Negativer Vertrauenssaldo
Warum? Nun, das Image der institutionalisierten Politik ist desaströs, wie der OGM-APA-Vertrauensindex vom Juni zeigt: De facto alle Bundespolitiker leiden unter einem deutlich negativen Vertrauenssaldo.
„Das Ansehen der Politik ist einfach schlecht, insbesondere auf kommunaler Ebene haben wir ein Nachwuchsproblem“, sagt Sonja Jöchtl.
Gemeinsam mit Experten aus Deutschland und Österreich hat die frühere Geschäftsführerin der Europäischen Forum Alpbach Stiftung den Lehrgang „Love Politics“ entwickelt. Es ist eine Art Crashkurs für Quereinsteiger und politische Talente. Resilienz gegen Druck ist ein Thema; Kommunikation und In-der-Öffentlichkeit-Stehen ein anderes.
Die Frage „Wer tut sich Politik noch an?“ scheint sich bei „Love Politics“ nicht zu stellen, im Gegenteil: Für die 35 Ausbildungsplätze gab es mehr als 1.200 Bewerber aus Österreich, der Schweiz und Deutschland. „Unsere Kandidaten verbindet, dass sie nichts werden, sondern etwas tun wollen“, sagt Jöchtl. Eben Menschen wie Yvonne Heuber. Oder Alexander Auer. Oder Lorenzo Ramani.
Gemeinsam mit Initiatorin Jöchtl sitzen die drei in einem Wiener Gastgarten und erzählen, warum sie sich engagieren und Politik machen wollen.
"Zusammenhalt stärken"
Heuber interessiert die Kommunalpolitik. Sie will mithelfen, „dass der Zusammenhalt stärker wird“.
Der 29-jährige Start-up-Unternehmer Alex Auer überlegt noch, welche Idee er umsetzen will. „Das kann eine Kandidatur auf kommunaler Ebene sein, oder es wird ein wirtschaftspolitisches Projekt.“ Wichtig ist ihm, dass Politik keine Erzählungen verbreitet, die sie nicht halten kann. „Wenn ich behaupte, dass in Österreich Leistung etwas wert ist, und es aber gleichzeitig für ein junges Akademiker-Paar mit gutem Job in einer Stadt wie Innsbruck unmöglich ist, sich etwas aufzubauen, dann verliere ich die Menschen – vor allem die jungen.“
Ist die Jugend grundsätzlich politisch desinteressiert? Lorenzo Ramani unterrichtet selbst Mittelschüler und widerspricht der These.
"Kein echter Österreicher"
Ramanis Mutter musste nach Österreich flüchten. Der in Tirol geborene 25-Jährige sieht viele Gründe, warum sich junge Menschen, insbesondere mit Migrationshintergrund, nicht von der Politik vertreten fühlen. „Ich wuchs am Rande des Alpbachtals auf und hab mit meiner Schuhplattlergruppe stolz für den Bundespräsidenten geschuhplattelt. Trotzdem hat man mir gesagt ‚Du bist kein echter Österreicher‘. Das macht etwas mit einem Kind.“
Ramani will sich für politische Bildung in den Schulen und Fragen der Chancengleichheit engagieren. Und er weiß, was er nicht will, nämlich: aalglatt sein. „Den trainierten Politikertypus haben viele satt. Ich will Politiker mit Ecken und Kanten.“
Politik, aber nicht lebenslang
Dass es Ausbildungsschienen wie „Love Politics“ dringend braucht, dafür besteht für Politikanalyst Peter Filzmaier kein Zweifel. „Bis auf die Jahre unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg war Politik noch nie so schwierig wie heute.“ Gesellschaft und internationale Vernetzung seien komplex. Gleichzeitig gelte es, multiple Krisen zu bewältigen. „Wir würden viel mehr Aus- und Fortbildung in der und für die Politik brauchen“, sagt Filzmaier. „Und das wäre keine Konkurrenz, sondern eine Ergänzung zu den Parteiakademien.“ Und im Übrigen bestehe eine der größten Unkulturen Österreichs darin, dass Menschen ihr ganzes Leben in der Politik verbringen, man könnte auch sagen: verharren.
Bei den drei Erwähnten besteht diese Gefahr wohl kaum. „Ich sehe jetzt einfach ein Fenster, in dem ich Energie und Zeit habe, mich zu engagieren“, sagt Alexander Auer stellvertretend für alle. Der Gemeinderat in Innsbruck wäre eine Perspektive, wo er sich einbringen, etwas ändern könnte. Aber eines sei völlig klar: „Ich muss und will nicht mein ganzes Leben in der Politik verbringen.“
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