„Digitalisierung ist nicht das Problem“

„Digitalisierung ist nicht das Problem“
Christoph Keese, Chef der Axel Springer hy, über Berufe mit Zukunft, bedingungsloses Grundeinkommen und nervende Saugnäpfe

KURIER: Was nervt Sie gerade?

Christoph Keese: Parkhäuser.

Sie schreiben in Ihrem neuen Buch, dass Dinge, die im Alltag nerven, einen Disruptionspunkt haben, von dem gewiefte Erfinder profitieren können. Was nervt Sie an Parkhäusern?

Die Branche legt es darauf an, die Kunden zu verärgern. Man braucht einen Parkschein, muss diesen irgendwo bezahlen, und das am besten mit Münzen, weil der Automat keine Kreditkarte akzeptiert. Parkhäuser können ohne Schranken und Bargeld funktionieren, weil das Handy all diese Funktionen übernehmen kann.

 

„Digitalisierung ist nicht das Problem“

Christoph Keese war u.a.Chefredakteur der "Welt am Sonntag" und "Financial Times Deutschland". Heute berät er Firmen bei der digitalen Umstrukturierung.

Welche Disruptionspunkte fallen Ihnen noch ein?

Mobile Navigationsgeräte, die mit Saugnapf an der Windschutzscheibe kleben. Oder Strom- und Gaszähler, die vom Anbieter abgelesen werden, wofür der Bewohner oft mehrere Stunden zu Hause warten muss, obwohl der Zählerstand ganz automatisch abgerufen werden könnte.

Lässt sich Disruption in einem Satz erklären?

Disruption ist eine besondere Form von Innovation, die bestehende Marktstrukturen verändert. Wir unterscheiden zwischen erhaltender und den Markt zerstörender Innovation. Nehmen Sie die Musik. Nach der Langspielplatte kam die CD. Diese Innovation war disruptiv und erhaltend.

Inwiefern?

Presswerke konnten neben LPs auch CDs produzieren, die Musik in Läden verkauft werden. Disruptiv und teils zerstörend ist der Übergang von CDs zu Streaming-Diensten wie Spotify. Da braucht es plötzlich keine Presswerke mehr und keine Läden, sondern nur noch Computer oder Handy.

Gleichzeitig spricht die Musikbranche von einem Revival der LP, wenn auch in einer Nische.

Sie haben das Wort gerade selbst benutzt: Nische. Disruption bringt selten völlige Zerstörung mit sich. Massen- verwandeln sich in Nischenmärkte. Die Entwicklungen haben enorme Auswirkungen auf die Unternehmen und deren Mitarbeiter. Masse bedeutet allerdings massenhaft Arbeit und Nische, wenn auch profitabel, jedenfalls weniger Arbeitsplätze.

Welchen einstigen Massenmarkt meinen Sie zum Beispiel?

Kameras. Es gibt immer noch einen kleinen Markt für Aficionados, die analog fotografieren. Die meisten Kameras stecken heute aber in Handys, und bezeichnenderweise sind diese nicht von Leica, Canon oder Nikon. Smartphone-Hersteller beherrschen heute den Kameramarkt. Oder nehmen Sie den Buchmarkt. Buchauflagen sind unter Druck geraten, Bücher durch elektronische Lesegeräte teils ersetzt worden. Am Buchmarkt gibt es aber eine wunderbar blühende Nische für aufwendig gemachte Bildbände, die deutlich höhere Verkaufspreise haben als früher.

Wann wird das Verbrennungsauto zum Nischenfortbewegungsmittel und das Elektroauto zum Standard?

Das weiß niemand. Man neigt generell, in Disruptionsprognosen zu überschießend zu sein, Entwicklungen in zwei, drei Jahren zu sehen, die erst in zehn, zwanzig Jahren allgemein spürbar sein werden. Die Übergangsphasen sind sicher auch nicht alle konfliktfrei, aber der Ausgang einiger Entwicklungen steht bereits fest.

Die Entwicklung beim Auto wäre?

Die Zukunft gehört den autonomen, selbstfahrenden, alternativ betriebenen Autos, die noch dazu weniger Unfälle verursachen werden. In Deutschland gibt es pro Jahr etwa 3200 Verkehrstote. Durch autonomes Fahren wird diese Zahl nicht auf null zurückgehen, aber es wird mit Sicherheit weniger Unfalltote geben. Vielleicht wird es in Städten auch verboten sein, mit Autos zu fahren. In anderen Märkten wird die Entwicklung noch schneller gehen, da Rohstoffknappheit oder Erderwärmung treibende Faktoren darstellen.

 

Menschen müssen bei diesen technischen Entwicklungen mitmachen. Manche scheuen aber Veränderung, wollen an der Supermarktkassa bedient werden und nicht selbst die Waren über den Scanner ziehen. Auch, weil sie der Kassiererin nicht den Job wegnehmen wollen.

Die meisten Menschen nehmen die Bequemlichkeit der digitalen Disruption gerne in Kauf und haben gleichzeitig ein schlechtes Gewissen, weil es anderer Leute Arbeitsplätze kostet. In Deutschland arbeitet etwa eine Million Menschen an Kassen, bei Ihnen in Österreich dürfte es etwa ein Zehntel sein. Diese Arbeitsplätze sind durch die automatischen Kassen perspektivisch bedroht. Effizienzgewinne haben in der Geschichte immer zur Verringerung menschlicher Arbeit geführt. Das heißt aber nicht, dass wir alle irgendwann keine Arbeit mehr haben, nur Roboter arbeiten und wir von der Maschinensteuer leben. Die Summe der Arbeit wird nicht abnehmen. Es werden neue Jobs entstehen und alte Berufe wieder gefragt sein.

Welche alten Berufe haben Zukunft?

Alles, was mit menschlicher Zuwendung zu tun hat. Masseure, Therapeuten, Trainer und jede Form von Geschichtenerzähler hat Zukunft. Filmemacher, Musikproduzenten, Journalisten. Menschen haben ein Urbedürfnis, Geschichten erzählt zu bekommen. Oder sehen Sie sich die Kunstmärkte an. Nicht nur Picasso, sondern junge, moderne Kunst boomt. An allen Ecken und Enden entstehen Coffeeshops. Je digitaler die Welt wird, desto wichtiger wird für uns alle die Entschleunigung, der Müßiggang.

Nicht jeder kann der Digitalisierung so viel abgewinnen wie Sie. Viele, vor allem Ältere, kommen nicht zurecht, weil ihnen niemand die Technik näherbringt.

Das stimmt. Das geringste Problem haben die Kinder, denn es liegt im Wesen des Kindseins, dass alles, was sie bei ihrer Geburt vorfinden, selbstverständlich erscheint. Kinder halten Flugzeuge, Computer, Bäume und Affen für gleichermaßen gegeben und selbstverständlich, denn sie waren schon bei der Geburt vorhanden. Alles, was im Laufe der ersten 20 Lebensjahre empfunden wird, gilt als Fortschritt. Alles, was zwischen dem 30. bis 40. Lebensjahr erfahren wird, das gilt als moderate Ergänzung der bereits bekannten Welt. Alles, was nach 40 erfahren wird, wird oft als Störung der natürlichen Ordnung wahrgenommen.

Wir werden immer älter, die Entwicklung verläuft immer rasanter: Das ist kein gutes Omen.

Das hängt sehr stark von der Perspektive ab. Der heute 50-Jährige empfindet eine Erfindung als Störung der natürlichen Ordnung - für ein Kind ist das das natürlichste Ding der Welt. Die Erwachsenen haben das Problem, weil die Entwicklung schneller verläuft als jemals in der Menschheitsgeschichte. Damit müssen wir uns auseinandersetzen.

Wer ist wir? Die Zivilgesellschaft, die Politik, die Medien?

Die Gesellschaft muss mehr in Bildung investieren. Sie muss sich darum kümmern, dass Menschen keinen Anschluss verlieren und aktiv darauf hinwirken, dass Kompetenzen erworben werden. Das passiert nicht von alleine. Nehmen wir als Beispiel den Lkw-Fahrer. Der sitzt 10 Stunden am Tag hinter dem Steuer. Der fährt die Autobahn zwischen Wien und Salzburg hin und her und wird bald keinen Job mehr haben, weil autonom fahrende Lkws das erledigen. Genau dieser Lkw-Fahrer sollte sich aber über digitale Entwicklungen informieren, weil sie sein Leben mehr beeinflussen, als ihm das jetzt bewusst ist.

Sie spielen auf das bedingungslose Grundeinkommen an?

Aus meiner Sicht liegen die Voraussetzungen für ein bedingungsloses Grundeinkommen noch nicht vor, denn es geht davon aus, dass die Produktivitätssteigerungen durch die Digitalisierung so enorm sind, dass es für Menschen kaum noch Arbeit gibt. Dass die Transformationsschritte so groß sind, dass die Menschen gar keine Arbeit mehr finden werden. Das bedingungslose Grundeinkommen argumentiert damit, dass das gar nicht schlimm ist, weil wir uns, um es zugespitzt zu formulieren, aus der Knechtschaft der Arbeit befreien und uns den Dingen widmen können, die wir immer tun wollten. Grundvoraussetzung dieses Gedankenganges ist es, dass die Menge der Arbeit sinkt – doch darauf weist derzeit nichts hin.

Da gehen die Experten-Meinungen auseinander.

Mein Eindruck ist, je intensiver wir die Debatte über das bedingungslose Grundeinkommen führen, desto weniger diskutieren wir das Wesentliche: Wie schaffen wir es, Menschen, deren Job ausstirbt, vernünftige, vielleicht sogar bessere, höher bezahlte Arbeit zu ermöglichen? Nehmen Sie das Unternehmen, für das ich arbeite: Axel Springer. Wir sind ein hochdigitalisierter Konzern, haben derzeit Mitarbeiterhöchststände, 82 Prozent des Konzernergebnisses stammen aus dem Digitalgeschäft. Die Digitalisierung ist nicht das Problem. Das Problem ist, dass allerorten neue Arbeitsplätze entstehen und viele Jobs verschwinden werden wie beispielsweise Taxi- oder Lkw-Fahrer oder Kassierer. Unsere eigentliche Aufgabe besteht nicht darin, diesen Menschen Geld fürs Nichtstun zu bezahlen, sondern sie für neue Jobs zu trainieren.

Und wer trainiert Konzerne wie Privatpersonen im Umgang mit Daten?

Daten sind anerkannter Maßen das Öl des 21. Jahrhunderts. Es bringt aber nichts, das Öl zurückzuhalten, so, dass wir nicht mehr damit arbeiten können. Die EU hat auf diese Entwicklung schon reagiert, an manchen Stellen der Datenschutzverordnung wahrscheinlich auch übertrieben.  Das führt wiederum dazu, dass die großen Profiteure der Datenökonomie in den USA und China sitzen und nicht in Europa. Das ist auch eine standortpolitische Frage. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Debatte, die geführt werden muss. Sie wird produktiver und effizienter je kenntnisreicher die Menschen sind.

Keine Debatte wird darüber geführt, dass Dienste wie Whatsapp oder Instagram kostenlos sind. Und dass die Anbieter sich die Daten zunutze machen.

Gut, dass sie darauf zu sprechen kommen. Vor einigen Monaten ist etwas Aufsehenerregendes passiert. Die Gründer von Whatsapp und Instagram haben aus Protest Facebook verlassen. Für Facebook ist es momentan lohnender, nicht zu monetarisieren, sondern die Daten, die durch Whatsapp und Instagram erzeugt werden, in das eigene Ökosystem von Facebook zu speisen. Vieles deutet darauf hin, dass sie die Daten zu Geld machen während die User kostenlos ihre Dienste nutzen.

 

„Digitalisierung ist nicht das Problem“

Christoph Keese: „Disrupt yourself. Vom Abenteuer, sich in der digitalen  Welt neu erfinden  zu müssen.“ 288 Seiten, Penguin Verlag   22 Euro.

Zur Person: Christoph Keese

Der einstige  einst Chefredakteur der „Welt am Sonntag“ u. Ex-Executive Vice President der Axel Springer SE (Jg.1964)  verbringt 2013 ein halbes Jahr im Silicon Valley;  sein  Buch „Silicon Valley. Was aus dem mächtigsten Tal der Welt auf uns zukommt“ legt Zeugnis darüber ab. Für „Silicon Germany“ wurde er mit dem Deutschen Wirtschaftsbuchpreis  ausgezeichnet. Seine Firma Axel Springer hy GmbH unterstützt Firmen bei der digitalen Umstrukturierung.

Kommentare