Obonya: Da bin ich nicht ganz deiner Meinung. Ich war auch froh, als er dann deutliche Worte gefunden hat. Aber ich fand es gut, dass er das zuerst einmal nicht gemacht hat. Denn so habe ich als normaler Nachrichtenkonsument das Gefühl bekommen, dass es tatsächlich auch eine Art von Selbstreinigungskraft der Justiz gibt, dass die Justiz selber die richtigen Worte findet.
Sie haben ganz zu Beginn über den Verlust von Menschlichkeit gesprochen Was meinen Sie da konkret?
Meinl-Reisinger: Wir sind in der größten Krise der Zweiten Republik und es wird noch schlimmer. Wir müssen jetzt alles daran setzen, dass wir als Gesellschaft, als Demokratie, als Europa gestärkt daraus hervorgehen. Das geht nur, wenn wir erkennen, dass wir alle im selben Boot sitzen. Darum gefällt es mir nicht, wenn man etwa sagt „Klimabonus für Asylwerber, das geht doch nicht“. Dabei ist das budgetär völlig irrelevant.
Obonya: Es ist auch ziemlich dumm, weil man eigentlich weiß, dass wir sehr viele Menschen, die zu uns kommen, wirklich brauchen. Stichwort Fachkräftemangel. Natürlich kann Österreich nicht alleine alle aufnehmen und natürlich ist es schwierig, wenn plötzlich Menschen aus vollkommen anderen Kulturkreisen sich gesammelt an irgendeinem Ort finden. Aber ich glaube, dass wir als Land reich genug sind, um da noch viel mehr tun zu, ohne dass es uns gleich allen schlechter geht. Die Lederhose wird nicht verschwinden, bloß weil man Menschen aus anderen Kulturkreisen die Hand reicht.
Meinl-Reisinger: Aber anstatt zu sagen: Wir müssen da auf europäischer Ebene zusammenarbeiten, gibt es rhetorische Aktionismen und Kampagnen. Wann hat eigentlich die Politik aufgehört zu handeln?
Sie nicken, Herr Obonya.
Obonya: Das geht seit Jahren so. Es gibt keine Lösungsansätze, weil niemand sich traut, Wahrheiten auszusprechen.
Meinl-Reisinger: Aber genau dazu ist die Politik ja da. Entscheidungen, die niemandem wehtun, gibt es gerade in so einer schwierigen Zeit nicht. Aber die Wahrheit ist den Menschen zumutbar.
Obonya: Man muss ja nicht sagen, alles wird furchtbar. Aber es wird nicht so bleiben, wie es ist. Arbeitgeber können nicht jede Forderung durchsetzen, genauso wie die Arbeitnehmer. Je schneller allen klar wird, dass wir das Ganze nur abfedern können, wenn jeder einen Teil abgibt, umso eher erreichen wir hoffentlich ein Level, auf dem es sich einpendelt – dann schauen wir, wie es weitergeht. Ich bin nur immer für Optimismus, für ein Voran, weil anders wird es nicht gehen, auch wenn ich an unsere Kinder denke.
Sie haben auch relativ junge Kinder, Frau Meinl-Reisinger. Machen Sie sich Sorgen um deren Zukunft?
Meinl-Reisinger: Schon, aber ich habe auch diesen Grundoptimismus. Wir werden da rauskommen, aber nur, wenn wir jetzt die Weichen stellen. Der Rohstoff ist nun einmal Bildung. Jetzt ist der Zeitpunkt, zu investieren. Ich habe aber große Sorge, dass das die Bundesregierung nicht macht. Das ist Klientelismus, viel Rhetorik, Schlagzeilen, Marketing und Glitzer und Glamour. Aber wirkliches Arbeiten für die Zukunft sehe ich zu wenig.
Sie kennen die Politik ja aus der Praxis, warum ist es so schwierig, unbequeme Wahrheiten zu kommunizieren?
Meinl-Reisinger: Ich sage ja auch unbequeme Wahrheiten, z.B. dass uns Neutralität nicht schützt. Ich weiß, das bringt uns keine Bonuspunkte. Aber ich finde, diese Grundsätzlichkeit von Diskussionen muss wieder her.
Teilen Sie diese Haltung zur Neutralität, Herr Obonya?
Obonya: Ja, denn all unsere Friedensmodelle, auch die Neutralität, funktionieren nur so lange, wie sich alle daran halten. Aber plötzlich sagt einer: Wisst ihr was? Ich halte mich an keinen völkerrechtlichen Vertrag.
Meinl-Reisinger: Wir haben eine Schwäche, die eigentlich auch unsere Stärke ist: Wir sind Demokratien. Wahlen müssen gewonnen werden. Und das ist die Achillesferse, auf der uns Putin versucht zu erwischen – die Erosion der Demokratien, die Stärkung von antidemokratischen, antieuropäischen Tendenzen.
Nach so vielen ersten Themen zum Abschluss noch etwas Heiteres: Sie, Herr Obonya, kennen die Bühne. Sie, Frau Meinl-Reisinger, die Politik. Wie viel Schauspiel ist denn in der Politik dabei?
Meinl-Reisinger: Natürlich ist das eine Bühne. Man spielt zum Teil eine Rolle, aber das bin trotzdem ich mit meinem Namen, mit meinen Werten, meinen Ideen und Vorstellungen. Ich denke, was Politik und Schauspiel verbindet, ist die Suche nach Wahrhaftigkeit.
Obonya: Dass sich die Frage überhaupt stellt, liegt daran, dass man nicht mehr unterscheiden kann, was gespielt ist und was echt, vor lauter vorgefertigten Sprachhülsen. Aber ja, die Suche nach der Wahrheit verbindet uns. Muss uns verbinden – alle Menschen, die guten Willens sind.
Kommentare