Schönborn: "Nicht die Hoffnung nehmen lassen"

Schönborn: "Nicht die Hoffnung nehmen lassen"
Der Kardinal über Flüchtlinge und den Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen.

KURIER: Papst Franziskus hat in diesem Jahr einige Auslandreisen unternommen. Welche Botschaft war aus Ihrer Sicht die überraschendste?

Kardinal Christoph Schönborn: Bei den Reisen von Papst Franziskus geht es immer um die Stärkung der christlichen Gemeinden vor Ort, geht es darum, Mut zu machen. Die christliche Botschaft ist immer eine Botschaft der Hoffnung, des Dialogs, des Friedens und des menschenwürdigen Lebens, wie etwa beim Besuch in Südkorea. Beim Besuch in der Türkei standen das Verhältnis zwischen Christen und Muslimen sowie die Einheit der katholischen und orthodoxen Christen im Vordergrund. Durch die Krise im Nahen Osten hat die Türkei natürlich einen besonderen Stellenwert. Insbesondere ist die Situation der Christen und anderer Minderheiten, die vor der Terrormiliz "Islamischer Staat" geflohen sind, besonders dramatisch. Sie brauchen dringend unsere Hilfe zum Überleben.

Ist das Gerangel um die Flüchtlingsquartiere nicht ein menschliches Armutszeugnis für Österreich?

Die Flüchtlingsthematik ist für die gesamte Europäische Union eine große Herausforderung. Davon ist Österreich nicht ausgenommen, auch wenn wir alleine schon durch unsere geografische Lage auf eine lange Geschichte von erfolgreicher Zuwanderung zurückblicken können. Nicht nur für die Flüchtlinge aus Syrien hat sich in der Erzdiözese Wien großer Einsatz gezeigt: Wir bieten in Flüchtlingshäusern und betreuten Wohngemeinschaften rund 800 Wohnplätze an. Viele Pfarren haben in den vergangenen Wochen zusätzlich Wohnraum angeboten.

Allein die Pfarre Schwechat betreut bereits seit Längerem 50 Flüchtlinge und Migranten. Da zeigt sich eine große Solidarität.

Sie waren vor Kurzem in der Funktion des Sondergesandten von Papst Franziskus in der Ukraine. Glauben Sie, können die Sanktionen gegen Russland den Konflikt lösen?

Ich sehe Hoffnung für eine freie, demokratische und unabhängige Ukraine, freilich braucht das ukrainische Volk dafür mehr Solidarität vom Westen. Ich war besonders beeindruckt von der Begegnung mit dem "Ukrainischen Rat aller Kirchen und religiösen Organisationen". In diesem Rat sind alle in der Ukraine anerkannten christlichen Kirchen sowie die jüdische Gemeinschaft und die islamische Gemeinschaft zusammengeschlossen. Da habe ich wirklich den Eindruck bekomme, dass in der Ukraine die Kirchen und Religionen seit Jahren gut zusammenarbeiten. Das ist ein gutes Zeichen. Die Menschen wollen eine lebendige, gerechte und demokratische Ukraine. Wo ein so starker Wille da ist, da ist auch Hoffnung.

Von den katholischen Laienverbänden wird die Liberalisierung des Fortpflanzungsmedizingesetzes heftig kritisiert. Fordern Sie auch einen sofortigen Stopp der Gesetzesnovelle?

Ich empfinde den Entwurf zum Fortpflanzungsmedizingesetz als ethischen Dammbruch und großen Irrtum. Die Österreichische Bischofskonferenz, der ich vorstehe, hat Ende November ein Gutachten im Parlament eingereicht, in dem wir eine Rücknahme des Vorschlags und eine breite gesellschaftliche Diskussion über die geplanten Änderungen eingefordert haben. Unser Hauptkritikpunkt an diesem Gesetz ist die Präimplantationsdiagnostik (PID), die wir als fortschreitende Fehlentwicklung grundsätzlich ablehnen. Ihre Einführung würde die Tötung menschlichen Lebens legalisieren und zu einer neuen Dimension der Diskrimination von Menschen mit Behinderung oder Erbkrankheiten führen. Man darf nicht vergessen, dass es bei der PID nicht um Heilung geht, sondern immer darum, jene Kinder auszusondern, die von der Medizin als weniger perfekt angesehen werden - als ob das Leben nur den Vollkommenen zustünde. Das Wohl des Kindes muss oberste Handlungsmaxime sein. Ein Kind zu bekommen, ist ein Geschenk. Leidtragende des beabsichtigten Gesetzes sind aus unserer Sicht vor allem die Kinder, die zu einem Produkt der Fortpflanzungsindustrie und Mittel zum Zweck würden.

Auch die Adventszeit war von IS-Terror und Taliban-Terror geprägt. Wie sollen wir auf den Terror reagieren?

Was für den Europäer besonders schwer verständlich ist, sind die Ziele aller dieser Gewalttaten: Muslime bekriegen Muslime. Zwei Richtungen bekämpfen sich aufs Blutigste: die Sunniten und die Schiiten. Die einen bilden die große Mehrheit in der islamischen Welt, die anderen eine Minderheit. Diese sind aber im Vormarsch, was die anderen als Bedrohung erleben. Und die Christen werden dabei von allen Seiten bedrängt, verfolgt und getötet, sofern sie nicht aus ihrer Heimat flüchten. Kein Ende des Schreckens ist abzusehen. Beten tut not!

Papst Franziskus will, dass man den Ausschluss von wiederverheirateten Geschiedenen als Taufpaten und Kommunionhelfer überdenkt. Wäre das auch für Sie ein gangbarer Weg?

Bei der jüngsten Bischofssynode in Rom gab es zum Thema Scheidung und Wiederverheiratung spannungsreiche Diskussionen. Eines zeigt sich weltweit: Die traditionellen Ehe- und Familienformen sind viel brüchiger geworden, nicht nur in Europa. Hier stellt sich die Frage: Hat die Kirche ein gutes Wort für die, deren Ehe scheitert? Oder werden sie zu "Christen zweiter Klasse"? Um diese Fragen wird heftig gerungen. Einfach ist es nicht. Jesus war und ist barmherzig. "Gott wird nicht müde zu verzeihen", sagt Papst Franziskus. Was das für die Kirche und ihre Praxis heißt – darüber werden wir Bischöfe uns bei der nächsten Synodensitzung im Oktober ein Urteil bilden müssen.

Wie geht es denn mit der Reform der Diözese weiter – es sollen ja 2015 die ersten Pfarren zusammengelegt werden?

Bei unserer Reform geht es um die Frage: Welche Voraussetzungen müssen wir schaffen, damit katholische Gemeinden im 21. Jahrhundert blühen können – trotz des allgemeinen Rückgangs an praktizierenden Katholiken? Eine unserer Antworten lautet: Wir wollen die kirchliche Verwaltungseinheit "Pfarre" größer fassen und damit die Gemeinden und die Priester entlasten. Unsere Hoffnung ist, dass dadurch möglichst viele Gemeinden vor Ort erhalten bleiben – aber auch, dass neue Gemeinden entstehen und dass neue missionarische Initiativen in größeren Räumen besser wachsen können. Es soll in einer künftigen, größeren Pfarre neben der Pfarrkirche möglichst viele lebendige Orte kirchlichen Lebens geben. So wie wir das heute ja auch schon kennen, zum Beispiel in der Dompfarre in Wien, wo neben dem Stephansdom auch die Franziskanerkirche oder die Ruprechtskirche Orte sind, wo sich Menschen versammeln – zum Gottesdienst, zu sozialen Initiativen, zum gemeinsamen Entdecken, was es heute heißt, Christ zu sein.

Was erhoffen Sie sich für 2015?

Trotz aller erschreckenden täglichen Nachrichten in den Medien möchte mit den Worten von Papst Franziskus sagen: "Lassen wir uns die Hoffnung nicht nehmen!" Das ist der Kern der Weihnachtsbotschaft und das gilt auch für 2015.

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