Das blieb von der Willkommenskultur

Das blieb von der Willkommenskultur
Vier Flüchtlingsschicksale: Meist sind Asylwerber zum Warten verdammt

Rund 90.000 Asylanträge wurden im vergangenen Jahr in Österreich gestellt. In Einzelfällen ging es rasch mit dem Asyl, ansonsten heißt es Warten. Asylwerber sind meist zur Untätigkeit verdammt. Das treibt viele in die Verzweiflung – und einzelne sogar zurück in die Heimat.

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FPÖ-Demonstration vor dem Flüchtlingslager in Wien-Erdberg am 03.06.2015 Vater Ziad R. (28) und Sohn Mahmoud (4)

"Sind dankbar, bleiben zu dürfen"

Maram (27) und Ziad (28) sitzen mit Sohn Mahmoud (4) am abgewohnten Sofa in einer kleinen Wohnung, die ihr ganzes Glück bedeutet. Bei der syrischen Familie, die letztes Jahr im Juni mittels Schlepper über die Balkanroute nach Österreich kam, ging alles ganz schnell. Schon Ende August, also rund zwei Monate nach ihrer Ankunft, hatten sie einen positiven Asylbescheid. Vielleicht war es die Medienpräsenz, die ihnen zum Express-Asylstatus verhalf. Denn jenes Foto, das ihre Ankunft im Asylzentrum Erdberg dokumentierte, wurde zum Thema im Wiener Wahlkampf im vergangenen Herbst.

Damals demonstrieren vor dem Asylzentrum in Erdberg gerade 20 FPÖ-Sympathisanten. Es ist jener Moment, den KURIER-Fotograf Jürg Christandl festhält. Das Foto wird Tausende Male in den Sozialen Medien geteilt.

Mittlerweile lebt die dreiköpfige Familie in einer kleinen Wohnung, die sie von einer Wienerin zur Verfügung gestellt bekommen. Seit Oktober pauken Ziad und Maram jede Woche 12 Stunden Deutsch. Sohn Mahmoud geht in den Kindergarten, damit auch er so schnell wie möglich Deutsch sprechen kann. Waren es im Oktober nur einzelne Worte, die Mahmoud auf Deutsch aussagen konnte, sind es jetzt schon viele, viele Sätze. Die syrische Familie, die vor der Flucht in der Nähe von Damaskus lebte, erhält Mindestsicherung von rund 1400 Euro. „Wir sind dankbar bleiben zu dürfen und ein neues Leben starten zu können“, so Ziad. Und dieses neue Leben soll schon bald beginnen. „Ich habe früher im Hotel-Business gearbeitet und hoffe, dass ich wieder einen Job finde. Meine Frau und ich wollen Österreich etwas zurückgeben.“

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Flüchtlinge, Mohammed, irakische Familie, Caritas

"Zu Hause herrscht ein stiller Krieg"

Sie gehören zu jenen 13.602 Irakern, die 2015 in Österreich um Asyl angesucht haben. Zu jenen Abertausenden, die über 1000 US-Dollar pro Person für Schlepper bezahlt haben, um erst über den See- und dann Landweg nach Europa zu gelangen. Zu jenen 180 Flüchtlingen, für die das Caritas-Notquartier in Wien -Döbling seit einem halben Jahr stete Bleibe ist.

Keine 15 Quadratmeter stehen Vater Waad, Mutter Suhevaldlimi und deren Söhnen Ali (21) und Mohammed (14) zur Verfügung. Platz genug, um Flüchtling Youssef, „der wie ein Sohn und Bruder ist“, ständig bei sich zu haben. Vier Matratzen, 40 Euro Taschengeld pro Monat und tägliche Ungewissheit. „Wir warten. Warten auf den Asylbescheid,“ sagt Vater Waad. „Jeden Tag essen, schlafen, warten, essen, schlafen, warten“. Sie sind zum Nichtstun verdammt – bis auf Mohammed.

Der 14-Jährige geht seit fünf Wochen in die Schule, spricht fließend Englisch, versucht sich in Deutsch und übersetzt für die Eltern ins Arabische. Alltag einer sunnitischen Familie aus dem Irak, die dem Terror entkommen ist. „Die Menschen sehen nicht das ganze Bild. Sie sehen immer nur Syrien. Im Irak ist seit 1991 Krieg. Zu Hause herrscht ein stiller Krieg“, sagt Waad. Sohn Ali zeigt ein Video auf seinem Handy. Bombardements in Bagdad. IS-Flaggen auf Ruinen. Tote Zivilisten am Bazar. „Im Irak gibt es kein Leben“, sagt der 14-jährige Mohammed, „weil du deines Namens wegen erschossen wirst“. Was, wenn das Warten schlecht endet? Wenn der Asylbescheid negativ ist? Erst Schweigen, dann Fragen – „Wo sollen wir hin?“, „Nach Hause?“, „Zurück in den Krieg?“ – und eine Antwort: „Wir können nicht zurück.“

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Sami Ullah Flüchtling Afghanistan_Fotos von Bernhard Gaul HONORARFREI

"Derzeit hängt alles in der Luft"

Als sein Name auf einer Todesliste stand, die man an einer Moschee affichiert hatte, da wusste Sami: Es ist Zeit zu fliehen. Zuerst bis in die Türkei. Als man ihm dort Arbeit und Ausbildung verweigerte, ging er weiter, bis nach Wien. Er wusste nichts über Österreich, als er im Juni 2015 bei der letzten Bahnreise seiner langen Flucht am Wiener Hauptbahnhof von der Polizei aufgegriffen wurde. In Traiskirchen wurden seine Fingerprints genommen, und es fand ein erstes Interview mit der Behörde statt. Er bekam die „grüne Karte“, eine Identitätskarte mit Foto, die als „Verfahrenskarte“ zu Beginn jedes Asylverfahrens ausgestellt wird.

Bis heute war das Samis einziger Kontakt mit dem offiziellen Österreich. Er würde gerne wissen, wie das Verfahren aussieht, doch die einzige Auskunft lautet: „Warte.“ Dabei hatte Sami Glück, großes Glück sogar. Er ist alleine in Österreich, und wurde von einem Wiener Ehepaar aufgenommen. Durch die familiäre Unterstützung sind Integration und Deutsch lernen keine große Hürde, sondern Realität. Er spricht Deutsch. Das haben vor allem die vielen freiwilligen Lehrer der katholischen Wiener Albertus Magnus Schule geschafft, die aus eigener Initiative Deutsch unterrichten und ihn auch sozial integrieren. „Großartig“, findet Sami das und lächelt.
Aber all der Aufwand, Deutsch zu lernen, hat unter diesen Bedingungen etwas Eigenartiges. Er fragt sich langsam, ob er nicht mehr Englisch üben sollte, da er mit Deutsch – sollte er nicht bleiben dürfen – in kaum einem anderen Land etwas anfangen kann. Außerdem hängen alle weiteren Schritte, wie eine Berufsausbildung, in der Luft. Sami hofft. Angst hat er auch.

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Caritas, Flüchtlinge, Rückkehrberatung, 9., Spitalgasse

"Ich gehe zurück nach Syrien"

Razan Al-Sayed Ali hat viel auf sich genommen, viel riskiert, um von Syrien nach Europa zu kommen. Sie hat es geschafft. Und sie hat gute Aussichten, in der EU Asyl zu erhalten: Der überwiegende Großteil der Syrer hat zuletzt positive Bescheide erhalten, in Österreich waren es im Vorjahr über 90 Prozent.
Doch Razan Al-Sayed Ali plant dieser Tage nicht ihre Zukunft in Europa. Sie sitzt bei der Rückkehrberatung der Caritas Wien und lässt sich mit den Reisedokumenten helfen. Sie will wieder zurück – nach Syrien, wo nach wie vor Krieg herrscht.

Die 34-Jährige ist im Herbst mit ihren beiden kleinen Kindern – 3 Jahre und 9 Monate – aus Damaskus geflohen. Vor dem Krieg, vor der Gewalt, vor den Bomben.
Razan schaffte es bis nach Dänemark. Dort wurde ihre Hoffnung auf einen baldigen Nachzug ihrer Familie – ihr Mann ist mit zwei Söhnen in Syrien geblieben – enttäuscht: „In Dänemark ist der Familiennachzug erst nach drei Jahren möglich. Dann wird einer meiner Söhne schon 18 Jahre alt sein und darf nicht mehr nachkommen.“ Razan verließ Dänemark, zog weiter nach Österreich. Nach zwei Monaten im Land sagt sie: „Ich bin erschöpft. Ich bin hier alleine mit zwei Kindern. Ich habe keine Unterstützung. Und keine Perspektive.“

Zum einen seien die Verfahren ohnehin schon langsam – das habe sie nicht nur von anderen Flüchtlingen gehört, diese Erfahrung habe sie auch selbst gemacht. Außerdem sei noch nicht einmal entschieden, ob jetzt Dänemark oder Österreich für ihren Asyl-Antrag zuständig ist.
Razan will nicht länger warten. Zu Hause in Damaskus, sagt sie, habe sich die Lage auch etwas beruhigt.

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