Der Mai der Parteien ist vorbei

Machtdemonstration beim Maiaufmarsch der Wiener SPÖ am Rathausplatz 2014: Im Jahr 1979 hatte die SPÖ noch 721.000 Mitglieder, heute sind es nur noch 205.000.
Nicht nur Rot hat Hoch hinter sich. Nur jeder Zehnte ist noch bei einer Partei.

Der Maiaufmarsch als Machtdemonstration der SPÖ hat viel von seinem früheren Glanz verloren. Jedes Jahr marschieren weniger mit. Für den Politologen Fritz Plasser ist das keine Überraschung, sondern das Ergebnis einer langen Erosion der Parteien.

Der Mai der Parteien ist vorbei
ABD0029_20150501 - WIEN - ÖSTERREICH: (v.l.) Wiener BM Michael Häupl, BK Werner Faymann beim traditionellen Maiaufmarsch der SPÖ Wien am Tag der Arbeit "125 Jahre 1. Mai - Unser Tag!", Freitag 01. Mai 2015 am Rathausplatz in Wien. - FOTO: APA/HANS PUNZ
"Früher war ein Viertel der Österreicher bei einer Partei, heute nicht einmal mehr jeder Zehnte", analysiert Plasser. Die SPÖ hatte 1979 offiziell 721.000 Mitglieder. Heute sind es wenig mehr als 200.000. Allerdings zähle die SPÖ Mitglieder der Teilorganisationen nicht mit, anders als bei der ÖVP. Dort geht man von 800.000 Parteimitgliedern aus, eine Zahl, die Plasser stark bezweifelt. "Da sind nicht nur die Teilorganisationen wie Bauernbund oder Seniorenbund dabei, es zählen auch Familienmitgliedschaften und vor allem Doppelmitgliedschaften. Exakte Zahlen gibt es nicht."

Das Schwinden der Parteimitglieder hat nachvollziehbare Gründe. Denn die Beitrittsmotive haben sich in den vergangenen Jahrzehnten deutlich verändert. "Vor 30, 35 Jahren war es vor allem die ideologische Identifikation mit der Partei, auch aufgrund einer familiären Tradition. Eine Parteimitgliedschaft galt zudem als politische Versicherungspolizze, als Hilfe in Krisenzeiten, als Arbeitsplatznetzwerk und auch als Patronage, nach dem Motto ‚Die Partei hilft dir schon‘."

Österreich ist nicht zuletzt deshalb bei Parteimitgliedschaften die längste Zeit Europameister gewesen. Und das gilt nicht nur für die SPÖ, in starken ÖVP-Bundesländern, etwa in Niederösterreich, sind die Gründe ähnlich gewesen.

Das hat sich stark geändert. Brauchte man früher für eine Gemeindewohnung in Wien eine SPÖ-Mitgliedschaft, ist das heute nicht mehr nötig, sagt Plasser. Es gibt auch keine verstaatlichte Industrie mehr, wo die Parteien Arbeitsplätze "vermitteln" konnten, und auch im öffentlichen Dienst gibt kaum noch freie Stellen. Und zudem hat eine Entideologisierung stattgefunden.

Entideologisierung

"Das wird aber auch von den Parteien selbst betrieben, damit sie mehr Wähler aus anderen Gruppen ansprechen können", erklärt der Politologe. Und er nennt ein Beispiel: Das neue Parteiprogramm der ÖVP ist weit weniger auf christliche Kernschichten fokussiert, als früher. "Das ist nur realistisch, weil früher mehr als die Hälfte der VP-Mitglieder regelmäßige Kirchgänger waren. Heute sind es gerade einmal noch 30 Prozent. Die Säkularisierung überträgt sich."

Und noch etwas führt Plasser an: Für die Parteien selbst ist die Anzahl der zahlenden Parteimitglieder weitaus weniger relevant als früher. "Das hat natürlich mit der Ausweitung der Parteienförderung zu tun." Allein auf Bundes- und Landesebene bekommt die ÖVP rund 63 Millionen Euro, die SPÖ in etwa 61 Millionen Euro. "Im Vergleich dazu bekommen sie von ihren Parteimitgliedern nur einen Bruchteil, die SPÖ 3,5 Millionen, die ÖVP fünf Millionen Euro."

Und heute? "Wer heute Mitglied wird, möchte vor allem politisch mitgestalten. Oder Anschluss finden an politisch Gleichgesinnte." Zum Beispiel beim Maiaufmarsch.

Der Tag der Arbeit sorgte auch dieses Jahr wieder für Klassenkampftöne: In der Frage der nötigen Maßnahmen prallten die höchst unterschiedlichen Ansichten von Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern aufeinander. So wandte sich die Industrie strikt gegen Arbeitszeitverkürzung oder leichtere Erreichbarkeit der sechsten Urlaubswoche, während SPÖ und ÖGB dies einforderten.

Als "Themenverfehlung" und "standortfeindlich" kommentierte der Präsident der Industriellenvereinigung, Georg Kapsch, Debatten über Wertschöpfungsabgabe, Arbeitszeitverkürzung oder leichtere Erreichbarkeit der sechsten Urlaubswoche: "Solche Vorschläge gehen nicht nur völlig an den wirtschaftlichen Realitäten vorbei. Sie schädigen das Vertrauen der Unternehmen sowie Investorinnen und Investoren in den Wirtschaftsstandort, indem sie seine ohnehin massiv angeschlagene Wettbewerbsfähigkeit weiter schwächen." Allein die leichtere Erreichbarkeit der sechste Urlaubswoche würde den Unternehmen rund 780 Millionen Euro Mehrkosten verursachen - "gerade jetzt ein fatales Signal, welches sich verheerend auf die Arbeitsplatzsituation auswirken würde", wandte sich Kapsch gegen "gefährliche Experimente". Zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit forderte er vielmehr spürbare Entlastungen für Unternehmen und eine durchgängige Standortstrategie.

Keine "Panikattacken"

Konträr war der Ansatz von ÖGB-Präsident Erich Foglar in einer Aussendung am Vorabend des 1. Mai: Er forderte "nachhaltige Investitionen in soziale Infrastruktur und eine Bildungsoffensive" - aber auch eine neue Verteilung der Arbeit, Arbeitszeitverkürzung und die leichtere Erreichbarkeit der sechsten Urlaubswoche. Um die Diskussion über die Arbeitszeitverkürzung werde man nicht herumkommen, auch wenn "Vertreter und Wirtschaft und Industrie regelmäßig Panikattacken" erlitten, meinte Foglar.

Voll auf die Seite der Gewerkschaft stellte sich Bundeskanzler Werner Faymann in Sachen Urlaub: Er unterstütze die Gewerkschaft bei sozialpartnerschaftlichen Verhandlungen für die sechste Urlaubswoche, ließ der SPÖ-Chef wissen. Ein wenig zurückhaltender äußerte er sich zur Arbeitszeitverkürzung. Die hält er zwar prinzipiell für richtig und logisch "in einer Welt, in der immer mehr Roboter die Arbeit übernehmen" - aber umsetzbar wäre sie nur "in klugen Schritten im europäischen Gleichklang und natürlich nur in Übereinstimmung der Sozialpartner". "Viel mehr" will Faymann noch in Sachen Vermögenssteuern, die Steuerreform sei aber ein Riesen-Schritt zu weniger Steuern auf Arbeit.

Mehr auf der Seite der Unternehmen steht das Team Stronach: Klubobfrau Waltraud Dietrich forderte in einer Aussendung eine Steuersenkung für Unternehmen, die in Österreich investieren - und die Möglichkeit, einen Gewinn zum Teil an die Mitarbeiter auszuzahlen und dafür nicht voll zu versteuern. Damit würde auch den "Bürgern und Familien" mehr im Börsel bleiben und der Konsum angekurbelt.

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