Am Krampustag des Vorjahres bekam Magnus Brunner ein eMail, das Nicht-Eingeweihte vermutlich schon bei der Anrede irritiert. "Lieber Hamlet", stand da.
Hamlet? Der Dänenprinz? War das ein Scherz?
Mitnichten. Denn der Absender sprach den neuen Finanzminister mit dessen Verbindungsnamen im Österreichischen Cartellverband (ÖCV) an. Und dabei erwähnte der Schreiber fast beiläufig nicht nur die Namen von anderen Cartellbrüdern im Ressort, sondern berichtete zudem von einem "aktiven Finanzkreis", an dem Brunner unbedingt teilnehmen müsse.
"Was ist das für ein Netzwerk im Finanzministerium? Handelt es sich da um einen geheimen CV-Zirkel?", wollte der Abgeordnete Kai Jan Krainer erst diesen Donnerstag im parlamentarischen Untersuchungsausschuss wissen.
Der SPÖ-Parlamentarier traf damit einen Punkt, oder besser: eine Emotion.
Denn seit jeher gilt der katholische Cartellverband als mehr oder weniger geheime Kaderschmiede der ÖVP.
Auf den ersten Blick trifft das zu, zumindest wenn man in die Reihen der ÖVP-Regierungsmannschaft blickt.
Mars
Der Kanzler und ÖVP-Chef? Karl Nehammer, vulgo "Mars", ist Cartellbruder – wenn auch nicht in einer studentischen, sondern in einer Mittelschüler-Cartellverbindung.
Der laut Bundesverfassung wichtigste Minister, Magnus Brunner, ist Mitglied der Austria Innsbruck, der ältesten und größten Verbindung Österreichs. Und aus genau dieser kommt auch "Aeneas", der mit bürgerlichem Namen Florian Tursky heißt, ein Jahr dem ÖCV als Präsident vorstand und nunmehr als Staatssekretär für Digitalisierung arbeitet.
Ist das alles Zufall? Eher nicht.
Ist der CV die wichtigste Kaderschmiede oder gar ein klandestines Netzwerk für Karrieristen in der ÖVP? Auch das ist Unsinn.
Wie sooft liegt die Wahrheit in der Mitte – und dazu reicht ein Blick in die jüngere Parteigeschichte: Während über Reinhold Mitterlehner (Couleurname "Django") genüsslich das – freilich falsche – Gerücht verbreitet wird, er hätte sein Kabinett ausnahmslos mit CVern bestückt, war es schon bei Nachfolger Sebastian Kurz anders: Kurz war selbst nicht korporiert und bis auf Gernot Blümel ("Alkuin") hatte der engste Machtzirkel um den jungen Kanzler kaum Berührungspunkte zum CV, im Gegenteil: Die Kurz-Vertrauten kamen aus der Jungen ÖVP.
Loyalität
"Wenn wir jemanden für eine Aufgabe suchen, kann die Mitgliedschaft im CV insofern relevant sein, als man gestandenen CVern nicht erklären muss, was es mit Loyalität oder christlich-sozialen Werten auf sich hat. Das haben die intus", heißt es im Umfeld von Kanzler Nehammer. Auch könne man davon ausgehen, dass CVer, die in tragenden Funktionen waren, Schulungen in Sachen Mitarbeiterführung oder Medienarbeit absolviert haben. "Die agieren also im Idealfall professionell."
Wie bei allen Vereinen und Verbänden, gibt es aber eine dunkle Kehrseite. Noch einmal der Kanzler-Vertraute: "Wenn jemand vom Blümel etwas wollte und mit dem Satz begann ,Wir sind ja beide CVler!’, kam vom Gernot die Antwort: ,Na und?’" Mit der Vereinsmeierei könne man es nämlich übertreiben: "Wer auch nach dem Studium zu viel Zeit auf der CV-Bude verbringt, vermittelt den Eindruck, dass es beruflich nicht wirklich läuft – so jemanden holt man in kein Ministerbüro."
Das wichtigste Faktum, warum der Cartellverband in der ÖVP eher begrenzte Strahlkraft entfaltet, liegt freilich an ihm selbst: Erst vergangene Woche hat der CV wieder beschlossen, dass er eines nicht möchte, nämlich: Frauen in seinen studentischen Verbindungen. Und genau das lässt die Cartellbrüder im Vergleich zu den ÖVP-Bünden und Landesparteien, die clevere Frauen ganz selbstverständlich willkommen heißen, mittlerweile vergleichsweise antiquiert aussehen.
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