Das zentrale Staatsarchiv in Erdberg gliedert sich in ein Kriegsarchiv, ein Verwaltungsarchiv und ein Archiv der Republik. Es beinhaltet Dokumente aus Ministerien, aber auch aus staatsnahen Betrieben wie den ÖBB.
Diese lagern bei 18 Grad und einer Luftfeuchtigkeit von 40 bis 60 Prozent. Kein Sonnenstrahl dringt in die neun ober- und vier unterirdischen Stockwerke des gesonderten Trakts im Herzen des Gebäudes. Der KURIER besuchte es am Freitag.
Eine Klimaanlage bildet das Hintergrundrauschen, als Fink an Hebeln seitlich an den Regalen dreht, um den Blick auf die sauber geschlichteten und beschrifteten Pappkartons in den 2,20 Meter hohen, grünen Rollregalen freizugeben. Die älteren Kartons sind teilweise stark vergilbt, die mit Bleistift notierten Nummern aber noch leserlich. Sie beinhalten kiloweise Papier, jene jüngeren Datums oft nur noch Datenträger.
Die Kartons stehen hier 25 Jahre lang, bis sie zum ersten Mal von Archivmitarbeitern geöffnet und ihre Inhalte aufgearbeitet werden. Jeder, der eine Benutzerkarte des Staatsarchivs hat, darf nach Ablauf von 30 Jahren darauf zugreifen. Das sind, so Fink, meist Historiker und Studenten; immer wieder sitzen im Lesesaal auch Modelleisenbahn-Bastler, die sich in Baupläne historischer ÖBB-Loks vertiefen.
Eben erst freigegeben wurden Akten aus dem Innenministerium aus dem Jahr 1989. Rund um den Fall des Eisernen Vorhangs ist da von gewaltsamen Zwischenfällen zu lesen – etwa, wie von hinten auf Flüchtlinge geschossen wurde, die aus Tschechien und Ungarn über die Grenze nach Österreich liefen.
So viel zum Generellen; aktuell im Fokus ist aber das, was speziell im „Sperrspeicher“ gehortet wird: Schriftgut aus den Kabinetten der Kanzler und Minister.
Kabinette sind eine relativ moderne Erscheinung, die erst seit dem Jahr 2000 im Bundesarchivgesetz berücksichtigt werden, erklärt Fink. „Früher hatten die Minister nur ihren Beamtenstab im Ministerium. Dann wurden zunehmend Mitarbeiter für die direkte politische Arbeit beschäftigt. Das sind die Kabinette, wie wir sie heute kennen.“
Das Schriftgut der Kabinette, das keinen Eingang in offizielle Akten findet, „kann vom Schmierzettel der Sekretärin über den Zeitungsbericht, den sich ein Pressesprecher aufgehoben hat, bis zum parteiinternen Strategiepapier alles sein“.
Diese Kartons sind wegen ihres politischen Inhalts besonders heikel – und werden deshalb extra versiegelt. Hineinschauen darf vor Ablauf der 25-Jahres-Frist nur der Amtsträger selbst bzw. eine Vertrauensperson oder ein Erbe – und auch das nur im Beisein eines Archivars, der genau protokolliert, was entnommen wurde.
Für einen Historiker ist dieser Bereich der mit Abstand interessanteste. „Da wird Geschichte ein wenig anders geschrieben als in Aktenform. Es sind vielleicht brillante Visionen, die aber nie umgesetzt wurden“, sagt Fink – ein 64-jähriger Mann im Schnürlsamt-Sakko, seine Augen leuchten förmlich beim Erzählen.
In einem Jahr geht er in Pension. Als privater Forscher wird er dann 2030 endlich erfahren, was Viktor Klima als erster Kanzler seit der gesetzlichen Neuregelung hinterlassen hat. Nach so langer Zeit dürfte sich die Forschung dafür interessieren, politische Gegner des früheren SPÖ-Kanzlers aber wohl nicht mehr.
So gesehen wären jene Festplatten, die die ÖVP auf dubiose Weise vernichten ließ, weil sie angeblich Angst hatte, dass sie in falsche Hände geraten, im Staatsarchiv gut aufgehoben gewesen.
Fink lacht. „Der Gedanke hat schon was.“
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