Ein Landeshauptmann wünscht sich keine Regionalisierung. Klingt fast unglaublich ...
Ich habe mich nie gegen zusätzliche Kompetenzen verwehrt, ich bin überzeugter Föderalist. Aber man muss objektiv sein, wir sind in einer Krise. Ich und einige andere Minister haben nach der Flüchtlingskrise 2015 gesagt, dass es eine Verfassungsänderung braucht. In einer Krise braucht der Bundeskanzler eine Maßnahmenkompetenz. Die politische Macht liegt bei ihm, aber die Kompetenz liegt beim Gesundheitsminister. Eine Krise ist eine Ausnahmesituation, da muss einer die Verantwortung übernehmen und die Entscheidung treffen. Da könnten wir schneller Gesetze auf den Weg bringen. Diese verfassungsrechtliche Kompetenz hat der Kanzler in dieser schwierigen Situation nicht. Aber das wollte man damals aus dem Kalkül nicht, weil der Kanzler in Wirklichkeit nur verlieren kann. Doch das ist kein Leadership.
Wiens Bürgermeister Michael Ludwig wirkte sauer, als er von dem Vorhaben erfuhr. Haben Sie hier eine Missstimmung in die Ostachse gebracht?
Aus meiner Sicht nicht. Jeder muss akzeptieren, wie sich die Zahlen entwickeln. Die Entwicklung ist bei uns anders als in Wien. Es kann nicht sein, dass sich das Burgenland für etwas rechtfertigen muss, was für andere Bundesländer selbstverständlich ist. Wir machen nichts aus Jux und Tollerei, sondern wir hinterlegen es mit einem Screening und führen 300.000 Covid-19-Tests pro Woche durch.
Epidemiologe Gerald Gartlehner warnt vor Lockerungen und sagt, „aufzusperren wäre ein Irrsinn“, und es gibt keine wissenschaftliche Rechtfertigung dafür. Warum gehen Sie dieses Risiko trotzdem ein?
Der Innsbrucker Infektiologe Günter Weiss sagt, die Lockdowns bringen nichts mehr. Das ist genau das Problem. So kann man sich auch die Corona-Gipfel vorstellen: Wir sitzen mit der Expertenrunde – und man bekommt die ganze Bandbreite an Meinungen serviert. Der einzige Richtwert, der manifest ist, sind die Intensivbetten. Das ist eine einfache Rechnung. Aber wenn es darum geht, was der richtige Weg wäre, von kontrolliert Öffnen bis zu hartem Lockdown, hat man mehrere Meinungen der Experten zur Wahl. Das ist erinnert mich an die Juristen, wo man für jeden Standpunkt ein Gutachten bekommt. In dieser Frage gibt es nicht Schwarz oder Weiß. Jetzt haben wir einen Zeitpunkt erreicht, wo kontrolliertes Öffnen möglich ist.
Selbst Ihre Parteichefin rügt Sie öffentlich, dass Sie das Risiko unterschätzen ...
Wir haben den Weg leicht verändert, aber das Ziel ist gleich geblieben – die Inzidenz nachhaltig niedrig zu halten und damit die Spitäler zu entlasten. Das Instrument des Lockdowns ist stumpf geworden – das sage nicht ich. Man muss über diese verschiedenen Wege zum selben Ziel reden können. Aber eines darf die Corona-Politik sicher nicht sein: ein Spielfeld für parteipolitische Profilierungsversuche. Jeder, der das macht, ob öffentlich oder sonst wo, wird nur schwer seiner wirklichen Verantwortung für die Menschen im Land gerecht werden können. SPÖ-interne Spielchen interessieren mich in der jetzigen Situation genau null. Ich bin für das Krisenmanagement in meinem Bundesland verantwortlich, Bürgermeister Ludwig für seine Stadt. Darüber haben wir uns gestern telefonisch lange unterhalten und sind uns einig.
Rund 80 Prozent der Intensivbetten im Burgenland sind belegt, und ein Drittel der Operationen werden im Burgenland verschoben. Klingt das nach bestem Zeitpunkt?
Bei der 7-Tages-Inzidenzhaben wir die besten Zahlen. Wir haben 51 Intensivbetten in der Gesamtheit – 35 für Covid-19-Fälle – davon sind Stand Freitag 26 mit Corona-Patienten belegt. Hier kommen wir durch die Nachwirkungen des Lockdowns in der kommenden Woche noch runter. Die Verschiebungen der Operationen gibt es in Oberösterreich oder anderen Bundesländern auch. Ich laufe nicht blind in die Situation hinein, und ich bin jederzeit bereit, die Stopptaste zu drücken. Denn auch ich weiß nicht, ob der Schritt funktionieren wird. Aber wir geben den Burgenländern die Perspektive, wenn dieser Schritt gelingt, gibt es nächste Öffnungsschritte.
Rudi Anschober ist aus gesundheitlichen Gründen zurückgetreten. Sie sind vier Mal an den Stimmbändern operiert – und wollen im Amt bleiben. Gibt Ihnen seine Entscheidung zu denken?
Ich habe vor Rudi Anschober großen Respekt, wie offen er seine Situation angesprochen hat und wie klar er die Konsequenz gezogen hat. Natürlich, wenn man vier Mal operiert ist und gerade die Stimme ein Defizit hat, die für einen Politiker ein extrem wichtiges Instrument ist, denkt man über vieles nach. Aber ich war noch nie ein Mensch, der Zukunftsängste hatte. Man muss die Situation annehmen, wie sie kommt. Und man muss am Boden bleiben: Politik ist nicht das Wichtigste im Leben, und das Leben geht weiter. Mit der Stimme wird es sukzessive besser – ich sehe das Glas immer halb voll und nicht halb leer.
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