Meinl-Reisinger und Obonya: "Die Wahrheit ist zumutbar"

Im vierten Teil der KURIER-Serie, bei der Politiker ein Vis-à-Vis außerhalb des politischen Faches treffen, unterhalten sich diesmal Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger und Schauspieler Cornelius Obonya:
KURIER: Frau Meinl-Reisinger, Sie wollten für dieses Format unbedingt Cornelius Obonya als Gesprächspartner. Warum?
Beate Meinl-Reisinger: Wir hatten in den vergangenen Jahren immer wieder Gelegenheit, uns sehr tiefgehend auszutauschen über Gesellschaft und Spaltung, den Verlust von Menschlichkeit und Geschichtsbewusstsein. Und wir teilen beide die Liebe zum Ausseerland.
Herr Obonya, Sie waren auch sofort bereit, mitzumachen.
Cornelius Obonya: Wir hatten immer gute Gespräche, bei denen auch klar war, dass man sich manchmal nicht so super einig ist. Es hat ja auch keinen Sinn, ständig auf einer Wellenlänge zu schwimmen.
Am Sonntag ist Hofburg-Wahl. Wie erleben Sie den Wahlkampf?
Obonya: Ich werde Alexander Van der Bellen wählen. Er hat bewiesen, wofür er gewählt wurde, nämlich Stabilität im Rahmen der Verfassung zu geben.
Meinl-Reisinger: Er war 2016 nicht meine erste Wahl, das war Irmgard Griss. Aber in einer so schwierigen Zeit, wie wir sie gerade erleben, einen Fels in der Brandung zu haben, der sich, wie du richtig sagst, innerhalb des Verfassungsbogens bewegt, das halte ich für sehr, sehr wichtig. Auch wenn mir Van der Bellen etwas zu zögerlich war, als es etwa zu den Angriffen auf die Justiz gekommen ist.

Obonya: Da bin ich nicht ganz deiner Meinung. Ich war auch froh, als er dann deutliche Worte gefunden hat. Aber ich fand es gut, dass er das zuerst einmal nicht gemacht hat. Denn so habe ich als normaler Nachrichtenkonsument das Gefühl bekommen, dass es tatsächlich auch eine Art von Selbstreinigungskraft der Justiz gibt, dass die Justiz selber die richtigen Worte findet.
Sie haben ganz zu Beginn über den Verlust von Menschlichkeit gesprochen Was meinen Sie da konkret?
Meinl-Reisinger: Wir sind in der größten Krise der Zweiten Republik und es wird noch schlimmer. Wir müssen jetzt alles daran setzen, dass wir als Gesellschaft, als Demokratie, als Europa gestärkt daraus hervorgehen. Das geht nur, wenn wir erkennen, dass wir alle im selben Boot sitzen. Darum gefällt es mir nicht, wenn man etwa sagt „Klimabonus für Asylwerber, das geht doch nicht“. Dabei ist das budgetär völlig irrelevant.
Obonya: Es ist auch ziemlich dumm, weil man eigentlich weiß, dass wir sehr viele Menschen, die zu uns kommen, wirklich brauchen. Stichwort Fachkräftemangel. Natürlich kann Österreich nicht alleine alle aufnehmen und natürlich ist es schwierig, wenn plötzlich Menschen aus vollkommen anderen Kulturkreisen sich gesammelt an irgendeinem Ort finden. Aber ich glaube, dass wir als Land reich genug sind, um da noch viel mehr tun zu, ohne dass es uns gleich allen schlechter geht. Die Lederhose wird nicht verschwinden, bloß weil man Menschen aus anderen Kulturkreisen die Hand reicht.
Meinl-Reisinger: Aber anstatt zu sagen: Wir müssen da auf europäischer Ebene zusammenarbeiten, gibt es rhetorische Aktionismen und Kampagnen. Wann hat eigentlich die Politik aufgehört zu handeln?
Sie nicken, Herr Obonya.
Obonya: Das geht seit Jahren so. Es gibt keine Lösungsansätze, weil niemand sich traut, Wahrheiten auszusprechen.
Meinl-Reisinger: Aber genau dazu ist die Politik ja da. Entscheidungen, die niemandem wehtun, gibt es gerade in so einer schwierigen Zeit nicht. Aber die Wahrheit ist den Menschen zumutbar.
Obonya: Man muss ja nicht sagen, alles wird furchtbar. Aber es wird nicht so bleiben, wie es ist. Arbeitgeber können nicht jede Forderung durchsetzen, genauso wie die Arbeitnehmer. Je schneller allen klar wird, dass wir das Ganze nur abfedern können, wenn jeder einen Teil abgibt, umso eher erreichen wir hoffentlich ein Level, auf dem es sich einpendelt – dann schauen wir, wie es weitergeht. Ich bin nur immer für Optimismus, für ein Voran, weil anders wird es nicht gehen, auch wenn ich an unsere Kinder denke.
Sie haben auch relativ junge Kinder, Frau Meinl-Reisinger. Machen Sie sich Sorgen um deren Zukunft?
Meinl-Reisinger: Schon, aber ich habe auch diesen Grundoptimismus. Wir werden da rauskommen, aber nur, wenn wir jetzt die Weichen stellen. Der Rohstoff ist nun einmal Bildung. Jetzt ist der Zeitpunkt, zu investieren. Ich habe aber große Sorge, dass das die Bundesregierung nicht macht. Das ist Klientelismus, viel Rhetorik, Schlagzeilen, Marketing und Glitzer und Glamour. Aber wirkliches Arbeiten für die Zukunft sehe ich zu wenig.

NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger
Sie kennen die Politik ja aus der Praxis, warum ist es so schwierig, unbequeme Wahrheiten zu kommunizieren?
Meinl-Reisinger: Ich sage ja auch unbequeme Wahrheiten, z.B. dass uns Neutralität nicht schützt. Ich weiß, das bringt uns keine Bonuspunkte. Aber ich finde, diese Grundsätzlichkeit von Diskussionen muss wieder her.
Teilen Sie diese Haltung zur Neutralität, Herr Obonya?
Obonya: Ja, denn all unsere Friedensmodelle, auch die Neutralität, funktionieren nur so lange, wie sich alle daran halten. Aber plötzlich sagt einer: Wisst ihr was? Ich halte mich an keinen völkerrechtlichen Vertrag.
Meinl-Reisinger: Wir haben eine Schwäche, die eigentlich auch unsere Stärke ist: Wir sind Demokratien. Wahlen müssen gewonnen werden. Und das ist die Achillesferse, auf der uns Putin versucht zu erwischen – die Erosion der Demokratien, die Stärkung von antidemokratischen, antieuropäischen Tendenzen.
Das ausführliche Gespräch Meinl-Reisinger und Cornelius Obonya
Nach so vielen ersten Themen zum Abschluss noch etwas Heiteres: Sie, Herr Obonya, kennen die Bühne. Sie, Frau Meinl-Reisinger, die Politik. Wie viel Schauspiel ist denn in der Politik dabei?
Meinl-Reisinger: Natürlich ist das eine Bühne. Man spielt zum Teil eine Rolle, aber das bin trotzdem ich mit meinem Namen, mit meinen Werten, meinen Ideen und Vorstellungen. Ich denke, was Politik und Schauspiel verbindet, ist die Suche nach Wahrhaftigkeit.
Obonya: Dass sich die Frage überhaupt stellt, liegt daran, dass man nicht mehr unterscheiden kann, was gespielt ist und was echt, vor lauter vorgefertigten Sprachhülsen. Aber ja, die Suche nach der Wahrheit verbindet uns. Muss uns verbinden – alle Menschen, die guten Willens sind.
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