Dem Bundespräsidenten Rechte wegnehmen? "Kein Vorteil für das Staatsgefüge"

"Kompetenz-Beschneidung in laufender Periode wäre Not-Go", sagt Fischer.
Alt-Bundespräsident Fischer warnt: Ein machtloses Staatsoberhaupt würde die Frage der Volkswahl aufwerfen. Diese habe sich aber bewährt.

SPÖ, ÖVP und Grüne schicken sich an, die verfassungsmäßigen Rechte des Bundespräsidenten einzuschränken. Diese drei Parteien verfügen über die dafür erforderliche Zweidrittelmehrheit im Parlament. Ihr Vorhaben würde die fein austarierte österreichische Verfassung aus dem Lot bringen. Davor warnt Alt-Bundespräsident Heinz Fischer im Interview mit dem KURIER.

Die wichtigsten Punkte, um die es geht:

Nationalrat auflösen Der Bundespräsident kann auf Vorschlag der Regierung den Nationalrat auflösen. Das wollen SPÖ und ÖVP abschaffen, die Grünen einschränken.

Regierung entlassen Der Bundespräsident kann die gesamte Bundesregierung entlassen. Das wollen die Grünen abschaffen.

Ernennungsrecht Der Bundespräsident ernennt den Kanzler und die Minister, was ihm ermöglicht, Minister auch abzulehnen. Minister-Hearings im Parlament, wie vielseits gefordert, würden dem Bundespräsidenten de facto das Ernennungsrecht entziehen.

Diese Rechte sind gemeint, wenn Heinz Fischer von der "Notbremse" spricht.

KURIER: Herr Alt-Bundespräsident, was halten Sie von dem Vorhaben, die Kompetenzen des Bundespräsidenten zu beschneiden?

Heinz Fischer: Österreich hat in Bezug auf das Staatsoberhaupt eine Verfassungslage, die sich während der Tätigkeit von acht Bundespräsidenten über 72 Jahre hinweg bewährt hat. Wir haben einen Bundespräsidenten, der vom Volk gewählt wird und damit eine starke Legitimation hat und in der Lage ist, in einer Notsituation als "Notbremse" wirksam zu werden. Diese Kompetenzen mussten glücklicherweise bisher nie in Anspruch genommen werden und wurden auch nie missbraucht. Österreich ist in der glücklichen Lage, ein logisches, bewährtes, in sich geschlossenes und auf der Wahl durch das Volk beruhendes Präsidentenamt zu haben. Natürlich kann man dem Bundespräsidenten Kompetenzen wegnehmen, aber ich sehe darin keinen Vorteil für das Staatsgefüge.

Ist es nicht auch unhöflich, einem frisch gewählten Staatsoberhaupt Rechte wegnehmen zu wollen?

Es wäre aus meiner Sicht ein No-Go, eine Beschneidung der Kompetenzen in der laufenden Amtsperiode wirksam werden zu lassen. In diesem Wahlkampf wurde wirklich ausführlich über Personen und Kompetenzen debattiert. Kaum ist die Wahl vollzogen, sagt man, wir ändern jetzt die Spielregeln? Wenn überhaupt, könnten solche Änderungen nur nach Ende der jetzigen Amtsperiode in Kraft treten. Aber ein überzeugendes Argument, warum das stattfinden soll, sehe ich nicht.

Zwei Argumente werden immer wieder genannt. Eines lautet: Wenn man diese extremen Machtbefugnisse wie Nationalrat auflösen und Regierung feuern eh nie gebraucht hat, wieso schaffen wir sie dann nicht gleich ab?

Meine Antwort: Eine Notbremse im Arlbergexpress, die man in zwanzig Jahren niemals ziehen musste, ist trotzdem ein wichtiges Element der Sicherheit.

Das zweite Argument lautet, man müsse aus dem Umstand, dass Norbert Hofer so nahe an einen Sieg heran kam, Konsequenzen ziehen. Es könnte ja jemand ins Amt gelangen, der sich nicht an die bisherige Notbremsenverordnung hält und sie vielleicht vorschnell zieht. Würden Sie, wenn Norbert Hofer jetzt in der Hofburg wäre, auch gegen eine Kompetenzbeschneidung auftreten?

Ich denke schon. Ich würde mich jedenfalls dagegen wehren, dass man während der Amtszeit des gewählten Bundespräsidenten in dessen Befugnisse eingreift. Und dazu muss man noch etwas sagen: Eine missbrauchssichere Verfassung gibt es nicht. Es könnte theoretisch auch ein Bundeskanzler oder ein Minister seine Kompetenzen missbrauchen. Deswegen ist es ja so wichtig, dass eine Verfassung Checks and Balances kennt. Wir haben eine Verfassung, die auf einer Machtbalance zwischen Parlament, Regierung und Bundespräsident und dem Verfassungsgerichtshof im Hintergrund beruht. Und das funktioniert. Es gibt so viele gesetzliche Regelungen, die sich nicht bewährt haben und wo ein akuter Reformbedarf besteht. Der Verfassungskonvent hat eine Fülle von Reformvorschlägen gemacht, die man verwirklichen könnte. Eine Schwächung der Position des Bundespräsidenten hat der Verfassungskonvent nicht vorgeschlagen.

Gewähren Sie uns bitte Einblick in die Praxis. War es für Sie hilfreich, dass es diese Notbremsen-Rechte gab, sozusagen als Drohkulisse im Hintergrund, auch wenn die Regierung wusste, dass Sie sie niemals anwenden würden?

Ja. Genau das. Auf Englisch nennt man das eine fleet in being. Sie muss noch gar nicht schießen, allein, dass sie da ist, hat Auswirkungen. Man kann den Bundespräsidenten nicht einfach ignorieren, denn er ist mit wichtigen Rechten ausgestattet.

Wenn man die Kompetenzen wie von SPÖ, ÖVP und Grünen vorgeschlagen beschneidet – ist dann die Volkswahl noch berechtigt?

Ich bin ein Anhänger der Volkswahl, sie hat sich bewährt. Seit 1945 wurden neun Bundespräsidenten gewählt, und es war jedes Mal eine plausible Entscheidung. Es wird auch der zehnte und elfte Bundespräsident vom Volk in einer vernünftigen Weise gewählt werden. Die Volkswahl ist mit dem Gedanken verknüpft, dass sie vor allem sinnvoll ist, wenn jemand gewählt wird, der eine sehr wichtige Funktion hat. Man kann natürlich auch einen Bundespräsidenten vom Volk wählen lassen, der wenig zu reden hat, doch irgendwann nähert man sich dann dem Punkt, wo man fragen muss: Wozu die Volkswahl?

Was halten Sie von der Abschaffung des Begnadigungsrechts?

Heute erfolgen Begnadigungen nach dem Vier-Augen-Prinzip, indem Bundespräsident und Justizminister übereinstimmen müssen, dass eine Begnadigung, die ja einen Eingriff in die Gerichtsbarkeit darstellt, gerechtfertigt ist. Worin liegt der Vorteil, wenn aus dem Vier-Augen-Prinzip ein Alleinentscheidungsrecht des Justizministers wird? Mir ist kein Fall bekannt, dass sich ein Justizminister über die bestehende Rechtslage beschwert oder ein Alleinentscheidungsrecht gefordert hätte. Das müssten eigentlich auch die Grünen wissen.

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