Die Schule von Kurz und Rendi-Wagner: Eliteschmiede Erlgasse
Wer in England zur Top-Elite des Landes gehören will, sollte Eton oder Westminster besucht haben.
In Frankreich empfiehlt sich ein Gymnasium in einem noblen Pariser Arrondissement, um in eine der beiden Kaderschmieden zu gelangen, die der Katapult in die französische Elite sind.
Und in Österreich?
Erlgasse, Meidling.
Keine gentrifizierte Bobo-Gegend, keine Villen. Gemeindebauten, schmucklose Zinshäuser, in Sichtweite eine Schnellstraße und die Gleisanlagen der Südbahn: Dort steht die Schule, in der der Bundeskanzler und die Oppositionsführerin ihre Bildung erhielten.
Das Gymnasium in der Meidlinger Erlgasse ist ein schönes Beispiel, dass unser Land „egalitärer ist als manche andere“, sagt die Professorin Renate Dockner. Im Vorjahr maturierte in der Erlgasse der Sohn der Regalschlichterin vom Billa nebenan.
Pamela reagierte sauer
Dockner hat Pamela Wagner, wie die SPÖ-Chefin als Mädchen hieß, in Geografie unterrichtet. „Es war mein allererstes Unterrichtsjahr, mein erster Kontakt mit Schüler/innen“, erzählt Dockner. Die Klasse blieb ihr in Erinnerung: „Es war eine angenehme, engagierte Klasse.“ Daniela Musiol, spätere Verfassungssprecherin der Grünen, gehörte ihr auch an.
Der Chemielehrer Johannes Fuchs kramt in der Erinnerung: „Pamela Wagner – Joy wollte sie nicht genannt werden – hat Ungerechtigkeiten nicht vertragen. Wenn sie das Gefühl hatte, sie oder ihre Freundinnen seien ungerecht behandelt worden, hat sie sauer reagiert.“
Auch an Sebastian Kurz erinnert sich der Chemieprofessor unter Zuhilfenahme alter Notenhefte: „Er hatte Startschwierigkeiten in Chemie, auf den ersten Test hat er nur einen Dreier bekommen.“ Kurz klemmte sich dahinter und erarbeitete sich einen Einser. Fuchs: „Er hat dann den anderen in der Klasse vermittelt, dass man sich verbessern kann, wenn man sich anstrengt.“
Beide Spitzenpolitiker seien „sehr gute Schüler“ gewesen. „Kurz war gewissenhaft und ordentlich. Seine gesamte Klasse war leistungsstark mit guter Performance. Kurz war einer dieser Performer“, sagt Martin Neubauer, der den Kanzler in Geschichte und politischer Bildung unterwies (siehe Substory).
Ob er stolz ist, dem Regierungschef Politik beigebracht zu haben? „Es waren schon die Kinder selbst, die etwas aus sich gemacht haben“, wehrt Neubauer ab. „Man freut sich mit den Schülern, wenn ihnen etwas gelingt“, meint Dockner. „No na sind wir stolz, wenn aus unseren Schülern etwas wird“, gibt Fuchs zu.
Das Gebäude, in dem das Gymnasium untergebracht ist, wurde für einen Schulverein der damaligen tschechischen Minderheit in Wien errichtet. Es hat eine multi-ethnische Tradition. In den 1980ern zogen Kinder aus dem Iran auf der Flucht vor dem islamischen Gottesstaat zu. In den 1990ern kamen Flüchtlingskinder aus dem jugoslawischen Bürgerkrieg. „Seit den frühen 2000ern ist die Mehrheit der Anfänger Nicht-Muttersprachige“, erzählt Neubauer. In der Schule ist Deutsch die gemeinsame Sprache. Dennoch fehlen den Kindern Alltagsvokabel, der Basiswortschatz ist gering, die Rechtschreibung mangelhaft, weil zu Hause nicht Deutsch gesprochen wird.
„Kulturkampf“-Erfahrungen wie die Wiener Lehrerin Susanne Wiesinger machen die Lehrer in der Erlgasse nicht. Es gebe weder machistische Ausfälle noch ethnische Spannungen an der Schule. Direktorin Elfriede Wotke: „Was es sehr wohl gibt – und da bekomme ich immer wieder bittere Geschichten zu hören – ist, dass muslimische Väter ihre Töchter unterdrücken.“ Diese Mädchen brauchen die besondere Unterstützung der Schule, denn sie erkennen sehr oft die Chance, sich über Bildung ihren Vätern zu entziehen.
Gefragt nach Wünschen an ihre ehemaligen Schützlinge, die nun in Regierung und Parlament am Drücker sind, winken die Erlgasse-Lehrer ab. Es passe eigentlich alles. Das Chemielabor ist gut ausgestattet, die Schulautonomie ermöglicht, den Deutsch- und Englischunterricht in geteilten Klassen abzuhalten. „Dass wir uns das weiterhin leisten können, das wünsche ich mir. In der kleinen Gruppe mit zwölf Schülern geht im Sprachunterricht einfach um so viel mehr weiter als in ganzen Klassen“, sagt Dockner.
Eine seltene Oase der Zufriedenheit. Diesen Eindruck vermitteln nicht nur die Lehrer, sondern auch eine Gruppe von Achtklässlern.
„Dass diese Schule solche Absolventen hat, macht stolz und motiviert. Rendi-Wagner ist ein perfektes Beispiel für die Mädchen, dass auch ihnen alle Türen offen stehen“, schwärmt Daria Jelimalai. „Sie sollte hierher kommen und uns Tipps geben, wie sie es geschafft hat“, sagt Benjamin Paulus.
Jeder kann es schaffen
Katharina Typaldos meint: „Unsere Schule sieht nicht wie ein Eliteinstitut aus, und das zeigt, dass man es schaffen kann, wenn man engagiert ist.“ Die Schüler haben sich darüber unterhalten, was wohl das Besondere an ihrer Schule ist, dass sie gleich zwei Spitzenpolitiker hervorbrachte. „Wir glauben, es ist der einfallsreiche Unterricht, und dass sich die Lehrer Zeit nehmen. Und man wird zur Eigenständigkeit motiviert“, sagt Annette Stahl.
Sind Kurz und Rendi auch Berufs-Vorbilder? Politisch engagieren wollen sich zwar alle, Hisham El-Gzar ist bereits Schülervertreter. Aber Spitzenpolitik? Nein, danke. „Da wird man durch den Dreck gezogen, das würde ich nicht durchhalten“, meint Annette. Benjamin: „Die Bevölkerung erwartet sich Wunder, die man nicht erfüllen kann. Dann muss man sie enttäuschen und ist der Buhmann des Landes. Das möchte ich nicht sein.“
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