Grundeinkommen: "Es hat jedes Mal funktioniert"

Der niederländische Autor Rutger Bregman. ACHTUNG: Foto-Freigabe nur für das Interview!
Autor Rutger Bregman setzt sich im KURIER-Interview mit dem bedingungslosen Grundeinkommen auseinander.

Vor zehn Jahren standen wir mit der Finanzkrise am Ende des neoliberalen Kapitalismus. Aber dann hat sich nichts grundlegend geändert. Was ist da passiert?

Rutger Bregman: Krisen sind immer eine Gelegenheit für Veränderung. Sie können falsche Ansichten zerschmettern und neuen eine Chance geben. Vielleicht war diese Krise nicht tief genug. Aber ich glaube eher, es sind damals einfach keine neuen Ideen herumgeschwirrt. In dieser Hinsicht bin ich jetzt etwas optimistischer. 2008 hat zum Beispiel niemand über das Grundeinkommen gesprochen. Noch vor fünf Jahren war es sich ziemlich einsam, darüber zu sprechen. Es wurde als lächerliche und bizarr angesehen. Aber jetzt ist es ziemlich überall.

Nicht im politischen Prozess. Wenn man sich die Parteien in Österreich und Europa ansieht, fordert kaum eine ein Grundeinkommen.

Auch im politischen Zentrum beginnen Leute, Notiz davon zu nehmen. Und es passiert ziemlich schnell. In Finnland und Kanada gibt es große Experimente. Viele Menschen im Silicon Valley sind interessiert. Man spricht auch auf großen Konferenzen darüber. Ich wurde heuer sogar zum Weltwirtschaftsforum in Davos eingeladen. Es kommt mehr im Mainstream an. Das gibt Hoffnung. Aber natürlich ist es noch nicht genug.

Wie können Parteien - speziell linke - über das Grundeinkommen sprechen? Es wird noch als radikales Thema gesehen. Die Wähler belohnen sowas selten.

Für mich ist das große Problem der Linken heutzutage, dass sie vor allem wissen, wogegen sie sind: Rassismus, Establishment, Homophobie. Aber du musst auch wissen, wofür du bist. Wir können auch nicht zurück in die 70er-Jahre gehen und uns an den selben alten Ideen festhalten. Viele Menschen verlangen nach neuen, ambitionierten, hoffnungsfrohen Ideen, die unsere Wirtschaft transformieren können. Ein Grundeinkommen kann das. Parteien, insbesondere linke, können diese Idee nehmen, selbst definieren und eine Bewegung um es herum bauen. Es kommt aber natürlich darauf an, welche Version man will. Es gibt linke und rechte und einfach sehr schlechte Varianten eines Grundeinkommens.

Wie unterscheiden sich linke und rechte Ideen von einem Grundeinkommen?

Es gibt zum Beispiel in den USA Libertäre, die sagen: Lasst uns alle Gesundheits- und Bildungsprogramme loswerden und sie durch einen einzelnen Geldtransfer ersetzen. Da ersetzt man den Wohlfahrtsstaat mit dem Grundeinkommen. Das ist absolut nicht, wovon ich spreche. Ein Grundeinkommen sollte für mich eine Ergänzung zu den großen Errungenschaften des Wohlfahrtsstaats sein. Also ein allgemeines Gesundheitssystem, ein öffentliches Bildungssystem UND ein Grundeinkommen. Natürlich kann es manches ersetzen, aber großteils ist es eine Weiterentwicklung des bereits Erreichten. Das ist ein riesiger Unterschied zwischen linken und rechten Versionen.

Ist das Grundeinkommen die zentrale Idee des Pakets, dass Sie im Buch vorschlagen? Oder kann man sich etwa eine 15-Stunden-Woche auch ohne ein BGE leisten?

Es ist eine von vielen Ideen. Ich mag daran, dass es eine sehr praktische Idee ist. Man kann morgen damit zu experimentieren beginnen. Aber es gibt dir sofort eine Vorstellung, wie eine Gesellschaft eine völlig andere Idee davon haben kann, was Arbeit bedeutet. Das versuche ich mit dem Buch: Leute dazu zu bringen, neu über Arbeit nachzudenken. Es gibt unheimlich viel bezahlte Arbeit, die nicht wertvoll oder sogar völlig nutzlos ist - auch wenn sie vielleicht gut bezahlt wird. Aber es gibt auch extrem viel unbezahlte Arbeit, die unglaublich wertvoll ist und von der wir mehr brauchen.

Manche Menschen denken, das Grundeinkommen würde die Welt ins Chaos stürzen. Andere erwarten sich eine Revolution zum Guten dadurch. Die Meinungen spalten sich da am grundsätzlichen Menschenbild: Ob Menschen vom Wesen her faul oder produktiv sind. Haben Sie darauf eine Antwort gefunden?

Sind Menschen faul und würden ein BGE nutzen, um den ganzen Tag mit Netflix auf der Couch zu vergammeln? Oder sind Menschen von Natur aus kreativ und wollen etwas aus ihrem Leben machen? Und können wir ihnen trauen, dass sie das Geld gut verwenden? Wir könnten lange darüber diskutieren, aber es lässt sich einfach empirisch klären. Deshalb beschreibe ich im Buch so lange die großen Experimente, die gemacht wurden. Jedes einzelne Mal, wenn wir es versucht haben, hat es tatsächlich funktioniert. Die meisten Menschen wollen etwas aus ihrem Leben machen. Es ist eine große politische Herausforderung, die Geschichte über uns selbst und unsere Natur grundsätzlich anders zu erzählen. Schaffen wir das, dann wird es auch andere politische Möglichkeiten geben.

Warum sind Menschen denn so kritisch sich selbst gegenüber? Was trägt zu diesem Glauben bei?

Eine lange, intellektuelle Tradition, die bis ins antike Griechenland zurückgeht, sagt: Menschen sind grundsätzlich böse. So viele große Denker - Thucydides, Freud, Hobbes, normalerweise alte weiße Männer - haben uns gesagt, dass wir tief im Innersten alle selbstsüchtig sind. Das ist im Westen ein einflussreicher Gedanke. Und dann die Nachrichten. Unsere Hauptquellen der Information drehen sich immer um Ausnahmen, um Dinge die schiefgehen: Korruption, Krisen, Terrorismus. Wenn man sich viel davon ansieht, weiß man scheinbar ganz genau, wie Menschen und die Geschichte nicht funktionieren. Das macht pessimistisch. Es erklärt aber auch, warum die meisten Menschen sich selbst mit einem Grundeinkommen durchaus trauen. Ich habe die Leute oft bei Vorträgen gefragt, was sie damit machen würden. Die Meisten haben großartige und interessante Ideen. Aber wenn man sie fragt, was ihrer Meinung nach andere Menschen tun würden, machen sie sich Sorgen.

Wie bringt man Gegner und Feinde dazu, sich Ihre Ideen zumindest anzuhören?

Was ich immer versuche, ist eine rechte Sprache zu verwenden. Progressive richten ihre Sprache immer sehr auf Einfühlsamkeit aus. Wenn wir Linken über Armut sprechen, sagen wir: "Oh die Armen, wir müssen Mitleid haben und ihnen helfen, denn Armut ist unmoralisch". Ich benutze Business-Sprache und sage: “Wir zahlen derzeit Wucherpreise für Gesundheitsprogramme, Kriminalität, Kinder in Schulen. Es ist einfach zu teuer. Aber schaut auf die Forschungsergebnisse: Armut auszuradieren ist in Wirklichkeit ein Investment, das sich selbst finanziert. Also selbst wenn du reich bist, ergibt das für dich Sinn. Auch wenn du kein Herz hast, hast du eine Geldbörse." Das Grundeinkommen nenne ich gerne “Venture Capital für Menschen”. Es gibt ihnen die Möglichkeit, ein neues Geschäft zu eröffnen, einen neuen Job anzunehmen. Es wird unsere Wirtschaft viel dynamischer machen. Das ist eine andere Sprache.

Haben Sie keine Angst, dass die Idee gekapert werden kann, wenn man die Sprache so anpasst?

Jede Idee kann gekapert werden. Aber ich halte es ja auch für wahr. Das Grundeinkommen wäre die krönende Errungenschaft des Kapitalismus. Worum geht es bei Innovation im Endeffekt? Es geht darum, Menschen die Möglichkeit zu geben, Verrücktes zu tun. Von 100 Menschen, denen man sagt, sie sollen eine Idee entwickeln, werden 99 ihre Zeit verschwenden und einer etwas großartiges leisten. Das ist es, worum sich Innovation dreht. Aber heutzutage haben Millionen und Abermillionen von Menschen schlicht nicht die Möglichkeit dazu. Weil sie entweder in Armut oder in völlig bedeutungslosen Jobs feststecken. Weil sie nicht die nötige Sicherheit haben, wenn sie von Lohnzettel zu Lohnzettel hangeln. Ein Grundeinkommen würde diese Sicherheit bereitstellen und unsere Wirtschaft viel dynamischer machen.

Im Buch präsentieren Sie nicht viel Gegenrede zu ihren Überzeugungen. Sind Sie sicher, dass sie nicht nur Beweise sehen, die Sie sehen wollen?

Über den Bestätigungsbias sollte jeder Autor nachdenken. Sehe ich nur die Information, die meiner Meinung zustimmt? Im letzten Kapitel schreibe ich darüber. Ich glaube, dass Debatten selbst produktiv sind.Ich als ein Befürworter bin vielleicht nicht die beste Person, um Kritik an meinen eigenen Ideen zu üben, aber ich würde mir erwarten, dass ein in 28 Sprachen publiziertes Buch viel interessante Kritik bekommen würde. Das habe ich natürlich in manchen Teilen auch, aber wenn ich Gegner des Grundeinkommens um Beispiele bitte, wo ein empirisches Experiment schief gegangen wäre, können sie mir keines sagen. Oder wenn es um das Thema Bullshit-Jobs geht. Ich führe viele Debatten mit Ökonomen und frage sie immer, warum ein Drittel der Arbeitskräfte sagt, dass es seine eigene Arbeit einfach nutzlos und nicht wertvoll findet. Eine Antwort habe ich nie darauf bekommen. Sie wissen nicht, was sie damit anfangen sollen. Sie denken, dass Arbeit im modernen Kapitalismus produktiv sein muss. Es müsse da irgendeine unsichtbare Hand geben.

Wie weit sind wir von einem universellen Grundeinkommen entfernt?

Ich habe keine Ahnung. Ich sage immer, dass ich weder ein Optimist noch Pessimist bin, sondern ein Possibilist. Die Dinge könnten anders sein. Ich finde es sehr aufregend, was etwa in Kanada passiert, wo sie ein riesiges Experiment mit 4000 Menschen durchführen. Das sieht schon jetzt sehr vielversprechend aus. Aber es ist auch wichtig, dass Befürworter der Idee praxisorientierter werden. Zuerst wirken diese Ideen sehr utopisch, aber irgendwann muss man Antworten finden. Was würde man bei den Gesetzen ändern? Was wäre der erste Schritt? Da muss die ganze BGE-Bewegung praktischer werden. Man kann viele kleine Schritte in die richtige Richtung machen.

Sie denken also nicht, dass es eine große Reform geben wird, und dann ist das Grundeinkommen da? Es wird schrittweise kommen?

Definitiv. Es gibt viel, was man tun kann. Wir werden das aktuelle Sozialsystem ein bisschen Grundeinkommen-artiger machen. Das Steuersystem ein bisschen Grundeinkommen-artiger machen. Es weniger von Bedingungen abhängig, universeller, individueller, einfacher machen. Viele kleine Veränderungen im Steuerwesen vornehmen und bei der Regulierung von Unternehmen. Es ist schlussendlich nur eine Richtung zu denken. Es gibt ja auch nicht die eine Einheitslösung für alle unsere Probleme.

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