Es ist durchaus ein positiver Charakterzug, wenn man solche Dissonanzen aufarbeitet. Das haben wir dann auch ausführlich in einem burgenländischen Wirtshaus getan. Dort hat er mich gefragt, ob ich ihn in Wirtschaftsfragen künftig beraten würde.
Sie wollten vor einer Woche kein Interview geben. Warum haben Sie Ihre Meinung nun geändert?
Ich habe die vielen Reaktionen auf die Aussprache zwischen uns mit Interesse wahrgenommen. Aber dass ein Regierungschef oder ein Landeshauptmann auch außerhalb seines Mitarbeiterstabes Rat sucht, ist ja nichts Besonderes.
Sie beide waren alles andere als gute Freunde. Doskozil hat Ihnen mit Aktionen wie beispielsweise einem Doppelinterview mit Sebastian Kurz den Wahlkampf 2017 schwer gemacht. Haben Sie die Reaktionen angesichts dieser Erinnerungen tatsächlich überrascht?
Bei allen tagespolitischen Aufgeregtheiten sollte man das Wesentliche nicht aus den Augen verlieren. Die Partei hat sich am Silvestertag 1888/89 gefunden, weil Viktor Adler eben verschiedene Strömungen und Lager vereint hat. Das stand an der Wiege der Partei. Das hat die SPÖ von einer Splittergruppe zu einer staatstragenden Partei gemacht. Jeder, der glaubt, dass man interne Konflikte durch Zuspitzung oder indem man aufeinander losgeht, lösen kann, dem wünsche ich viel Vergnügen. Das wird nicht funktionieren.
Das heißt, es gab Unverständnis innerhalb des linksliberalen Flügels in der Partei, warum Sie jetzt mit Doskozil kooperieren?
Ich halte es für falsch zwischen guten und schlechten oder anständigen und unanständigen Sozialdemokraten zu trennen. Bei allen handelnden Personen sind die Gemeinsamkeiten weit größer, als die Inhalte, die sie vielleicht trennen. Wenn einem die Fähigkeit abhandengekommen ist, die unterschiedlichen Strömungen zu integrieren, dann wird die Zukunft wirklich schwierig. Die ÖVP schafft es derzeit, weit unterschiedlichere Interessenslagen zu vereinen. Zwischen Bauernbund, Wirtschaftsbund, der Jungen VP und dem Arbeitnehmerbund passt mehr als ein Blatt Papier – und trotzdem gelingt es, geeint nach außen aufzutreten. Das ist das, was Wähler und Mitglieder sich auch erwarten.
Das war lange nicht so. Vor Sebastian Kurz war die ÖVP auch ein Intrigantenstadl …
In der ÖVP hat die Palastintrige zur Ablöse der Führung geführt, und eine neue Führung ist gekommen. Aber die SPÖ hat – sarkastisch formuliert – das Problem, dass ihre Intriganten auch noch Dilettanten sind, die Probleme nur vergrößern, aber nicht zur Klärung beitragen. Was ich als Vorsitzender bemerkenswert fand, ist, dass diese Menschen alle Namen und Adressen haben. Aber trotzdem hält immer irgendwer die schützende Hand über die Akteure, und sie werden skurrilerweise auch noch belohnt. Es ist eine Mischung aus Bösartigkeit und Inkompetenz, die dann zu solchen Entwicklungen wie dem Ergebnis am Parteitag führt.
Wird sich Pamela Rendi-Wagner nach den 75 Prozent noch halten können?
Es ist kein gutes Ergebnis. Punkt. Aber es muss nicht beunruhigen. Wenn man ein paar Monate voraus blickt, gibt es zwei Szenarien: Wenn der Bundeskanzler angeklagt wird, ist völlig egal, wie viel Prozent Rendi-Wagner am Parteitag hatte. Und wenn er nicht angeklagt wird, hat die SPÖ ohnehin noch genug Zeit, das Haus zu bestellen und die Reihen zu schließen. Denn egal wie lange es noch dauern wird, die SPÖ wird höchstwahrscheinlich die nächste Regierung nach Kurz anführen. Darauf muss man sich vorbereiten. Dazu gehört auch, eine aktive sozialdemokratische Wirtschaftspolitik zu entwickeln, wie sie etwa das Burgenland vorgelegt hat.
Obwohl Doskozil in der Migrationsfrage immer anderer Meinung war als Sie?
Ja, wir waren anderer Meinung. Sind wir wohl auch noch. Aber wir haben einen Modus damit umzugehen gefunden. Sie erinnern sich, dass ich als Parteivorsitzender Doskozil und Peter Kaiser beauftragt habe, ein Migrationspapier auszuarbeiten. Unterschiedlichste Vertreter aus allen Teilen der SPÖ haben sich an der Diskussion beteiligt, am Ende stand ein Kompromiss, an den sich alle halten sollten.
Sie sind nun Unternehmer und investieren in Zukunftstechnologien. Hat die SPÖ hier die richtigen Programme?
In der österreichischen Politik sind wichtige Zukunftsfragen zweifellos unterbelichtet. Aber das ist kein SPÖ-Phänomen. Wir erleben gerade so etwas wie das Revival der roaring twenties. Unglaubliche Fortschritte im Bereich der Künstlichen Intelligenz, der Industrieautomatisierung, der Umwelttechnologien, der Medizin, wenn sie etwa an die mRNA-Impfstoffe denken. Krebs wird zu einer heilbaren Krankheit, erneuerbare Energieträger produzieren Strom billiger als Gas, Kohle oder Atomkraft. Die entscheidende Frage wird sein: Wie schaffen wir es, dass der gesellschaftliche Wandel, der damit kommen wird, zum Nutzen aller erfolgt und nicht nur ein Elitenprojekt bleibt. Die Grünen haben mit der Klimapolitik ein wichtiges Feld besetzt, aber wie man den Weg zum Ziel gestaltet, bleibt völlig unklar. Oft genug folgen Bekenntnissen keine Taten. Das enttäuscht mich. Das zeigt sich am Beispiel des Erneuerbaren-Ausbau-Gesetzes, das heute im Plenum beschlossen werden soll. Das ist höchst relevant, weil es ein Kernstück unserer Klimapolitik sein könnte. Wir wollen eine Milliarde Euro ausgeben, um unsere Stromversorgung umweltfreundlicher zu gestalten. Aber wir fördern nicht die Effizientesten, sondern die mit der besten Lobby wie etwa die Biomasse- oder Windkraftbetreiber. Bessere Politik muss nicht teurer sein. Mehr Geld ausgeben, das in die falschen Taschen fliest, ist eine vertane Chance.
Wenn Sie sich immer noch so intensiv mit den Zukunftsthemen beschäftigen, bereuen Sie es, nicht in der Politik geblieben zu sein? Denn acht Monate nach Ihrem Ausstieg wurde das Ibiza-Video veröffentlicht …
Wenn ich die Abfolge geahnt hätte, dann wäre es wahrscheinlich so gewesen. Das hat mich auch nach Aufkommen des Ibiza-Videos beschäftigt. Aber bei mir war es eine bewusste Entscheidung zugunsten der Familie. Langweilig wird mir trotzdem nicht.
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