Einigung bei Gesundheitsreform

Mehr Ehrlichkeit im Wiener Spitalsärztestreit
Ein gemeinsames Budget für Ambulanzen und praktische Ärzte soll das teure Hin- und Herschieben von Patienten beenden.

Das österreichische Gesundheitssystem soll künftig besser geplant und damit effizienter werden. Eine entsprechende Vereinbarung haben am Mittwoch Vertreter von Bund, Ländern und Sozialversicherung unterzeichnet. Kernpunkt darin ist, dass die Steuerung von Spitals- und niedergelassenem Bereich künftig gemeinsam erfolgen soll. Dies soll über ein "virtuelles Budget" erfolgen, in dem die Gelder der jeweiligen Player (Bund, Länder, SV) zusammenfließen.

Im Anschluss soll gemeinsam entschieden werden, in welchem Bereich die Mittel eingesetzt werden. Bisher war es so, dass die Länder zum größten Teil die Spitäler finanziert haben und die Sozialversicherung den niedergelassenen Bereich. Dies führte einerseits zu Doppelstrukturen und andererseits dazu, dass die Länder versuchten, die Kosten möglichst aus dem eigenen Bereich in die Praxen zu verschieben und die Kassen umgekehrt die Patienten in die Krankenhäuser.

Patienten sollen "unter der Reform nicht leiden"

Einigung bei Gesundheitsreform

Um diese "egoistische" Vorgangsweise zu beenden, sollen nun die Mittel über die Landesgesundheitsplattformen gemeinsam vergeben werden. Da steckt allerdings der Teufel im Detail (siehe unten). Die genauen Regelungen sollen erst im Rahmen einer 15a-Vereinbarung bis Oktober festgelegt werden. Ziel ist ein Inkrafttreten der Neuregelung mit Anfang kommenden Jahres.

Dass die Österreicher unter der Reform nicht leiden werden, versicherte Hauptverbandschef Schelling. Ganz im Gegenteil, meint er, dass der 13. Juni in einigen Jahren als "Tag der Patienten" gesehen werde.

Diese Einschätzung teilt die Ärztekammer ganz und gar nicht. Deren scheidender Präsident Walter Dorner befürchtet eine schlechtere Versorgung der Patienten. Ihm missfällt, dass bei der Reform finanzpolitische Ziele in den Vordergrund gestellt würden. Die Pläne dienten in erster Linie der Entlastung der Länderbudgets und würden mittelfristig den niedergelassenen Bereich aushöhlen, befürchtet der Ärztechef.

Neu ist, dass die Ausgabensteigerung künftig das Wirtschaftswachstum nicht mehr übersteigen soll. Dieses Ziel soll schrittweise bis 2016 erreicht werden. Da soll ein Wert von 3,6 Prozent erreicht sein und dieser auch für die Jahre danach die Ausgabengrenze bilden. Wie im Stabilitätspakt gibt es Ausnahmen, sollten außergewöhnliche Ereignisse eine Überschreitung notwendig machen.

Einsparungen

Werden die Ziele nicht eingehalten, kann es künftig Sanktionen geben. Wird das Kostendämpfungspotenzial der Länder nicht erbracht, sind die Kostendämpfungsziele zwingend im darauffolgenden Jahr zu erbringen, andernfalls tritt der Sanktionsmechanismus in Kraft.

Erhofft wird von den Vertragspartnern, dass mit der besseren Koordinierung auch ein gehöriger Einsparungseffekt erzielt wird, ohne die medizinische Versorgung zu beeinträchtigen. Als Zielwert bis 2016 sind 1,3 Milliarden Euro angegeben. Bis 2020 will man dann schon bei fast 2,5 Milliarden pro Jahr sein.

Reaktionen: "Historisch aufgebaute Mauern niedergerissen"

Einigung bei Gesundheitsreform

Finanzministerin Fekter würdigte, dass die Grundsatzvereinbarung Ergebnis einer "Reformpartnerschaft" sei. Das Gesundheitswesen werde damit nicht nur abgesichert sondern auch dessen Finanzierung sichergestellt. In die gleiche Kerbe schlug Gesundheitsminister Stöger. Das Gesundheitssystem werde gestärkt und trotzdem sehr sorgsam mit dem Geld umgegangen werden. Er wolle, dass Österreich nie in eine Situation wie Griechenland komme, wo es bereits Probleme mit der medizinischen Versorgung gibt. Landeshauptmann Pühringer meinte schlicht: "Es geht nicht um billiges Streichen sondern um ein besseres Organisieren."

Dass es nicht gerade leicht war, die im Gesundheitswesen aufgrund unterschiedlicher finanzieller Interessen zerstrittenen Player zu einem Ergebnis zu bringen, strich die Wiener Gesundheitsstadträtin Wehsely hervor. Es sei über viele Schatten gesprungen worden. Historisch aufgebaute Mauern seien niedergerissen worden. Dementsprechend sah der Chef des Hauptverbands der Sozialversicherungsträger Schelling auch ein "spektakuläres Ergebnis". Die Obfrau der Wiener Gebietskrankenkasse Reischl befand, dass mit dem Zielsteuerungsmodell die Basis gelegt werde, "dass das Orchester gemeinsam spielt".

Überhaupt nichts hält Ärztekammer-Präsident Dorner von der Koppelung des Gesundheitsbudgets an das Bruttoinlandsprodukt: "Was passiert in Zeiten von Wirtschafts- und Finanzkrisen? Stagniert dann auch die medizinische Versorgung?", fragt sich der Kammer-Chef.

FPÖ-Ärztesprecher Karlsböck sieht in den Reformplänen die "Einführung einer beinharten unsozialen Zweiklassenmedizin". Was heute präsentiert wurde, ist für ihn "die bislang tödlichste Stümperei der Regierung". Denn die "Ausgaben-Obergrenzen" seien nichts anderes als eine beinharte Deckelung der medizinischen Leistungen: "Gegen Ende des Jahres ernsthaft krank zu werden, kann zukünftig tödlich sein. Nämlich dann, wenn für die notwendige Behandlung die vorgesehenen Mittel bereits ausgegeben sind", unkt Karlsböck.

Lobende Worte fand dagegen Wirtschaftskammer-Präsident Leitl und forderte gleichzeitig eine rasche Umsetzung, damit die Reform wie geplant mit 2013 ihre Wirksamkeit entfalten kann.

Gesundheitsreform: Wesentliche Fragen noch offen
Wie soll die gemeinsame Steuerung über die Landesgesundheitsplattformen tatsächlich funktionieren? Der oberösterreichische Landeshauptmann Josef Pühringer ließ auf mehrfache Nachfragen offen, ob Länder und Sozialversicherung die gleichen Stimmrechte haben werden. Dies und auch Fragen wie Vetorecht und Vorsitzführung gelte es noch bei der Ausarbeitung der 15a-Vereinbarung zu klären.

Auch noch unklar ist, wie die bei Nicht-Einhaltung der Ziele vorgesehenen Sanktionen genau funktionieren werden. Dass Pönalen nur verhängt werden können, wenn alle Partner zustimmen, soll jedenfalls vermieden werden, versicherte Gesundheitsminister Alois Stöger. Andererseits soll es auch zu keinen Doppelsanktionen für ein Land kommen, das schon beim Stabilitätspakt bestraft wird, wenn es die dortigen Ziele wegen der Gesundheitskosten nicht einhalten kann, erklärte Finanzministerin Maria Fekter. Dass die Länder einander schonen, schloss Pürhinger aus. Man werde bei "notorischen Sündern" nicht wegsehen.

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