"Demokratie ist immer auf Angst gestoßen"

Streitgespräch mit Johannes Voggenhuber und Bernd-Christian Funk
Wie kann Österreichs politisches System reformiert werden? Muss die Demokratie radikal verändert werden? Ein Streitgespräch.

Der eine, Johannes Voggenhuber, will gerade den Parlamentarismus retten; der andere, Bernd-Christian Funk, ist nicht sicher, ob Voggenhuber das zu Ende gedacht hat. Für den KURIER diskutierten der Grüne Ex-EU-Mandatar und der Verfassungsrechtler über das laufende Demokratie-Volksbegehren.

KURIER: Herr Professor Funk, eine der zentralen Forderungen von Johannes Voggenhuber und seiner Initiative lautet: Volksbegehren mit mehr als 300.000 Unterstützern müssen zwingend zu einer Volksabstimmung führen. Macht das Sinn?

Bernd-Christian Funk: Der Gedanke ist interessant, in der Praxis ergeben sich aber ernste Fragen. Was passiert, wenn Zweifel bestehen, ob durch das Vorhaben Grund- und Freiheitsrechte oder EU-Recht „eingeschränkt“ werden sollen? Was heißt überhaupt „eingeschränkt“? Genügt es, dass einzelne Bestimmungen grund- oder europarechtswidrig sind – oder dafür gehalten werden? Der Verfassungsgerichtshof hätte das zu entscheiden. Er müsste Legislativ-Streitigkeiten klären, noch ehe konkrete Regelungen beschlossen wurden. Auf den ersten Blick mag Voggenhubers Modell plausibel erscheinen. Beim näheren Hinschauen habe ich aber Bedenken.

Herr Voggenhuber, scheitert ihr Modell also am Rechtsstaat?

Johannes Voggenhuber: Demokratie ist immer auf Ängstlichkeiten gestoßen – vor allem bei Juristen. Aber ich verstehe die Einwände nicht, denn Funk unterstellt, Politiker oder Parteien könnten sich gegen Volksabstimmungen wehren, indem sie den geringsten Verdacht geltend machen, eine Volksabstimmung könnte den Grund- oder Verfassungsrechten widersprechen. Das will ich nicht annehmen, denn es würde den Verfall der Parteien rapide beschleunigen. Unser Volksbegehren zielt auf eine Sanierung der republikanischen Grundordnung und der parlamentarischen Demokratie.

Funk: Ich habe noch einen anderen Einwand: In ihrem Modell muss das Parlament möglicherweise Forderungen umsetzen, von denen es überzeugt ist, sie seien schädlich. Was macht dann das Parlament? Kann es Ergebnisse ihrer „Volksgesetzgebung“ wieder aufheben?

Voggenhuber: Natürlich nicht! Sie äußern Bedenken gegen ein Modell, das in Europa längst bewährt ist. In der Schweiz, in Skandinavien, in deutschen Städten, überall gibt es das.

Funk: Entschuldigen Sie, wenn ich interveniere, aber: Ein Overruling des Parlaments, wo gibt es das?

Voggenhuber: Schon jetzt ist jede Volksabstimmung ein Overruling. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: In der Vergangenheit war das Parlament einmal mehrheitlich der Meinung, ein Nein zur Atomkraft sei falsch. Dann hat sich herausgestellt, das Parlament irrt, das Volk hat recht – und heute würde das niemand mehr anzweifeln. Schon jetzt ist in Österreich eine Volksabstimmung bindend. Das Volk ist also in zentralen Fragen schon heute mächtiger als das Parlament.

Funk: Da übersehen sie die Prozedur! Das Volk wird derzeit nur gefragt, wenn das Parlament vorher einen Beschluss gefasst hat. Sie hingegen schlagen etwas völlig anderes vor: Sie wollen, dass Gesetze am Parlament vorbei oder sogar gegen den Willen des Parlaments beschlossen beziehungsweise durch das Volk erzwungen werden können.

Herr Voggenhuber, sie wollen auch den Bundesrat abschaffen, Agenden wie Gesundheit und Bildung beim Bund konzentrieren. Was bleibt dann eigentlich noch von den Bundesländern?

Voggenhuber: Wir haben uns nicht auf die Seite derer gestellt, die den Föderalismus abschaffen wollen. Als Salzburger sage ich aber: Wer den Föderalismus haben will, muss ihn reformieren. Das mächtigste Gremium des Landes ist eines, das nicht in der Verfassung steht – die Landeshauptleutekonferenz. Der Bundesrat ist nicht in der Lage, den Landeshauptleuten Paroli zu bieten. Deshalb wollen wir die Rechte des Bundesrates an die Landtage übertragen. Stimmt die Hälfte der Landtage gegen ein Bundesgesetz, gilt das Einspruchsrecht, man könnte überlegen, es auszuweiten. Die Konsequenz: Wir ersparen uns viel Geld, die Landtage werden aufgewertet und Gesetzesmaterien wie Bildung oder Umwelt könnten zum Bund wandern.

Funk: Mir ist das zu einfach. Was meinen Sie mit Bildung? Vom Kindergarten bis zur Uni sollen die Länder ausgeklammert werden? Das halte ich nicht für sinnvoll. Auch die Umwelt greift de facto in alle Themenfelder ein. Wenn Sie das ernst meinen, dann frage ich mich: Was bleibt den Ländern noch?

Voggenhuber: Herr Professor, da geht es nur um Grundprinzipien. Wir haben hier eine Richtung vorgegeben, ein paar konkrete, nicht bis zum letzten Detail ausformulierte Vorschläge.

Funk: Aber wenn Sie sagen, die Gesetzgebung bei der Bildung soll an den Bund übertragen werden, ist das eine sehr konkrete Aussage. Im Übrigen besteht die Schwäche des Bundesrates ja darin, dass er kein absolutes, sondern nur ein aufschiebendes Veto hat. Wenn dieses schwache Recht auf die Landtage übergeht, dann ändert sich rein gar nichts.

Demokratie-Volksbegehren: Fakten

Forderungen

Das Begehren „Demokratie Jetzt!“ fordert u. a. ein neues Wahlrecht und automatische Abstimmungen für Volksbegehren mit mehr als 300.000 Stimmen.

Eintragung

Unterschrieben werden kann täglich (auch am Wochenende) bis 22. April auf dem Gemeindeamt.

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