Rückkehr der Leistungsgruppen in Mittelschulen ist fix

Die Notengebung wird verändert, in der Volksschule soll Sitzenbleiben wieder möglich werden.

Es ist eine Radikalreform, die Bildungsminister Heinz Faßmann nun zur Begutachtung vorlegt: Sein „Pädagogik-Paket“ beinhaltet wesentliche Änderungen in den Volksschulen und Neuen Mittelschulen (NMS), die – auch das ist Teil der Neuerung – künftig „Mittelschulen“ heißen sollen.

Im Kern sollen die Mittelschulen aufgewertet werden – unter anderem durch eine klare, transparente Notengebung ab der Volksschule sowie klaren Regeln, wer danach in eine AHS aufsteigen darf – und wer nicht.

„Es geht mir dabei nicht um bildungspolitischen Revanchismus oder ein zwangsweises „alles muss anders werden“, erklärte der Minister am Montag.

Dennoch: Seine Reform wird viele Reformschritte seiner SPÖ-Vorgängerinnen rückgängig machen.

Leistungsgruppen

Um Faßmanns Vorstoß zu erklären, muss man eine paar Jahre zurückgehen: Im Schuljahr 2008/2009 startete österreichweit der Schulversuch Neue Mittelschule, im Herbst 2012 wurde – ohne die versprochene große Evaluierung – das Modell zur Regelschule. Die NMS ersetzte alle Hauptschulen samt der Leistungsgruppen, die in den NMS untersagt waren. Die Idee dahinter: Die NMS sollte zu einer echten Gesamtschule werden, auch die Unterstufen der AHS sollten Mittelschulen werden.

Das Projekt scheiterte am Widerstand der Volkspartei. Und bis heute steht die Schulform in der Kritik: „Insgesamt gibt es keine belastbaren Hinweise, dass das Niveau der NMS im Durchschnitt über jenem vergleichbarer Hauptschulen liegt. Vielmehr bestehen Zweifel, ob dieses an allen Standorten tatsächlich erreicht wird“, schrieb Bildungsforscher Ferdinand Eder in der seiner Evaluierung im Jahr 2015.

Rückkehr der Leistungsgruppen in Mittelschulen ist fix

Leistungsgruppen neu

Bildungsminister Heinz Faßmann will nun die Leistungsgruppen wiedereinführen, auch wenn sie heute nicht mehr so heißen sollen („Leistungsniveaus“).

Als Modell soll jenes von NMS-Direktorin Andrea Walach aus Wien dienen (siehe Kasten unten): Sie teilt alle Kinder eines Jahrgangs in Kleingruppen (rund zwölf Kinder pro Gruppe) ein, in der die Kinder jeweils ähnliche Leistungen hatten. Jede Gruppe wird von einem Pädagogen geführt. Die Ergebnisse der Schüler hätten sich signifikant verbessert, wird Walach nicht müde zu betonen.

Diese Leistungsgruppen werden dann auch Niederschlag im Zeugnis jedes Schülers finden, neben der Schulnote in den Hauptfächern (Deutsch, Mathematik, Englisch) ab der zweiten Klasse (siebente Schulstufe) soll der Zusatz „AHS-Standard“ vermerkt werden, wenn das Kind in der ersten Leistungsgruppe ist. Damit, so erklärt Faßmann, sollen aber auch Rechte verbunden sein – etwa der einfachere Aufstieg in eine AHS-Oberstufe.

Um das Eltern schmackhaft zu machen, will er auch bei den Volksschulen Reformschritte setzen: Wesentlich sei, dass es eine „präzisierte Notensystematik“ geben soll. Mit einer „transparenten, nachvollziehbaren Leistungsbeurteilung auf Basis von Bewertungsrastern“.

Gemeint ist damit, dass in Volksschulen definiert wird, was ein Kind in jeder Schulstufe für jede Schulnote können muss. Damit soll verhindert werden, dass Kindern in der vierten Klasse ein Sehr Gut „geschenkt“ wird.

Förderung wird Pflicht

Künftig werden alle Eltern zu Bewertungsgesprächen über Leistungsstärken und Leistungsstand eingeladen.

Damit die Kinder bessere Leistungen erzielen können, wird der derzeit freiwillige Förderunterricht am Nachmittag verpflichtend. Ob das Kind den Förderunterricht besuchen muss, entscheidet der Klassenlehrer.

Wird einem Kind nach dem neu definierten Notensystem also keine AHS-Reife attestiert, muss das Kind in eine NMS gehen. Den Eltern will Faßmann insofern helfen, als nun auch in den Mittelschulen klarer nach AHS-Niveau benotet wird und eine Aufstieg in einer weiterführende Schule möglich bleibt.

Die Crux dabei: Österreichweit geht rund ein Drittel der Kinder nach der Volksschule in eine AHS. Das hängt auch damit zusammen, dass es am flachen Land oft gar keine AHS gibt; auch ist das Niveau der NMS am Land oft deutlich besser als in den städtischen NMS.

In Städten wie Wien gehen allerdings nicht nur ein Drittel, sondern rund die Hälfte der Kinder nach der Volksschule in eine AHS. Die NMS hat sich in Wien zu einer „Restschule“ entwickelt – mit einem Anteil an Kindern mit nicht-deutscher Umgangssprache von 72,8 Prozent.

Offen bleibt also, ob dieser grobe Systemwechsel vor allem im städtischen Bereich auch von der Bevölkerung akzeptiert werden wird. Die Reform soll ab kommenden Schuljahr greifen.

Faßmanns Reformpaket enthält drei weitere, wesentliche Änderungen: Die verbale Notengebung in den Volksschulen – also ohne Ziffernnoten – fällt. Ab der zweiten Volksschulklasse sind Ziffernnoten Pflicht, eine verbale Benotung bleibt möglich. Dann soll das „Sitzenbleiben“ ebenfalls ab der dritten Klasse wieder möglich werden. Das sehen nicht nur Bildungspsychologen kritisch – sie orten große Gefahren für die Entwicklung der Kinder, wenn diesen schon mit sieben Jahren ein Versagen im System attestiert wird.

Ein letzte Schieflage, die Faßmanns Reform wieder geraderücken will: An Polytechnischen Schulen wird es wieder die Möglichkeit eines freiwilligen zehnten Schuljahres geben. So sollen rund 400 Jugendliche pro Jahr, die für sich eine falsche Bildungsentscheidung getroffen haben und im System überbleiben würden, weil die Schulpflicht erfüllt ist, eine „zweite Chance“ erhalten, so Faßmann.

Skeptischer Experte

Eher skeptisch sehen die Reform Experten wie der Bildungsforscher Stefan Hopmann (Universität Wien).

Hopmann kritisiert, dass die Regierung etwa bei den Änderungen in der Volksschule „gegen jeden Forschungsstand“ arbeite. Konkret stößt sich Hopmann am Sitzenbleiben für Volksschüler. „Wenn es in der Forschung einen Konsens gibt, dann den, dass Sitzenbleiben schadet und langfristig schlechte Schulkarrieren begründet.“

Die nun für die Mittelschule geplanten Leistungsgruppen sieht er als Mittel dafür, die Trennung von Bevölkerungsgruppen zu verstärken. Leistungsgruppen seien letztlich „eine Technik, um soziale Unterschiede zu generieren“, sprich: um die Kinder von wohlhabenden und weniger wohlhabenden Familien zu trennen. Hopmann: „Da werden soziale Trennwände verstärkt.“

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