"Der Sebastian zieht das durch"

Kurz mit Fans am Neustifter Kirtag
Der junge ÖVP-Chef gilt als diszipliniert und konsequent. Er will einen Kulturwandel in Österreich.

Heute hat Sebastian Kurz Geburtstag. Er ist jetzt 31.

Sollten die Wähler am 15. Oktober so abstimmen, wie es die Umfragen derzeit signalisieren, wird Kurz in wenigen Wochen Bundeskanzler sein.

Was für ein außergewöhnliches Leben.

Kurz schwimmt auf einer Welle der Popularität, wie sie für einen ÖVP-Chef bisher beispiellos ist. Die Begeisterung vieler Menschen zeigte sich auch auf dem Neustifter Kirtag, wo der KURIER den ÖVP-Chef einen Abend lang begleitete.

Selfies, Selfies, Selfies

Händeschütteln, Glückwünsche und Selfies, Selfies, Selfies. "Sie bekommen meine Stimme, Sie machen das einmalig", lobt ihn eine Frau mittleren Alters. "Sie sind in Wirklichkeit noch hübscher als im Fernsehen", flirtet die nächste. "Darf ich Ihnen die Hand schütteln, Herr Kurz? Und kriege ich auch ein Foto, auch als SPÖ-Mitglied? Vielleicht überlege ich’s mir ja noch", sagt ein Mann. Eine ältere Frau bittet um ein Autogramm auf dem Bauernkalender, den sie eben am Kirtags-Standl erstanden hat.

Kurz reagiert gleichbleibend freundlich, fragt die Leute, wie es ihnen geht und posiert drei Stunden hindurch geduldig für Selfies.

Populismus

Manche Kritiker sagen, Kurz verdanke seine Popularität lediglich dem Umstand, dass er dem Rechtspopulismus Marke FPÖ ein salonfähiges Gesicht gebe. Außerdem sei er für einen Regierungschef zu jung.

Wer das glaubt, unterschätzt den ÖVP-Obmann.

Kurz ist ein außergewöhnlicher Charakter, sofern man das nach mehreren Gesprächen mit seinen Weggefährten und abzüglich deren momentaner Euphorie beurteilen kann.

Extrem konsequent und verlässlich. Kontrolliert und diszipliniert: Das sind die Eigenschaften, die diejenigen, die mit Kurz zusammenarbeiten, spontan nennen.

Konsequenz, Selbstdisziplin und Verlässlichkeit klingen weder nach einem unerwachsenen Menschen noch nach einem oberflächlichen Populisten.

Der Schlüssel zum Verständnis der Person Kurz dürfte in der Selbstdisziplin liegen. "Kurz ordnet alles seinen Zielen unter", sagt ein Freund. Er mache Sport, um sich fit zu halten. Er gehe abends diszipliniert nach Hause und schütze sein Privatleben. In der Arbeit sei er stets pünktlich, super vorbereitet und habe wenig Verständnis für Nachlässigkeit und Schlamperei.

Selbstbestimmt

Ein so diszipliniertes Leben mutet etwas freudlos an, doch Kurz empfindet es nicht so. Selbstdisziplin verleiht auch Macht über sich selbst. Kurz hat sich eine Zeit lang intensiv mit Goethe auseinander gesetzt. Dieser schrieb zu dem Thema (etwas altmodisch): "Wer mit dem Leben spielt, kommt nie zurecht. Wer sich nicht selbst befiehlt, bleibt immer Knecht." Heute würde man das wahrscheinlich Eigenverantwortung und Selbstbestimmung nennen.

Es passt ins Bild, dass Kurz, nach dem größten Luxus in seiner Freizeit gefragt, "faulenzen" antwortet. Und dass er sich zum hedonistischen Josef Pröll von allen seinen Vorgängern an der ÖVP-Spitze am meisten hingezogen fühlt. Mit Pröll, der im Büro Leberkässemmeln aß und Red Bull trank, sei es immer "eine Gaudi" gewesen.

Kurz selbst ist weder verbissen noch humorlos, aber seine jugendliche Leichtigkeit hat er verloren. "Das war etwa vor einem dreiviertel Jahr, da ist er ernster geworden", erzählt ein Freund. "Ich glaube, damals wurde ihm bewusst, dass es mit der Übernahme der ÖVP ernst werden könnte", erinnert sich der Freund.

Ein anderer Freund glaubt, dass die Ernsthaftigkeit auch auf die Erfahrungen als Außenminister zurückzuführen sei: "Er war in den Slums von Nairobi und in Flüchtlingslagern im Irak. So viel Leid zu sehen, verändert dich."

Geduld

Als Außenminister hat Kurz gelernt, auf jedes seiner Worte zu achten. "Alles, was du sagst, kann reale Konsequenzen für die betroffenen Menschen haben", sagt einer von Kurz’ Mitarbeitern.

Diese Selbstkontrolle bei medialen Auftritten kommt Kurz im Wahlkampf zugute. Wenn ihn noch so viele Fernsehjournalisten mit Fragen zu allen möglichen aktuellen Themen bestürmen, bleibt Kurz diszipliniert auf seiner vorbereiteten Message. Geduldig sagt er, wenn nötig, fünfzehn Mal hintereinander denselben Satz in die Kameras. Auf diese Weise ist es Kurz, der die Themen im Fernsehen bestimmt und nicht umgekehrt.

"Der Sebastian zieht das durch"
Die österreichische Cobra hielt gemeinsam mit Spezialeinheiten aus Deutschland, Slowenien, Ungarn und der Slowakei eine Übung zur Terrorabwehr auf der Donau ab. Mit dabei waren Außenminister Sebastian Kurz und Innenminister Wolfgang Sobotka. Wien, 21.08.2017
Derzeit rückt Kurz das Thema Sicherheit in den Fokus. Dem passt er konsequent seine öffentlichen Auftritte an, unter anderem begleitete er Innenminister Wolfgang Sobotka letzte Woche zu einer Anti-Terrorübung auf der Donau.

Kulturwandel

Selbstdisziplin wird der Obmann auch seiner erneuerten ÖVP abverlangen. Das wird eine ziemliche Kulturrevolution, denn die ÖVP ist für ihre Disziplinlosigkeit bekannt. "Intern kann man mit Kurz über alles reden, man kann ihm auch sagen, wenn man etwas für einen totalen Blödsinn hält. Aber wenn einmal eine Linie ausgemacht ist, muss sie halten", sagt ein Mitarbeiter. "Chaos und Hackelschmeißen duldet er nicht."

Als Regierungschef will Kurz in mehrfacher Hinsicht einen Kulturwandel erreichen. Einer betrifft die Einstellung zum Umgang mit Steuergeld. "Es gibt keine Geschenke der Politiker an die Bevölkerung, denn es handelt sich immer um Steuergeld", lautet das Kurz-Credo.

Budgetdisziplin hält er auch aus sozialen Gründen für nötig. "Eine Überschuldung von Staaten trifft immer die sozial Schwachen, das hat man in Griechenland gesehen", meint er.

Serviceorientierung

Einen Kulturwandel soll es auch im Verhältnis des Staats zur Bevölkerung geben. "Bürokratische Schikanen und alles, was in Richtung Frotzelei geht, ärgern ihn sehr", erzählt ein Mitarbeiter. Serviceorientierung der Behörden werde eine Leitlinie einer von Kurz geführten Regierung sein.

Rücksichtnahme auf Funktionärsbefindlichkeiten stehen hingegen in der türkis gefärbten ÖVP nicht mehr ganz oben auf der Agenda. So will Kurz die Leistungen bei den Sozialversicherungen vereinheitlichen , was so manche besser gestellte ÖVP-Klientel treffen wird.

Damit nicht genug, will er auch Anstalten zusammenlegen und Funktionärsspielwiesen abschaffen. Ein ÖVPler prophezeit: "Wenn Kurz Kanzler wird, wird dieses Land in einigen Jahren nicht wieder zu erkennen sein. Der Sebastian zieht das durch."

KURIER: Herr Minister, Sie bewerben sich bei der Nationalratswahl um das Kanzleramt. Was macht aus Ihrer Sicht einen guten Regierungschef aus?
Sebastian Kurz: „Ein guter Regierungschef muss verlässlich und berechenbar sein. Er muss die Menschen mögen. Tut er das nicht, kommt das irgendwann einmal raus. Ein Regierungschef muss auch in der Lage sein, Entwicklungen frühzeitig zu erkennen und darf nicht immer nur dem Mainstream hinterherhüpfen. Er muss Gegenwind und Reibung aushalten.“

Was würden Sie tun, damit eine Koalitionsregierung nicht in Streit und Hader verfällt oder sich gegenseitig blockiert? Was haben Sie diesbezüglich aus der rot-schwarzen Koalition in den letzten sechs Jahren gelernt?
„Erstens, es ist ganz entscheidend, die großen Ziele und Projekte gemeinsam festzulegen.
Zweitens, Minister müssten selbstständig arbeiten dürfen. Derzeit muss jedes Detail mit einem Spiegelminister besprochen werden, wobei der Spiegel oft hauptsächlich dazu da zu sein scheint, um zu blockieren.
Drittens muss auch dem Regierungspartner ein politischer Erfolg gegönnt sein.“

Einige dieser Dinge hat man sich schon öfter in einer Regierung vorgenommen, es hat dennoch nicht geklappt. Geht das nun so einfach?
„Einfach geht gar nichts. Ich würde einmal damit beginnen, Signale der Gemeinsamkeit zu setzen und nicht Symbole der Gemeinsamkeit wie das Pressefoyer nach dem Ministerrat abschaffen. Außerdem waren bisher immer zwei annähernd gleich große Parteien in der Regierung. Vielleicht wird es einfacher, wenn das diesmal nicht mehr der Fall ist.“

Sind Sie dafür, die Kanzlerposition in irgendeiner Form zu stärken?
„Sicher kann man das System ändern. Es ist kein Geheimnis, dass ich ein Befürworter eines Mehrheitswahlrechts bin. Aber dafür müsste es die erforderlichen Mehrheiten im Parlament geben.“

Kommentare