Comeback oder Pleitewelle? "Ich habe schlaflose Nächte"
KURIER: Frau Blanka, Sie sind Pächterin des Wirtshauses Waldhof in Maria Gugging. Was überwiegt bei Ihnen: Die Erleichterung, dass Sie wieder Gäste bewirten dürfen, oder die Sorge um die Zukunft?
Brigitte Blanka: Es freut mich zwar, dass ich jetzt wieder Gäste bewirten kann, aber es überwiegt die Sorge. Ich habe schlaflose Nächte.
Was raubt Ihnen den Schlaf?
Blanka: Weil ich keine Ahnung habe, was noch auf uns zukommt. Ich bin ein sehr vorsichtiger Mensch, investiere nur Geld, das ich auch besitze. Aber im Moment schauen meine Konten furchtbar aus. Ich weiß nicht, ob ich den Umsatz mache, den ich früher gemacht habe. Vor Corona waren wir am Wochenende immer ausreserviert. Jetzt musste ich meine Kapazitäten auf 60 Prozent reduzieren und bin aber nicht ausreserviert.
Sie haben Ihre Mitarbeiter zur Kurzarbeit angemeldet. Würden Sie es heute nochmals so machen?
Blanka: Ich würde den Weg der Kurzarbeit nicht nochmals wählen. Erstens weil ich gedacht habe, der Lockdown wird nur drei Wochen dauern. Zweitens weil die Einreichung unglaublich kompliziert war. Ich habe versucht, alles richtig auszufüllen, aber ob ich es tatsächlich richtig gemacht habe, weiß ich nicht. Wenn jetzt ein Fehler auftaucht, hoffe ich, dass das AMS es nicht als Betrug wertet. Selbst meine Lohnverrechnerin ist bei den Formularen ausgestiegen. Sechs Wochen hat die Kurzarbeit-Bewilligung gedauert, und Geld habe ich bis jetzt keines bekommen.
Frau Köstinger, Sie nicken. Die Bundesregierung hat angekündigt, „schnell und unbürokratisch“ zu helfen. Danach klingt das alles nicht ...
Elisabeth Köstinger: Die Kurzarbeit war ursprünglich nicht für den Tourismus und die Gastronomie ausgelegt. Das ist ein Instrument aus der letzten Wirtschaftskrise für die Industrie. Dort funktioniert sie auch sehr gut. Wir haben versucht, dieses Instrument so gut es geht für Gastronomie und Tourismus zu adaptieren und zu verbessern.
Beim Wirtepaket kritisieren die Gastronomen, dass der Finanzminister bei der Umsatzsteuerreduktion von einer Entlastung von 200 Millionen Euro gesprochen hat. Das war aber mit dem Umsatz von 2019 gerechnet, den die Gastronomie 2020 nicht erreichen wird. De facto ist die Unterstützung viel geringer ...
Köstinger: Wir wollten in erster Linie für eine Entlastung sorgen, wo der Gastronom nicht wieder ein Formular ausfüllen muss. Die Reduktion der Umsatzsteuer kann man vergleichsweise einfach bei der Registrierkassa umstellen. Dadurch wird diese Maßnahme schnell spürbar und wirkt bei jeder Konsumation. Wir sind bei der Gastronomie im Vergleich zu vielen anderen Ländern schon bei sehr niedrigen Steuersätzen. Die Umsatzsteuer auf anti-alkoholische Getränke war einer der wenigen Bereiche, wo wir noch ansetzen konnten. Eine Steuersenkung auf alkoholische Getränke wäre etwa EU-rechtlich schwierig.
Herr Pulker, mit wie vielen Corona-Insolvenzen rechnet die Wirtschaftskammer?
Mario Pulker: Wir gehen von 10 bis 15 Prozent aus. In den ersten 14 Tagen hat es jene Betriebe erwischt, die schon in den vergangenen zwei Jahren ein negatives Eigenkapital, keine positiven Bilanzen und eine Schuldentilgungsdauer von über 15 Jahren hatten. In so einer Situation gibt dir keine Bank mehr Geld. Die Eigenkapitalschwäche der Branche ist evident, weil wir in Österreich eine unglaubliche Qualität bieten. Wir sind eigentlich zu billig für die hohe Qualität, die wir bieten. Die Rentabilität ist trotz steigender Umsätze gleich geblieben. Das ist das Problem, das jetzt, wo es einige Wochen keine Einnahmen gibt, sichtbar wird.
Jetzt gibt der Staat zwar die 100-Prozent-Garantie bei den Krediten. Die Banken bestehen bei der Kreditvergabe weiterhin auf die persönliche Haftung, prüfen nach den strengen Basel-III-Kriterien. Hat es die Regierung hier verabsäumt, bei der EU um Lockerungen bei der Kreditvergabe anzusuchen?
Köstinger: Wir haben generell sehr lange warten müssen, bis wir von Brüssel das Okay für die 100-Prozent-Garantie bekommen haben. Im Bereich der Österreichische Hotel- und Tourismusbank bieten wir jetzt drei Modelle an: 80, 90 oder 100 Prozent-Haftung. Wir sind im engen Austausch mit den Banken, und der Finanzminister macht hier sehr viel Druck. Bei manchen Banken funktioniert es sehr gut und bei machen weniger. Da gibt es durchaus einen Interpretationsspielraum.
Die Neos fordern ein Bankenmoratorium, bei dem die Kreditzahlungen für ein Jahr ausgesetzt werden. Denkt die Regierung so eine Maßnahme an?
Köstinger: Da sind wir gerade dabei, mit den Banken zu verhandeln.
Frau Blanka, haben Sie einen Kredit bei der Österreichische Hotel- und Tourismusbank beantragt, um durch die Krise zu kommen?
Blanka: Nein, weil der Kredit auf drei Jahre befristet ist. Das war mir zu riskant, dass ich die Rückzahlung nicht schaffe und dann in die Insolvenz geschickt werde. Ich habe alles mit meiner Hausbank abgewickelt. In den letzten acht Jahren hatte ich immer ein ausgeglichenes Konto, das kommt mir jetzt zugute.
Köstinger: Mittlerweile haben wir die Laufzeit für viele Haftungsübernahmen auf fünf Jahre angehoben.
Die Europäische Investitionsbank, wo Ihr Parteikollege Willi Molterer Vizepräsident ist, würde Ausfallshaftungen übernehmen, sagt Neos-Abgeordneter Sepp Schellhorn. Hat die Regierung hier schon angeklopft?
Köstinger: Das Finanzministerium ist hier im intensiven Austausch, um dieses Modell auch praktikabel machen zu können. Wir haben schnell gesehen, wo die Schwierigkeiten liegen: Es ist ja oft nicht die Österreichische Hotel- und Tourismusbank, die hier blockiert, sondern die Hausbank.
Eine große Einnahmequelle für die Branche sind Hochzeiten. Ab 29. Mai sind die ersten Kulturevents zugelassen. Gilt ab diesem Zeitpunkt auch, dass Hochzeiten wieder stattfinden können?
Köstinger: Es ist ein Unterschied, ob ich bei einer Feier eingeladen bin, wo die Atmosphäre ausgelassener sein kann und der Sicherheitsabstand nicht eingehalten wird oder in einem Publikumsraum mit einem Meter Abstand sitze und einer Vorstellung lausche. Deswegen sind Nachtgastronomie, Hochzeiten und größere Feiern für uns so eine Herausforderung. In einer Gemeinde hatten wir den Fall einer Familienfeier mit 45 Personen. Danach waren dann 36 infiziert, und es gab zwei Todesfälle. Das ist unser Dilemma, dass wir trotzdem, obwohl wir die erste Welle gut geschafft haben, nicht leichtsinnig werden dürfen. Die Regeln, die jetzt für die Gastronomie erlassen wurden, werden wir in den nächsten Wochen evaluieren und dann darüber entscheiden, ob und wann weitere Lockerungen möglich sind.
In zwei Wochen sperren die Hotels wieder auf, bis jetztkennen die Betreiber die Sicherheitsauflagen nicht. Hier herrscht schon große Ungeduld. Wann wird der Erlass endlich kommen?
Köstinger: Wir arbeiten mit Hochdruck daran, dass das Gesundheitsministerium ehestmöglich die Regeln veröffentlicht.
Das war jetzt sehr diplomatisch ausgedrückt. Sie warten also selbst schon auf die Richtlinien ...
Köstinger: Mario Pulker weiß, wie intensiv wir daran arbeiten, dass die Regeln auch praxistauglich werden. Gemeinsam mit der Wirtschaftskammer verwenden wir sehr viele Tage und Nächte, um die Epidemiologen zu überzeugen, dass wir nicht alles bis ins kleinste Detail regeln können, sondern alle Unternehmer verstanden haben, dass es sich um eine Pandemie handelt und entsprechend vorsichtig sind.
Pulker: Wenn man sich anschaut, welche Idee man am Anfang hatte und wann man überhaupt daran gedacht hat, die Gastronomie wieder zu öffnen, dann sind wir jetzt weit davon entfernt.
Wann wollten die Gesundheitsexperten wieder die Restaurants öffnen?
Pulker: Das hätte zwei Monate länger gedauert. Aber wir konnten auch deswegen schneller aufsperren, weil sich die Österreicher sehr diszipliniert verhalten haben und das hoffe ich, das werden die Gäste jetzt auch weiter beachten. Denn wir haben eine Mischung aus verbindlichen Regeln und Empfehlungen erarbeitet. Es muss nicht jedes kleinste Detail in der Verordnung geregelt sein. Wir glauben daran, dass die Menschen genug Eigenverantwortung haben.
Apropos Regel: Zuerst hieß es, man muss die Mund-Nasen-Maske beim Betreten des Lokals, wenn man auf die Toilette geht und beim Verlassen des Lokals, tragen. Jetzt muss man die Maske nur mehr beim Betreten des Lokals bis zum Tisch tragen. Warum braucht man dann überhaupt noch eine Maske?
Köstinger: Weil man beim Betreten des Lokals vielleicht noch nicht richtig orientiert ist, den Tisch möglicherweise sucht und hier mit anderen Gästen in Kontakt kommen kann. Deswegen gilt die Maskenpflicht noch beim Betreten.
Die Stadt Wien hat nun für jeden Haushalt einen 50-Euro-Restaurant-Gutschein angekündigt. Freut sich die Wirtschaftskammer über die Aktion, auch wenn sie von der SPÖ-Wien kommt?
Blanka: Wir brauchen Hilfe um überleben zu können, aber ich bin gegen Allgemeinausschüttungen. Ich weiß nicht, wie zielsicher diese Aktion ist, und was sie im Verhältnis dazu kostet. Dazu fehlen mir einfach die Informationen.
Pulker: Der Bund hat das Hilfspaket von 500 Millionen Euro geschnürt, Niederösterreich unterstützt die Gastronomie mit 22 Millionen, Wien verschickt die Gutscheine, die 40 Millionen ausmachen und Tirol übernimmt die Zinsen für die Haftungskredite. Jedes Bundesland hat seinen eigenen Weg gefunden. Ich glaube, es ist Zeit, dass die Branche auch einmal dankbar ist. Denn es gibt insgesamt 160 Branchen. Für die anderen gibt es keine Hilfspakete. Stattdessen wird gejammert, dass das Wirtepaket nur ein Tropfen auf dem heißen Stein ist. Es gibt Busunternehmer, wo die Busse am Parkplatz stehen und die Leasingraten weiterlaufen.
Slowenien hat am Freitag die Pandemie für beendet erklärt und die Grenzen für alle Länder geöffnet. Österreich hat 150 Millionen Nächtigungen pro Jahr. Nur mit den deutschen Gästen wird sich das nicht aufholen lassen. Würde es so einen Befreiungsschlag nicht auch für den Tourismus brauchen, vor allem für den Städtetourismus?
Köstinger: Das ist ein Thema vor allem für den Flugreiseverkehr. Wenn man sich China anschaut, dann sieht man hier, dass die Infektionszahlen schon sehr niedrig waren und dann kam das Virus durch die Reisetätigkeit aus Europa wieder zurück. Deswegen machen wir Grenzöffnungen nur mit Ländern, die ähnlich niedrige Infektionszahlen haben wie Österreich. Ich glaube so kann es auch funktionieren, indem man große Infektionscluster isoliert und in den anderen Regionen eine normale Geschäfts- und Reisetätigkeit wieder zulässt. Unser Konzept hat die EU jetzt 1:1 übernommen.
Wie sehr wird Ischgl dem Tourismus schaden?
Köstinger: Die Tiroler haben eine Untersuchungskommission eingerichtet, sollten dort Fehler passiert sein, dann müssen die Lehren daraus gezogen werden. Aber wir sehen, dass die Buchungslage auch für Tirol sehr gut ist. Ich würde aber nicht wegen einer Bar den gesamten Tourismus in Geiselhaft nehmen. 70 Prozent der Gäste der Regionen sind Stammgäste. Das schnelle Bekämpfen des Virus hat uns auch eine sehr gute Reputation im Ausland gebracht. Ich halte dieses Schwarze-Peter-Spiel für absolut falsch.
Beachtliche 11.000 Infektionen gehen europaweit auf Ischgl zurück. Für so einen kleinen Ort ist das enorm ...
Köstinger: Die Entscheidungen wurden teilweise auf Grundlagen von Gesundheitsbehörden getroffen. Das muss jetzt lückenlos aufgearbeitet werden.
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