der allgemeinen Empörung, die binnen Minuten in den sozialen Netzwerken losbrach (Tenor: Wie kann es sein, dass jemand frei geht, wenn er sogar via Video „überführt“ wurde?) scheint es geboten, den Spruch der Höchstrichter einzuordnen. Was hat der OGH konkret entschieden?

Zum einen erkannte das Höchstgericht, dass der Ex-Minister offenkundig dazu bereit war, gegen Geld Gesetze zu beeinflussen.

Strasser hat sich für eine Beeinflussung Bares versprechen lassen, diese Tatfrage ist für die Höchstrichter zweifelsfrei geklärt. Keine präzise Antwort gibt indessen das erstinstanzliche Urteil, was genau Herr Strasser beeinflussen wollte. Waren es konkrete EU-Richtlinien? War es die Gesetzgebung im Allgemeinen? Diese Frage soll und muss geklärt werden, sagen die Höchstrichter. Ist das spitzfindig? Vielleicht. Eines ist es aber mit Sicherheit nicht, nämlich: ein Freispruch.

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