Corona-Krise: Das Leben danach
Auch wenn am Dienstag erste Geschäfte wieder öffnen: Es wird noch Wochen dauern, bis die Krise vorbei, Monate oder Jahre, bis sie überwunden ist. Dennoch stellen wir zu Ostern, passend zum Fest der Auferstehung, jene Fragen, die sich derzeit so viele stellen: Wie wird das Leben danach aussehen? Was können und was werden wir aus der Corona-Zeit lernen? Welche Bereiche des Lebens hat das Virus unrettbar befallen? Was könnte sogar besser werden?
Zwölf KURIER-Autorinnen und -Autoren aus den unterschiedlichsten Bereichen, angeführt von Chefredakteurin Martina Salomon, wagen einen Ausblick.
Alle werden politisches Kapital aus dieser Krise schlagen
Politisch hat die Regierung diese Krise gut gemeistert: Kontrollfreak Sebastian Kurz hat nichts dem Zufall überlassen: tägliche Pressekonferenzen, dosierte Schreckensmeldungen, eine kleine Prise Hoffnung, damit keine kollektive Depression ausbricht. Alle Regierungsmitglieder kamen zu Wort, innerkoalitionäre Scharmützel drangen kaum an die Öffentlichkeit. Die Grünen wurden zur staatstragenden Partei, die Oppositionsparteien auf die Zuschauerränge verbannt. Schön Abstand halten, bitte!
Und danach? Werden alle versuchen, politisches Kapital aus dieser Krise zu schlagen, und jeder wird seine eigenen ideologischen Schlüsse daraus ziehen. Es hat ja schon begonnen: Nach dem „Corona-Schock“ will der grüne Vizekanzler Werner Kogler eine Erbschaftssteuer einführen. Damit kann er endlich Signale an das schon ziemlich beunruhigte linke grüne Lager senden. Und demnächst muss man ja ohnehin darüber reden, wie wir die massiven Verluste an Steuereinnahmen und – sinnvollen – Milliarden-Stützungsmaßnahmen des Staates finanzieren können. (Zunächst einmal mit Schulden. Die Zinsen werden bei null bleiben – und Staaten wie Italien und Spanien müssen vor dem Bankrott gerettet werden.) Die kommende Rezession wird auch Wasser auf den Mühlen der prinzipiellen Gegner von Großbauprojekten sein. Können wir uns die dritte Flughafenpiste oder den Lobautunnel noch leisten, und brauchen wir das überhaupt?
Umweltorganisationen werden nach der Krise das Loblied auf den eingeschränkten Verkehr singen (und dabei auf den dadurch entstandenen, monströsen wirtschaftlichen Schaden vergessen). Landwirtschaft und Handel werden an das patriotische Gewissen appellieren: Kauft österreichisch! Das ist auch vernünftig. Allerdings will so ein exportorientiertes Land wie Österreich ja auch seine Ware im Ausland verkaufen. Was, wenn dort überall derselbe Schlachtruf erschallt?
Die Fortschrittsabgehängten können die Globalisierung für die Krise verantwortlich machen – und die Linke über den Kapitalismus schimpfen (dabei kann uns nur der Kapitalismus minus mancher Auswüchse daraus retten). Die Rechte wiederum kann ab jetzt leichter auf den Law-and-order-Staat pochen, an den sich die meisten widerwillig, aber doch langsam gewöhnen. Wenn man dafür Tote vermeiden kann? Für die Impfbefürworter gibt es keine bessere Argumentationshilfe als diese Krise, für die Gegner aber möglicherweise auch (meistdiskutierte Theorie: Ist dieses Virus nicht irgendeinem pharmazeutischen Labor entfleucht?).
Manche sind klammheimlich sogar ein bisschen zufrieden mit dieser Vollbremsung der Welt, wie wir sie bisher kannten. War diese denn nicht eh zu rasend, zu konsumgeil, zu umweltzerstörerisch, zu familienfeindlich – und gehören nicht Kapitalismus, Globalisierung, Skihüttengaudi und natürlich auch die EU endlich auf den Schrottplatz der Geschichte? Vor so schlichten Erklärungen und Schuldzuweisungen nach diesen Wochen sei aber gewarnt. Da kommen wir nur gemeinsam wieder raus – und eher nicht als abgeschotteter Nationalstaat.
In der Nach-Corona-Welt steht alles auf dem Prüfstand: die Politik, Staatengemeinschaften, Unternehmen, Medien und, ja, auch die Wissenschaft. Schon lange nicht mehr war sie so wichtig für die Politik – und noch nie wurde uns so klar vor Augen geführt, dass sie die Politik nicht ersetzen kann. Weil nicht immer alles exakt vorhersagbar ist, und weil es auch hier widersprüchliche Meinungen gibt.
Wenn wir aus dieser Krise wieder auferstanden sein werden, sehen wir die Politik eventuell milder, weil sie Entscheidungsstärke bewiesen und Verantwortung übernommen hat. Vielleicht aber auch nicht, weil es dann einiges aufzuarbeiten und jedenfalls ein wirtschaftliches Schlamassel wegzuräumen gilt – und im Nachhinein ist man immer schlauer. Aber jetzt einmal: Osterfriede!
Martina Salomon
Jeder für sich – das wird sich auch im Leben danach nicht ändern
Es ist ein kleiner grammatikalischer Unterschied, aber ein wichtiger: In dieser weltumspannenden Corona-Zeit schlägt nicht die Stunde der Populisten, sondern den Populisten schlägt die Stunde.
Donald Trump, Jair Bolsonaro, Boris Johnson haben das Virus unterschätzt und die Krisenpolitik vergeigt – zum Schaden ihrer Bevölkerung, im Falle des Briten-Premiers auch zum gesundheitlichen eigenen. Da mag man sich nicht ausmalen, was geschähe, wären in Italien und Österreich noch die Herren Salvini und Kickl im Amt. Typen wie sie können bellen und haxelbeißen, aber wenn’s drauf ankommt, können sie es einfach nicht.
Das wäre für das Leben danach die nahe liegendste Lehre aus der Krise.
Dass die Umfragewerte dennoch hoch sind, wie bei Krisenmanagern und -inszenierern der Marke Sebastian Kurz & Co. auch, sagt nicht viel. In Krisenzeiten scharen sich die Schäflein um den Schäfer. Später kann alles anders sein, schlag nach bei Winston Churchill: Der im Krieg Vergötterte verlor die erste Wahl danach krachend.
Die Populisten sind also abgestunken, und was ist mit den Nationalisten? Oft sind die ja ident, aber im Moment sind ohnehin alle mehr oder weniger Nationalisten, agieren im Alleingang. Weil die Institutionen, auf die die Welt vielleicht hätte bauen wollen, nicht funktionieren: Die UNO – wer noch gleich? Die WHO – hat in Kumpanei mit China die Pandemie verschleppt. Die G7, G20 – plusternde Weltführer, die nicht einmal ein Kommuniqué schafften, weil einer auf „China-Virus“ statt Coronavirus bestand (raten Sie, wer). Die EU – Fehlanzeige in fast allen Belangen.
Ob daraus eine Lehre gezogen wird im Leben danach? Auch das ein Wunsch – die da oben müssen doch in der Not an einem Strang ziehen –, aber mehr als fraglich.
Das unkoordinierte Trial-and-Error der Staatenlenker bei der Corona-Bewältigung – niemand weiß, wie es ausgeht. Sollte sich der Weg der Beschneidung der Freiheiten des Einzelnen als der richtige erweisen, so schließt aber hoffentlich niemand daraus, dass Zwangsbeglückung und Bevormundung auch sonst ein probates Mittel seien, eine Gesellschaft zu führen.
Diese Lehre für das Leben danach brauchen wir nicht.
Andreas Schwarz
Mit ein wenig Risiko und Glück könnte Österreichs Wirtschaft rasch wieder zurückkommen
Was bedeutet die Corona-Krise wirtschaftlich für Österreich, seine Unternehmen und die Arbeitnehmer? Beginnen wir bei der Volkswirtschaft: 38 Milliarden Euro hat sich die Republik zur Krisenbekämpfung auf den Finanzmärkten geholt. Und es wird noch mehr werden. Wie aber wollen wir das zurückzahlen und gleichzeitig die Wirtschaft wieder ankurbeln?
Steuern erhöhen würde jedes Konjunkturpflänzchen abwürgen. Ausgaben senken bringt jetzt wenig. Also Schulden einfach Schulden sein lassen. Dann landet man in Japan in der Dauer-Deflation samt Dauerkrise. Wäre da noch die Methode der australischen Feuerwehr. Um ein Buschfeuer zu bekämpfen, legt man ein Gegenfeuer. Also zunächst noch mehr Schulden. Für Konjunkturpakete. Riskant? Ja. Aber nur so verhindern wir Massenarbeitslosigkeit und Pleitewellen. Und wir haben ein großes Ass: Sechs von zehn Euro verdient Österreich im Export. Wenn wir ein wenig Glück haben, kommen drei unserer vier Top-Exportmärkte (Deutschland, China, USA) relativ rasch wieder zurück (Italien später). Dann sprudeln auch die Einnahmen wieder. Zum Abbau der Schulden. Deutschland hat diese Methode (allerdings samt einer Ausgabenbremse bei der Infrastruktur) nach 2008/’09 erfolgreich hinbekommen.
Was heißt das für die Unternehmen? Wer nach der Krise 2008/’09 Ballast abgeworfen und neue Märkte erschlossen hat, ist jetzt gut gerüstet. Viele von unseren Industrie-Unternehmen sind das. Auch weil sie technologisch gut aufgestellt sind. Denn die Digitalisierung wird jetzt noch schneller voranschreiten. Übrigens: Unternehmen aus den Bereichen Pharma und Biotech sind die Gewinner der unmittelbaren Zukunft schlechthin. Ebenso die Gesundheitsbranche.
Und was heißt die Krise für die Arbeitnehmer? Sie erkämpfen sich unbeabsichtigt gerade das Recht auf Homeoffice und noch mehr flexible Arbeitszeiten. Dort, wo es eben möglich ist. Dort wo nicht, werden wir wohl lernen müssen, mit Masken zu arbeiten (solange es keinen Impfstoff gibt). Das Wichtigste aber ist, dass jene, die jetzt ihren Job verloren haben, rasch wieder einen bekommen. Weil sie damit wieder zu Steuerzahlern werden (siehe Buschfeuermethode).
Wolfgang Unterhuber
Homeoffice funktioniert und wird auch nach der Krise öfter möglich sein
Im Internet kursiert ein guter Witz, weil er wahr ist: Wer hat in Ihrem Unternehmen der Digitalisierung zum Durchbruch verholfen – a) der Chef oder b) Corona? Die Antwort ist klar. Tausende Unternehmen haben ihre Arbeitsprozesse ins Homeoffice verlagert. Für viele war das ein Crashkurs ins Digitale, die Anwender von Video-Konferenzen haben sich am Beispiel von Microsoft Teams versechsfacht.
Was mit der IT-Aufrüstung einhergeht, ist auch ein Kulturwandel, den sündteure Change-Berater nicht geschafft haben. Bedenken der Chefs, dass Mitarbeiter zuhause weniger arbeiten, Sorgen um IT-Ausrüstung und Arbeitsschutz der Betriebsräte sind in den Hintergrund getreten. Work must go on und funktioniert auch.
Der Wandel beschränkt sich nicht nur auf die Kommunikation. E-Learning mit modernen Lehrmitteln hat auch Vorteile. Kleine Betriebe verkaufen online, weil ihre Geschäfte zu sind. Ärzte helfen via Skype und schicken Rezepte per Mail, auch bei Behörden geht vieles digital, hoffentlich bald noch mehr. Lange Wartezeiten in Ärztepraxen mit Ansteckungsgefahr sind vorüber. Wir gewinnen Zeit für uns selbst. Klimafreundlich ist das auch.
Nach der Krise wird nicht alles anders sein. Der persönliche Kontakt bleibt am wichtigsten. Digitale Prozesse werden aber hoffentlich integriert bleiben.
Dieser Bericht entstand im Homeoffice. Nach einer Videokonferenz mit den Großeltern. Auch die haben das jetzt gelernt.
Richard Grasl
Die Schule kann durch Bits ersetzt werden?
Und dann hat es einfach funktioniert. Keine Forderungen der Gewerkschaft nach einer umfassenden Homeoffice-Infrastruktur für alle 125.000 Pädagogen, keine Sonderzahlungen für Videounterricht, Verbesserungen per eMail, dauernde Erreichbarkeit.
Wir haben gelernt, wie groß der Aufholbedarf bei der Digitalisierung ist, da wurde viel verschlafen. Viele Lehrer haben wenig von der Corona-Entschleunigung bemerkt, die meisten mussten wohl einen höheren Gang einlegen, um ihre digitalen Mängel auszubügeln, damit das distance learning auch klappt. Und sie mussten lernen, wie man sich im – virtuellen – Lehrerzimmer besser koordiniert, um die Klassen nicht zu überfordern.
Die ersten vier Wochen der Schule@daheim waren ein Abenteuer.Jetzt braucht es schleunigst eine Optimierung, da die Kinder wohl noch sechs Wochen daheim bleiben. Denn wie eine sehr engagierte NMS-Direktorin erzählte: Der Leistungsoutput sei bei maximal 50 Prozent, mit etwas Luft nach oben, wenn alles bestens aufeinander eingespielt ist. Das Klassenzimmer und der unmittelbare Kontakt seien aber nicht ersetzbar. Wie soll ein Kind dem Vertrauenslehrer derzeit sagen, was es bedrückt?
Was bleibt, ist, dass viele Neuerungen der Blitzdigitalisierung nicht rückgängig gemacht werden können. Lernplattformen, Übungsapps, Videoklassenzimmer, Videoplattformen, selbstständiges Einteilen der Arbeit, selbstständiges Erarbeiten. Ist nicht für jeden und jede superklasse, stimmt schon. Aber für Schüler in anderen Nationen war die digitalisierte Schule schon vor der viralen Megakrise nichts Aufregendes mehr.
Und was sich jedenfalls nachhaltig verändern wird, ist die Wertschätzung der Arbeit der Lehrer.
Bernhard Gaul
Im Gesundheitsbereich müssen Kompetenzen neu geregelt werden
Dass Österreich in der Corona-Krise besser aufgestellt ist als so manch anderer europäische Staat, wird auch dem heimischen Gesundheitssystem zugerechnet. Im EU-Vergleich stimmt das auch, bei einer späteren Analyse des Krisenmodus wird diese Feststellung aber nicht reichen. Die Verantwortlichen wissen zu gut, wo die großen Schwachstellen sind.
Öffentlich spürbar wurde das unter anderem bei den fehlenden Kapazitäten und Labors für Corona-Tests, beim Gerangel um Schutzmasken und Schutzbekleidung, bei den unterschiedlichen Zahlen zwischen Ministerium und Bundesländern bezüglich der Bettenkapazitäten. Und im Pflegebereich wurde uns brutal vor Augen geführt, wie abhängig wir von ausländischen Kräften sind, damit die Betreuung in Österreich aufrecht erhalten werden kann.
Nach der Krise gilt deswegen: Bei medizinischen Hilfsmitteln und Medikamenten muss die Abhängigkeit vom Ausland reduziert werden. Genauso im Pflegebereich. Die medizinische Kompetenz muss im Land gehalten werden und darf nicht abwandern, weil anderswo einfach besser bezahlt wird. Das gehört bereits beim Medizinstudium mitbedacht.
Und die Bettenkapazitäten in den Spitälern sollten sich an der Krise orientieren, nicht an den Forderungen von Gesundheitsökonomen. Das schwierigste Kapitel ist aber, dass Kompetenzen neu geregelt werden müssen. Auf Bundesebene wünscht man sich dazu ein Katastrophen- und Krisenmanagementgesetz. Mit dem einfachen Nenner: Der Bund gibt die Strategie vor, die Länder sind für die operative Umsetzung zuständig. Eine klare Rollenaufteilung, die auch beinhaltet, dass sich beide Seiten ein wenig zurücknehmen müssen.
Der Bund muss seine Gelüste nach einer Entmündigung der Bundesländer unterdrücken. Auf der anderen Seite dürfen sich diese zu keiner eigenen Strategie verleiten lassen, wie das Wien etwa gerne gemacht hätte.
Über so ein Gesetz war schon vor der Krise gesprochen worden. Ohne die Chance auf einen gemeinsamen Nenner. Jetzt könnte es aber sein, dass das Coronavirus die Gesprächspartner demütiger werden hat lassen.
Martin Gebhart
Die Herde nicht aus dem Blick verlieren
Die Sehnsucht nach Sinn und Orientierung ist in Krisenzeiten naturgemäß größer als sonst. Ob und wie die Kirche diese Chance zu nützen versteht, wurde in den letzten Wochen viel diskutiert.
Eindrucksvoll hat sie jedenfalls einmal mehr unter Beweis gestellt, dass sie über einen Schatz an Symbolen, an Bildern, Gesten und Handlungen verfügt, der seinesgleichen sucht; dass sie nach wie vor zu wirkmächtigen Inszenierungen im besten Sinne imstande ist. Der Auftritt des Papstes auf dem menschenleeren, regennassen, in blaugraues Licht getauchten Petersplatz mit dem – wortlosen! – Segen „Urbi et orbi“ wird in die Ikonografie der jüngeren (Kirchen-)Geschichte eingehen – wie etwa das stille Gebet Johannes Pauls II. an den wuchtigen Quadern der Klagemauer in Jerusalem.
Auch dass die Kirche – vom Papst abwärts über die Bischöfe bis hin zu unzähligen Pfarrern – in der Krise digitale Präsenz zeigen, ist erfreulich und könnte auch einen Weg in die Zukunft weisen: nicht in gemeindelose Gottesdienste selbstverständlich, aber in Richtung Professionalisierung im Umgang mit sozialen Medien, wo man Menschen erreicht, an die man sonst nicht herankommt.
All das kann freilich die klare Sprache, das unerschrockene Wort nicht ersetzen. Ein Pauschalurteil verbietet sich – aber viele Christen würden sich von ihren Bischöfen wohl manchmal mehr Mut auch dort erwarten, wo man sich dem Zeitgeist entgegenstellen müsste. Die Bischöfe sollen und dürfen nicht ihrer Herde nach dem Mund reden, das ist wahr. Aber vielleicht ist es in der Kirche so ähnlich wie in der Politik: Die Mehrheiten sind nicht unbedingt dort zu finden, wo sie Meinungsbildner und Experten aller Art gerne hätten und dementsprechend verorten.
Rudolf Mitlöhner
Es gibt mehr als vier Gründe, um raus zu wollen
Folgsam ist er, der Österreicher. Er schimpft gerne ein bisschen, aber am Ende ist er folgsam. Und so kommt es, dass sich das Land in den vergangenen Wochen vor allem gefragt hat, was es denn soll. Und nicht, was es darf. Vier Gründe gibt es, um das Haus zu verlassen, sagt die Regierung. Das genügt, wenn man es ausreichend oft wiederholt, um die Österreicher – oder zumindest den Großteil von ihnen – auf Linie zu bringen. „In Corona-Zeiten hören die Österreicher auf die Obrigkeit“, schrieb zuletzt die Neue Zürcher Zeitung. Das war nicht nur schmeichelhaft gemeint.
Tatsächlich störte es lange keinen, dass die täglich bei Pressekonferenzen verlauteten Anweisungen in sich so schlüssig gar nicht waren.
Die Masken sind wirkungslos? – Wird schon stimmen. Maskenpflicht ab übermorgen? – Na, wenn’s was bringt. Bald kennt jeder jemanden, der an Corona gestorben ist, denn das Schlimmste liegt noch vor uns. – Traurig, aber wohl wahr. Ach was, ab Dienstag öffnen die Baumärkte. Blumenerde für alle. – Endlich.
Sich an die Vorschriften der Regierung zu halten, ist gut. Dabei aufzuhören zu denken, ist es nicht.
Dass auch die Österreicher das schlussendlich bemerkten, ist dem grünen Gesundheitsminister Rudolf Anschober zu verdanken. Genauer gesagt: jenem Schriftstück, das als sogenannter Ostererlass in die jüngere Geschichte eingehen wird. Sein Inhalt, knapp gefasst: Die Polizei darf – ohne Durchsuchungsbefehl und ohne Indiz – in jeden Haushalt kommen und mal eben kontrollieren, mit wem man denn da bitte Ostern feiere.
Das gab es sehr lange nicht. Es ist dem modernen Rechtsstaat auch nicht würdig. Und es war den Österreichern schließlich auch zu viel. Der Ostererlass des Gesundheitsministers erblickte nie das Licht der Welt, einen schalen Nachgeschmack hinterlässt die Geschichte aber. So laut und so oft kann die Polizei am Abend gar nicht „I am from Austria“ spielen. (Der Vater dieser Idee sollte übrigens nochmals gesondert befragt werden.)
Beamte, die grundlos in alle Zimmer schauen. Behörden, die den Tratsch auf der Parkbank – ja, Abstand halten! – mit 1.000 Euro bestrafen. Und Politiker, die verpflichtende Apps auf den Smartphones aller installieren wollen. Die Erinnerung daran bleibt. Und sie wird unser Verhältnis zum öffentlichen Raum verändern.
Das einst Alltägliche tun zu können, wann und wie man möchte, das erscheint derzeit fast wie ein Privileg. Das Gefühl wird sich so schnell nicht legen. Dafür sorgen nicht nur die Reisebeschränkungen, die die Österreicher wohl noch länger begleiten. Auch wenn nach den Baumärkten irgendwann alle anderen Geschäfte, Lokale und sogar die Grenzen wieder geöffnet sein werden: Schnell kann es – bei der nächsten Krise – damit wieder vorbei sein. Das wissen wir jetzt. Die Regierung hat vorgemacht, wie es geht.
Und nicht immer muss es gut ausgehen.
Es gibt weit mehr als nur vier Gründe, um aus dem Haus gehen zu wollen. Auch das wird den Österreichern präsent bleiben. Der Besuch beim Wirten, der Kaffee an der Ecke, der Cocktail in der Bar. Schmökern im Buchladen. Schaukeln auf dem Spielplatz. Ein Spaziergang im Augarten – oder eine Joggingrunde im Wald. (Der kleinliche Parteien-Streit um die Schließung der Bundesgärten in der Großstadt hat nicht nur die Unterschiede zwischen Stadt und ländlichem Raum überraschend deutlich gemacht. Er kam auch zur Unzeit. Schämt sich eigentlich irgendeiner der Protagonisten dafür?) Die Liste ließe sich jedenfalls beliebig fortsetzen. Das öffentliche Leben, wie wir es kennen, muss zurückkehren.
Und es muss wieder zur Normalität werden – daran hat nicht zuletzt die Politik mitzuwirken.
Der Ausnahmezustand trägt die Ausnahme nicht umsonst im Namen. Das soll auch der Folgsame in alle Zukunft nicht vergessen.
Christoph Schwarz
Die Krot’, die wir fürs Klima fressen
Kein Smog über dem Kilimandscharo und klares Wasser in den Kanälen Venedigs. Menschen, die durch kaum befahrene Straßen radeln und statt des Wochenendtrips nach London nun im Wald spazieren gehen.
Was uns Greta Thunberg predigte und wir vor Kurzem noch für unmöglich hielten, das gelingt nun. Weil wir keine Wahl hatten. Bleibt das so?
Werden wir weiterhin bewusst lokal kaufen und den Sonntag im Wald für eine gute Alternative zum Städtetrip halten? Die Chancen, die wir nach der Krise wahrnehmen könnten, liegen im Luft- und im städtischen Verkehr, in der Energiebranche bis hin zur Ausgestaltung unserer Arbeitswelt. Es wird darum gehen, bisher oft leere Schlagworte wie „Achtsamkeit“ tatsächlich mit Leben zu füllen. Die Herausforderung wird darin liegen, die dafür notwendigen Maßnahmen als Gewinn und nicht als Verlust wahrzunehmen. Denn für viele wirkt das verordnete Biedermeier wie eine Drohung.
Wer schon bisher die Ferien gerne -schonend in den österreichischen Bergen verbracht hat, der braucht keinen Aufruf zur Heimatliebe. Wenn die kleine Pension am Traunsee aber alternativlos wird, dann könnte die Sehnsucht nach der Ferne groß werden. Das gilt insbesondere für Wiener, denen zuletzt aus manchen Tourismusregionen – Stichwort Zweitwohnsitz – signalisiert wurde, sie mögen doch bitte daheim bleiben.
Schwamm drüber.
Unser Leben wird sich umstellen, und wir werden, wenn wir es richtig machen, davon profitieren. Die Krot’, die im Imperativ liegt, nämlich, dass sich unser Leben umstellen muss, die werden wir schlucken. Schlucken müssen.
Barbara Mader
Die Kultur bleibt ansteckungsgefährdend
Sollen sie doch Kulturkonserven essen! Denn die echte Kultur, die mit Nähe, Gemeinsamkeit, sozialem Austausch und Widerspruch, die ist bis auf Weiteres weggesperrt.
Ist halt besonders blöd gelaufen, wenn die bisherigen Stärken plötzlich als Ansteckungsgefahren gelten.
Also: Die Kultur – zumindest die, die Massen anziehen kann – wird als Letztes aufsperren. Weil sie als am längsten verzichtbar gesehen wird? Der Kulturfrühling, er wird im Herbst sein. Wenn überhaupt. Es hat beim Abklopfen des Begriffs Kulturnation schon lange nicht mehr so hohl zurückgehallt.
Und jetzt? Jetzt kann man sich über die vielen Weggabelungen Trost holen, die sich trotzdem eröffnen, auch im Kahlschlag. Es ist plötzlich wieder schmerzlich präsent, was die Kultur bis vor Kurzem konnte. Wer hätte etwa gedacht, dass den zum Entertainmentpark durchkommerzialisierten Rockfestivals je wieder existenzialistische Bedeutung zukommen wird, dass diese wieder zu einer Art (Ansteckungs-)Wagnis werden? Wer hätte damit gerechnet, dass so luftleere Praktiken wie das Repertoiretheater als der Luxus empfunden werden kann, der es ist? Es ist hier schon Frühling: Aus der Ferne blüht, weil man sie vermisst, plötzlich die Liebe zur Kultur wieder auf. Und mit unerfüllter Liebe kennt sich die Kultur ja aus.
Wann der Kulturgeher-Romeo seine Julia wieder ... ach, das Bild geht sich nicht aus. Jedenfalls: Der Rest ist unklar, und trostlos.
Die Kultur war nicht zuletzt auch in der Arbeitsform – viele Prekäre, viele Freie, viele digitale Nomaden – voraus; und büßt jetzt umso mehr. Das Risiko werden viele künftig nicht mehr tragen wollen oder können. Es wird vieles wegfallen. Aber vielleicht zumindest das, was bleibt, mehr geschätzt werden.
Georg Leyrer
Eine Chance, neues Leben in die alte Sportblase zu stopfen
Die wichtigste Nebensache der Welt steht im Abseits. Und das zu Recht. Doch gerade in diesen Zeiten wird deutlich, wie essenziell Sport im Leben vieler ist. Er lenkt ab. Er tut gut. Er verbindet. Er unterhält. Er fehlt. Im kleinen Vereinslokal wie auf der großen Bühne.
Oft reicht ein Tor oder ein verwandelter Matchball und vieles ist vergessen – die Sorgen des Alltags bis hin zu den Obszönitäten des Systems. Daran sollte erinnert werden, wenn in ein paar Monaten Funktionäre die Scherben aufsammeln, um daraus eine neue Sportwelt zu basteln, die womöglich wieder nur einer Blase ähnelt.
Mit Bewerben vor leeren Rängen soll gerettet werden, was gerettet werden kann. Doch ist wirklich alles wert, gerettet zu werden?
Dass die Politik Finanzhilfen angekündigt hat, ist richtig und wichtig. Ebenso Kontrolle. Millionen sind alsbald wieder ziellos in die Blase gestopft. Das Flutlicht der Champions League wird weiterhin die Massen anlocken. Geringere Budgets werden auf wenige Protagonisten verteilt. Der Ausleseprozess mag dem sportlichen Wettbewerb kurzfristig die Spannung rauben, langfristig eröffnet er Chancen. Die Kleinen müssen noch kreativer sein, erstmals wirklich Branchenfremdes zulassen und wohl mit Alteingesessenem brechen.
Was der Sportkonsument tun kann? Standhaft sein. Einmal öfter zum nahen Sportverein. Auch der lenkt ab, verbindet, unterhält.
Philipp Albrechtsberger
Die Distanz bringt uns mehr Nähe als zuvor
Die Welt drückt die Pausetaste, und plötzlich spüren wir, wie schnell sie sich gedreht hat. Immer mehr, immer besser, Reize, wohin das Auge schaut. Jetzt: Ruhe. Platz für Gedanken. Zeit zum Nachdenken. Da wird uns mit einem Schlag bewusst, dass wir doch nur Menschen sind. Verletzliche, sterbliche Wesen, die vor allem eines brauchen: Nähe.
Zwar glaubten wir, über die sozialen Kanäle so gut verbunden zu sein wie noch nie, aber nicht auf die menschliche Art. Die Krise hebt die Bedeutung des persönlichen Kontakts auf eine neue Ebene und wird unser Miteinander nachhaltig verändern.
Das Virus zeigt uns nämlich: Es gibt keine Grenzen, und es kann jeden von uns treffen. Es macht uns klar, wie gleich wir doch alle sind und erinnert daran, dass es Nester gibt, aus denen wir stammen und in die wir jetzt flüchten. Selbst die größten Weltenbummler kehren in der Krise dorthin zurück, wo sie Sicherheit spüren: nach Hause. Uns wird bewusst, wie sehr Freunde und Familie unsere Fürsorge verdienen und wie kostbar gemeinsame Zeiten sind.
Jetzt sitzen wir zu Hause, räumen auf, sehen fern und lesen Bücher. Wir vermissen einander, fühlen uns allein und beginnen zu begreifen, dass nichts mehr so sein wird wie zuvor. Ausgerechnet die Tech-Szene aus dem Silicon Valley war es, die sich dieses Jahr dem Trend des Dopaminfastens verschrieben hat. Dabei werden Reize aufs Minimum reduziert, um das Gehirn zu entlüften und die Sensoren zu schärfen. Abgesehen von lärmenden Kindern im Homeoffice gibt es das jetzt für uns alle, und das kann mit ungeschönter Dramatik bewusst machen, wovor wir gern die Augen verschließen: dass diese Art des intensiven Familienlebens ziemlich anstrengend sein kann, manche Freundschaften doch nicht so tief sind und gewisse Beziehungen schon längst in Trümmern liegen.
Doch die Krise kann uns auch das Gute klarmachen, uns im Miteinander stärken, neue Bande stricken – wenn wir Bewusstsein füreinander schaffen. Darin liegt auch die große Chance: Es geht um Qualität statt Quantität, wahre Werte, tiefe Verbindungen, verlässliche Systeme und treue Freunde. Und darum, zu schätzen, wie wertvoll eine Umarmung ist.
Marlene Auer
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