"Das Busserl war für Alois Mock etwas ganz Außergewöhnliches"

Interview mit Brigitte Ederer
Gemeinsam mit dem verstorbenen VP-Außenminister Alois Mock hat die Ex-SPÖ-Politikerin Gitti Ederer die Verhandlungen über den EU-Beitritt geführt. Wie die ehemalige Staatssekretärin den "Helden von Brüssel" erlebte.

Mit dem österreichische EU-Betritt assoziiert man vor allem ein legendäres Bild: Es ist das ganz spontane Busserl, das der am Donnerstag verstorbene ÖVP-Außenminister Alois Mock der verdutzten SPÖ-Staatssekretärin Brigitte Ederer nach erfolgreichem Abschluss der Verhandlungen mit Brüssel im März 1994 auf die Wange drückte. "Der EU-Tausender und das Busserl werden von mir übrig bleiben", sagt Ederer gerne.

Gerade das "Busserl" lässt auf eine vertraute Beziehung zwischen Mock und Ederer trotz der unterschiedlichen politischen Couleurs schließen. Das war aber nicht von Anfang an so. Mock nannte die damals 38-jährige Ederer anfangs noch etwas herabwürdigend das "Maskottchen" des Verhandlungsteams. Letztendlich schweißte aber das gemeinsame Ziel die unterschiedlichen Persönlichkeiten dann doch zusammen. Was Ederer an dem großen Staatsmann Mock schätzte, erzählt sie im Interview.

KURIER: Frau Ederer, Sie haben den wichtigen Beitritt für Österreich in die EU mit Alois Mock verhandelt. An welche Momente haben Sie sich in den letzten Tagen gerne zurückerinnert?

Gitti Ederer: Da gibt es viele Momente, die die Öffentlichkeit auch kennt. Anfangs waren wir emotional nicht sehr verbunden. Mir hat aber sein Wille, sein Engagement und sein unermüdlicher Einsatz für Österreich große Achtung abgerungen. Unser Verhältnis war distanziert, aber am Ende der Verhandlungen war sie von großem gegenseitigen Respekt getragen, und ich denke, er hat mich letztendlich auch sehr geschätzt.

Das heißt, Sie und Alois Mock mussten sich immer wieder zusammenraufen. Am Ende hat Sie das gemeinsame Ziel geeint?

Das gemeinsame Ziel hat uns viele Differenzen, die es immer wieder gegeben hat, überwinden lassen. Diese Gabe ist heute keine Selbstverständlichkeit mehr. Wir wussten, am Ende des Tages müssen wir eine gemeinsame Position finden, um ein gutes Ergebnis für Österreich bei den EU-Verhandlungen zu erreichen. Denn nur dann war uns das Ja der Österreicher bei der Abstimmung sicher.

Alois Mock war bei den Verhandlungen 1994 von der Parkinson-Krankheit schon gezeichnet. Er soll bis zur Erschöpfung verhandelt haben. Wie haben Sie diese Phase erlebt?

Er hat sich in keiner Phase geschont. Man kann sich die Disziplin und den Arbeitswillen des Alois Mock wahrscheinlich nicht vorstellen, wenn man ihn nicht selbst erlebt hat. Trotz seiner Krankheit hat er bis in die tiefe Nacht gearbeitet. Nicht selten bekam ich um 23.00 Uhr von ihm noch einen Anruf, weil er gerade Unterlagen gelesen hatte. Gerade die letzten drei Tage bei den Endverhandlungen in Brüssel waren ein unglaublicher Sitzungsmarathon. Da ist jeder im Verhandlungsteam an seine Grenzen gestoßen, auch Alois Mock.

Stimmt es, dass Mock bei den Verhandlungen viel Zitroneneis und Bananen gegessen hat, weil ihm jemand eingeredet hatte, das sei gut für ihn?

Diese konkrete Wahrnehmung hatte ich bei den Verhandlungen nicht, weil ich viel zu fokussiert und ständig mit dem damaligen Bundeskanzler Franz Vranitzky telefonisch im Kontakt war. Was aber stimmt, ist, dass Mock generell sehr gerne Eis und Süßigkeiten mochte.

Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel meinte im ZiB 2-Interview, dass Alois Mock den Riecher für den richtigen Zeitpunkt für den EU-Beitritt hatte. Warum hatte ausgerechnet er diesen Weitblick?

Alois Mock wollte mit aller Macht, dass Österreich der Europäischen Union beitritt, weil er befunden hat, dass die EFTA (Europäische Freihandelsassoziation mit Schweiz, Norwegen, etc.) immer kleiner und unwichtiger wird. Dieser Befund war vollkommen richtig. Mock hatte erkannt, dass die Europäische Union der zentrale politische Macht- und Wirtschaftsfaktor wird. Hier musste Österreich unbedingt dabei sein. Deswegen drängte Alois Mock so, den Brief nach Brüssel abzuschicken.

Was hat Alois Mock als Verhandler bei den Beitrittsgesprächen mit der EU in Brüssel ausgezeichnet?

Er war einerseits ein Diplomat, aber andererseits war er auch immer gut vorbereitet und konnte Positionen gut darstellen. Gerade seine Diplomatie war mir manches mal einen Hauch zu stark ausgeprägt. Ich hatte aber auch eine andere Rolle, weil ich stets mitdenken musste, welche Verhandlungsergebnisse kann man in Österreich als Erfolg verkaufen und welche nicht.

Trotz der jahrzehntelangen Polit-Karriere von Alois Mock existiert eigentlich nur ein Foto, das unter die Kategorie Inszenierung fällt – nämlich die Zerstörung des Eisernen Vorhangs, wo er mit dem ungarischen Außenminister Gyula Horn den Zaun zerschnitt. Heute hat man das Gefühl, dass durch die Sozialen Medien die Inszenierung wichtiger als die Sachpolitik ist. Ist mit Alois Mock ein alter Typus von Politiker gestorben?

Es gibt noch ein anderes Foto, das unvergesslich mit Alois Mock verbunden ist. Bei einem Staatsbesuch bei König Hussein in Jordanien erschien Alois Mock für einen Jachtausflug in Polo-Shirt und kurzer Hose, dazu weiße Socken und Sportschuhe. Das hat ihm viel Häme in Österreich eingebracht. Aber das war ein Hoppala, das ihm passierte. Dahinter steckte keine Inszenierung. Alois Mock war geprägt von einem konservativen Lebensbild. Es ging ihm um Werte, um die Gestaltung der Gesellschaft. Aber ich würde nicht sagen, dass mit ihm ein Politiker-Typus ausstirbt. Ich würde vielmehr sagen, dass sich die Politik insgesamt so stark verändert hat, dass sich Alois Mock heute sicher schwertun würde.

Der Traum von Alois Mock war die Kanzlerschaft, die er nie erreicht hat. Hat er Ihnen diese Enttäuschung jemals offenbart?

Diese bittere Niederlage hat ihn viele Jahre später noch beschäftigt. Es war während der EU-Verhandlungen, wo wir wieder einmal warten mussten, da erzählte er mir plötzlich, wie knapp er 1986 dran war, ins Kanzleramt einzuziehen. Bei diesem Gespräch erklärte er mir: "Hätte es Jörg Haider nicht gegeben, wäre ich Bundeskanzler geworden." Jörg Haider war damals ganz neu auf die politische Bühne gekommen, verdoppelte die Stimmen der FPÖ. Für Mock zerschellte damit sein Traum. Mich hat es damals eigentlich überrascht, wie präsent dieses Thema bei ihm noch immer war.

Sie haben jetzt schon mehrmals erwähnt, dass Ihre Beziehung nicht immer die beste war. Wie schwer war es für Sie als Sozialdemokratin mit Alois Mock, der eine tiefschwarze DNA hatte, einen gemeinsamen Weg zu finden?

Am Anfang war es wirklich schwierig. Alois Mock war der ältere und erfahrene Politiker. Ich war viele Jahre jünger und hatte im diplomatische Bereich keinerlei Erfahrung. Eine gemeinsame Positionierung mit ihm zu finden, war nicht leicht. Zu Beginn wusste Alois Mock sicher nicht, was er mit mir anfangen soll. Wir sind dann zusammengewachsen. Dann hat er honoriert, dass ich für Österreich gute Arbeit leiste.

Das legendäre Busserl nach dem erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen war der Höhepunkt der Anerkennung?

Ja, auf jeden Fall. Das Busserl war für Alois Mock, der kaum Emotionen zeigte, etwas ganz Außergewöhnliches. Das haben mir viele bestätigt, die Mock gut kannten. Es war eine Mischung aus Dank und Anerkennung.

Alois Mock hat Sie einmal als das "Maskottchen" der Verhandlungen bezeichnet. Diese Verniedlichung zeigt wohl sehr deutlich, wie sehr Sie sich den Respekt als Frau erarbeiten mussten ...

Als ich davon hörte, habe ich ihn darauf angesprochen und meinte, das sei kein fairer Umgang. Alois Mock entschuldigte sich dann bei mir. Aber diese Situation zeigt seine Sicht der Dinge. Mit Sozialdemokraten und mit Frauen in der Politik konnte er nicht viel anfangen.

Auch wenn Sie ein Busserl von Alois Mock bekamen, die EU-Verträge durften Sie auf Wunsch der ÖVP nicht unterschreiben. Wie sehr ärgerte Sie dieses Manöver?

Schauen Sie, ich war damals die einzige Frau und das jüngste Mitglied im Verhandlungsteam. Im Profil erschien ein Artikel mit dem Titel: "Der rote Engel". Die ÖVP hatte einfach Angst, dass wir ihnen den Erfolg des EU-Beitritts wegnehmen. Ich habe damals eine Woge der Sympathie erlebt. Bundeskanzler Franz Vranitzky konnte man schwer das Recht der Unterschrift absprechen. Also machte man es bei mir. Nur hatte sich die ÖVP damit ins eigene Fleisch geschnitten, denn meine Popularität wurde dadurch noch größer.

Sie waren die einzige Frau damals im österreichischen Verhandlungsteam. Heute führt Angela Merkel die EU. Sind Frauen weniger eitel und dadurch die besseren Politiker?

Ich finde, dass Angela Merkel einen wirklich guten Job innerhalb der EU macht. Mir gefällt, dass sie die Bedeutung Europas hervorhebt. Oder auch, dass sie nach Nordafrika fährt, um die Probleme der Migration zu erkennen, um Lösungen weiterzuentwickeln. Das macht sonst kaum ein Politiker in Europa. Ob Frauen die besseren Politiker sind, weiß ich nicht. Aber sie haben einen breiteren Blick. Frauen wissen, wenn man an der Schraube A dreht, dass auch etwas bei der Schraube B, C und D in Bewegung kommt. Männer gehen nach dem Muster vor: Jetzt drehen wir mal an der Schraube A und warten ab, was passiert.

Hatten Sie in den letzten Jahren mit Alois Mock noch Kontakt?

In den ersten Jahren nach dem EU-Beitritt war es Tradition, dass ich ihn immer am Tag der Volksabstimmung angerufen habe. Das letzte Mal habe ich Alois Mock vor vier Jahren gesehen. Im Jänner gab es im Außenministerium ein 30-jähriges Jubiläumsfest, weil er 1987 Außenminister wurde. An dem Event nahm seine Frau Edith teil, aber er selber schaffte es offenbar nicht mehr.

Wie sehr die Parkinson-Krankheit Alois Mock schwächte, war unübersehbar. Wie haben Sie den Verlauf seiner Krankheit erlebt?

Meine Mutter war eine einfache Frau, und sie hätte es so ausgedrückt: Diese Krankheit hat er sich nicht verdient. Man müsste schon ein Unmensch sein, wenn einen dieser Verfall nicht berührt hätte. Man spürte, welch unglaubliche Qual die Krankheit für ihn war und wie sehr er sich aufraffen musste. Trotzdem gab er seinen Job nicht auf. Als er dann in Pension war und im Rollstuhl in Begleitung seiner Frau zu ausgewählten Einladungen kam, hat mich der Verlauf seiner Krankheit sehr bedrückt.

Die Droge Politik lässt einen offenbar nicht los, selbst wenn man so schwer krank ist wie Alois Mock. Warum sind Sie eigentlich nie mehr in die Politik eingestiegen?

Weil ich bei Siemens in Etappen gewisse Karriereschritte gemacht habe. Wenn man einmal aus der österreichischen Innenpolitik ausscheidet, dann ist es vor bei. Ich kann mich an keinen erinnern, der ein Comeback schaffte. Wenn man weg ist, ist man weg.

Stimmt es, dass Sie jetzt als eine Art Business Angel für Start-up-Unternehmen agieren?

Als ich aus Deutschland wieder nach Österreich kam, habe ich mir überlegt, was mir Spaß machen würde. Da habe ich mich entschieden, dass ich mich an zwei bis drei Start-ups beteilige werde, die ich spannend finde. Aber im Moment verdiene ich damit noch kein Geld. Momentan zahle ich nur ein.

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