Der Ermittlungsakt hat 535 Seiten. Seit Tagen wird der „Gernot Blümel“-Akt von sämtlichen politischen Parteien akribisch durchgeackert. Schon bei der Durchsicht der Anordnung zur Hausdursuchung ist klar: Der heutige Finanzminister fungierte gleichsam als Steigbügelhalter.
Die „K1-Person“ der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) – um es im Pandemie-Jargon zu formulieren – heißt nicht Blümel, sondern Sebastian Kurz.
42 Mal kommt der Name Sebastian Kurz in der Anordnung zur Hausdurchsuchung vor, der Name Gernot Blümel hingegen nur 23 Mal. Die WKStA benötigt Kurz vor allem in seiner Funktion als Außenminister (2013–2017), um bei Ex-Novomatic-Manager Harald Neumann und Blümel das Delikt der Bestechung und Bestechlichkeit prüfen zu können. Denn Blümel war 2017 nicht amtsführender Stadtrat in Wien – also kein Amtsträger.
Erst durch die Annahme der WKStA, dass Blümel das „Spenden-Ansuchen“ von Neumann über den damaligen Kabinettschef des Finanzministeriums an Außenminister Kurz weitergeleitet hat, wird der Chatverlauf vom 12. Juli 2017 strafrechtlich relevant („Guten Morgen, ich hätte eine Bitte: Bräuchte einen kurzen Termin bei Kurz. erstens wegen Spende und zweitens bezüglich eines Problems, das wir in Italien haben“).
Die Gretchenfrage lautet: Hat Blümel, der langjährige Vertraute von Kurz und heutige Finanzminister, einen Vorteil für ein Amtsgeschäft angeboten bekommen?
Zur Erinnerung: Novomatic drohte in Italien eine empfindliche Steuernachzahlung von 40 Millionen Euro.
Ob das tatsächlich passiert ist oder nicht, kann die WKStA noch nicht mit Sicherheit behaupten. Bis jetzt gab es noch keine Zeugen- oder Beschuldigteneinvernahmen. Sie formuliert anhand von Indizien und Ausdrücken wie „lebensnahe Betrachtung“ oder „höchstwahrscheinlich“.
So schreibt die WKStA beispielsweise über die Stunden nach dem Chatverlauf zwischen Neumann, Blümel und dem damaligen Kabinettschef im Finanzministerium Thomas Schmid: „Was in diesen drei Stunden passierte, ist noch nicht im Detail bekannt. Jedenfalls gab es einen weiteren derzeit nicht näher feststellbaren Kontakt wahrscheinlich per Telefonat – zwischen Neumann und Blümel zu diesem Thema. Blümel informierte Kurz über das Angebot und akkordierte das weitere Vorgehen vor seinem Ersuchen an Schmid mit Kurz.“ Allerdings wird diese Behauptung der WKStA, dass Kurz informiert wurde, bis dato durch keinen einzigen Fund in den Chats bewiesen.
Was in den Chats gefunden wurde, ist der Versuch von Novomatic, Beziehungen auch in andere politische Lager – etwa zu Ex-SPÖ-Kanzler Alfred Gusenbauer – zu aktivieren (siehe Faksimile), um das Steuerproblem in Italien in den Griff zu bekommen.
Den Beteuerungen von Blümel, Kurz und Neumann, dass die ÖVP nie Spenden oder verdeckte Zahlungen von Novomatic angenommen habe, glaubt die WKStA nicht.
Aus Chats und eMails von Neumann geht hervor, dass man im Konzern wusste, dass die finanzielle Lage der ÖVP 2017 „ziemlich trist“ gewesen sei. In einer eMail vom 2. Juni 2017 schreibt Neumann, dass er sich bei Novomatic dafür einsetzte, dass die Konzernrichtlinie für Parteispenden geändert werden sollte. Diese sollten offengelegt werden.
Spenden an alle Parteien
Hinter dem mehrdeutigen Nachrichtenaustausch zwischen Neumann und dem damaligen Novomatic-Konzernsprecher K. („Hahaha … Pierer verdoppelt ÖVP-Spenden.“ Neumann: „Wir haben noch etwas besseres vor ;)).“ Sprecher: „Ja […] hab u. a. gerade den Brief an die Parteien entworfen.“) soll laut KURIER-Informationen folgender Plan gesteckt haben: Der Ex-Novomatic-Chef wollte, dass der Konzern an alle Parteien spendet – allerdings mit der Auflage, dass der Betrag einem karitativen Zweck gewidmet werden soll.
Man wollte Parteien wie die Grünen provozieren, ob sie unter diesen Rahmenbedingungen eine Spende vom Glücksspielkonzern annehmen würden. Das Projekt wurde nicht bewilligt.
Was für die ÖVP aber jedenfalls unangenehm ist: Die WKStA hinterfragt, wie sich die Volkspartei finanziert. In den Beilagen des Strafaktes findet sich das „Projekt Ballhausplatz“ von Kurz. In diesem wollte man nach Vorbild des Bundespräsidentschaftswahlkampfes von Irmgard Griss Spender anwerben. Potenzielle Spender und Überlegungen zu geplanten Ministerbesetzungen finden sich ebenfalls im Akt.
Spenden sammeln war im Wahlkampf 2017 erlaubt. Nicht erlaubt: Wenn Spender dafür Posten oder Einfluss auf das Regierungsprogramm bekommen hätten. Derzeit gehen Ermittler der Frage nach, ob es finanzielle Zuwendungen über andere Konstruktionen wie Vereine und Agenturen gegeben haben könnte.
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