Die gesamte Kommunikation war in den vergangenen Wochen nicht sehr glücklich. Ende des Sommers hat der Kanzler noch vom Licht am Ende des Tunnels gesprochen. Das war zum falschen Zeitpunkt. Denn tatsächlich sind wir erst jetzt in die Tiefe des Tunnels hineingefahren. In Wahrheit hätte es damals Durchhalteparolen gebraucht, nach dem Motto: „Jetzt kommt es noch einmal ganz dick, daher müssen wir die Ärmel hochkrempeln.“
In der Gesellschaft herrscht eine enorme Müdigkeit, was die Maßnahmen betrifft. Warum kann die Gesellschaft nicht mehr Energie aufbringen, um noch ein paar weitere Monate durchzuhalten?
Das Hauptproblem ist die große Verunsicherung. Ein Virus ist immer unkalkulierbar. Beim ersten Lockdown dachte sich die Gesellschaft, dass das Virus im Laufe des Sommers verschwinden wird. Das traf nicht ein. Dazu kommt, dass uns die Wissenschaft nicht helfen kann. Sie kann keine gesicherte Diagnose geben, ob es jetzt nur eine bessere Grippe ist oder tatsächlich eine Seuche. Kommt noch eine dritte Welle oder nicht? Nicht einmal die Todesrate bei den Infizierten ist gesichert, sie schwankt zwischen 0,3 und acht Prozent. All diese Dinge sind sehr unsicher. Die Menschen spüren diese Stimmung und sind nun viel pessimistischer. Es herrscht eine enorme Ernüchterung und Resignation, und deswegen ist der Energielevel zum Durchhalten gesunken. Das Virus ist für mich ein Anti-Narzissmus-Virus. Er zeigt uns, dass unsere Möglichkeiten begrenzt sind, dass die Bäume nicht in den Himmel wachsen.
Beim zweiten Lockdown werden zumindest nicht alle Schulen geschlossen. Wird das den Druck aus den Familien nehmen?
In diesem und in anderen Punkten, wie etwa, dass man die Industrie nicht schließen muss, hat man dazugelernt. Trotzdem bin ich als Psychiater besorgt, denn psychischen Leiden werden zunehmen. Denn dieses Gefühl der Überwachung ist auch für die psychische Gesundheit nicht gut. Die Depressivität, das Suchtverhalten auf Alkohol, aber auch die häusliche Gewalt werden wachsen. Und vor allem die Vereinsamung wird ein Problem. Das wäre in den kommenden Jahren ohnehin ein großes gesellschaftliches Thema geworden. Das, was wir jetzt erleben, ist quasi ein Trockentraining, was künftig relevant wird.
In Wien haben Corona-Skeptiker gegen die Maßnahmen auch am Samstag wieder demonstriert. Warum lässt sich eine gewisse Menschengruppe trotz steigender Infektionszahlen nicht vom Ernst der Lage überzeugen?
Ich als Psychiater nenne diese Gruppe die paranoiden Menschen. Die werden sich nie und nimmer damit abfinden. Diese Menschen werden weiterhin gegen die Maßnahmen ankämpfen und haben es schon während des ersten Lockdowns gemacht.
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