Erdoğans langer Arm zur IGGÖ

Der türkische Staatspräsident hatte auch in Wien in wenigen Stunden tausende Demonstranten mobiliseren können
Warum sich Ankara um Österreichs Muslime kümmert.

Der Tag, an dem die Türken die Macht übernahmen, war der 26. Februar 2016. Da trat eine neue Verfassung der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) in Kraft, die mit alten Usancen brach: Bisher durfte keine religiöse Ethnie die Mehrheit in IGGÖ-Gremien haben, ein 50-Prozent-Limit. Die neue Verfassung sah das nicht mehr vor.

Heute haben türkisch-islamische Verbände eine absolute Mehrheit in allen Gremien, natürlich stellen sie mit Ibrahim Olgun auch den Präsidenten der Glaubensgemeinschaft. Obwohl von den rund 800.000 Muslimen in Österreich nur etwa 250.000, also knapp mehr als ein Viertel, einen türkischen Background haben.

Die IGGÖ ist aber kein türkischer Religionsverein, sondern die offizielle Vertretung aller Muslime in Österreich. Sie ist vergleichbar mit der Bischofskonferenz der Katholiken oder der Israelitischen Kultusgemeinde und verantwortlich für die 800 Religionslehrer in Österreich als auch für die Imame.

Warum die zahlenmäßig unterlegenen türkischstämmigen Muslime dennoch eine klare absolute Mehrheit haben, ist einfach erklärt: Sie sind von allen muslimischen Vereinen am besten organisiert – von den 28 in Österreich anerkannten Kultusgemeinden sind 18 türkisch (siehe Kasten links unten).

Deutungshoheit

Und diese sind mehrheitlich auch aus der Türkei orchestriert. Ankara und der selbst ernannte "Kalif" Recep Tayyip Erdoğan geben im Hintergrund den Ton an. Aber was ist dabei Erdoğans Interesse? "Erstens", sagt der Neo-ÖVP-Kandidat Efgani Dönmez, "sind die in der Diaspora lebenden türkischstämmigen Mitbürger Devisenbringer. Und zweitens hat Erdoğan durch diese Vereine die Deutungshoheit im Islam in der Hand". Als Beispiel nennt Dönmez die Imam-Hatip-Schulen. "Dort wird eine tiefreligiöse Jugend herangezogen, um Erdoğans Islamverständnis zu etablieren." Das geschehe nicht mehr nur in Moscheegemeinden, sondern nun auch verstärkt über kulturelle und Bildungsaktivitäten.

Die türkische Einflussnahme in der Glaubensgemeinschaft wird innerhalb der IGGÖ immer kritischer gesehen, auch immer mehr österreichische Muslime lehnen das ab, und für die Politik wird das zunehmend zum Problem. "Mittlerweile haben wir es mit einen legalistisch agierenden Islamismus zu tun – und das haben unsere Politiker immer noch nicht verstanden", kritisiert der Oberösterreicher. "Durch diesen Einfluss wird aber der Nährboden für die Segregation und Ausgrenzung aufbereitet."

Thomas Schmidinger, Soziologe der Universität Wien und Islam-Experte, erklärt, dass durch das neue Islamgesetz zwar der türkischen Regierung der direkte Zugriff auf die größte türkisch-islamische Kultusgemeinde Atib erschwert worden ist. "Dadurch hat sich diese aber verstärkt darauf konzentriert, die offizielle Vertretung der Muslime in Österreich an sich zu binden." Also auf eine Institution, in der man "auf die türkischen Staatsbürger und Ex-Staatsbürger weiter einen Einfluss haben kann".

Für Dönmez steht fest: "Wir müssen zuerst einmal herausfinden, was sich in unserem Land wirklich abspielt. Welche Personen agieren hier, welche Agenda verfolgen sie, woher kommen die Gelder? Das wissen wir derzeit nicht."

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