Causa Pilnacek: Todeszeitpunkt und mehr "hätte man längst wissen können"

Christian Pilnacek († 2023) war Justiz-Sektionschef.
Mehr als ein Jahr, nachdem die Staatsanwaltschaft Krems den Akt zum Todesfall Christian Pilnacek geschlossen hat, muss sie nun erneut prüfen, ob doch noch Ermittlungen wegen Fremdverschuldens eingeleitet werden sollen.
Ein Baustein ist ausgerechnet ein Beweisstück, das die Behörde von Anfang an hatte: jene Smartwatch, die der Justiz-Sektionschef bei seinem Tod am Handgelenk trug.
Offenbar wurde diese beim ersten Mal nicht ordentlich ausgewertet – und das wirft nun eine Reihe von Fragen auf, für die der KURIER einen IT-Forensiker konsultiert hat. Er ist regelmäßig in Kriminalfällen als Sachverständiger tätig und möchte deshalb nicht namentlich genannt werden.
Eines vorweg: „Einen Todeszeitpunkt und Hinweise auf einen möglichen Kampf hätte man längst wissen können.“
Keine Gesundheitsdaten?
Die Vorgeschichte: Pilnacek wurde am 20. Oktober 2023 gegen 7 Uhr tot in einem Seitenarm der Donau bei Rossatz, NÖ, gefunden. Seine Smartwatch wurde vom Arm genommen und gemeinsam mit Kleidung und Ehering in den Leichensack gelegt, wie in der Tatortmappe festgehalten wurde.
Dort sei sie bis zur Obduktion am 26. Oktober geblieben und dann vom Landeskriminalamt formell sichergestellt worden, heißt es aus Ermittlerkreisen.
Am 1. März 2024 wurde das Verfahren eingestellt. Im Abschlussbericht ist zur Smartwatch zu lesen, dass sich „keine für das Ermittlungsverfahren relevanten Daten“ ergeben hätten, „insbesondere gibt es keine Einträge hinsichtlich GPS-Standortdaten oder Health Data“.
Was falsch ist.
Im März 2025 ließ die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) die Daten im Zuge ihres Verfahrens wegen Amtsmissbrauchs ergänzend auswerten. Die IT-Experten der Justiz stellten eher beiläufig fest, dass die Haupt-Gesundheitsdatenbank „shealth.db“ verschlüsselt sei. Eine andere Datenbank („SurveyLog.db“), die Daten zu Herzschlag und Handgelenksbewegungen enthält, sei aber lesbar, wie auch der IT-Forensiker im KURIER-Gespräch betont, nachdem er den Bericht gelesen hat.
Automatisierte Analyse
Wie man das damals übersehen konnte? „Der Sachbearbeiter des Bundeskriminalamts hat eine Software drüberlaufen lassen, die diese Daten nicht interpretieren konnte. Es wird aber angezeigt, dass Datenbanken vorhanden sind. Um zu schauen, was drinnen ist, hätte man einen IT-Experten mit Tiefenwissen gebraucht.“
Nun stehe die IT der Polizei bestimmt unter hohem Arbeitsdruck und könne sich nicht jeden Fall anschauen, zeigt der Fachkollege Verständnis. „Aber wenn es um die Abklärung eines Fremdverschuldens geht, sollte man schon erwarten, dass die Experten herangezogen werden, um der Sache auf den Grund zu gehen.“
Auf KURIER-Nachfrage wird in Ermittlerkreisen erklärt: „Für den damaligen Sachbearbeiter war entscheidend, was er selbst mit der Software auslesen kann. Alles andere war mit Unsicherheiten behaftet.“
Mehrere mögliche Erklärungen
Tatsächlich seien Daten von Smartwatches nur schwierig zu interpretieren, bestätigt der IT-Forensiker. In Pilnaceks Fall wirft etwa der hohe Akkuverbrauch des Geräts zwischen 1 und 4 Uhr Fragen auf, ebenso die Bluetooth-Aktivitäten in diesem Zeitraum (der KURIER berichtete).
Möglich, dass Pilnacek gegen 4 Uhr starb und das Gerät dann keine Aktivitäten mehr aufzeichnete. Möglich, dass er an jenem Abend nicht alleine am Ufer war und seine Smartwatch ein anderes Gerät erkannt hat. Möglich auch, dass Daten abgesaugt und/oder gelöscht wurden, wie ein „Ausreißer“ in der Bluetooth- und WLAN-Aktivität nach Auffinden des Leichnams bzw. ein verdächtiger Log-Eintrag andeuten.
Aber, so betont der IT-Forensiker: „Es gibt nicht die eine, sondern mehrere mögliche Erklärungen dafür – von völlig harmlos bis brisant.“
Vertiefender Blick
Einen vertiefenden Blick wert seien jedenfalls die „Barometerdaten“: Zwischen 1.23 und 4.03 Uhr veränderten sich die Werte „erratisch“ und außerhalb des normalen Intervalls, wie im IT-Bericht der WKStA dargestellt wird.
Der Forensiker kann im KURIER-Gespräch nur spekulieren, dass der Sensor womöglich unter Wasser war und der Luftdruck deshalb falsch dargestellt wurde. Defekt sei der Sensor jedenfalls nicht – nach 4.03 Uhr zeichnete er wieder normal auf. Auch hier könnten die Gesundheitsdaten ergänzend für Aufklärung sorgen.
Die Staatsanwaltschaft Krems hat den Hersteller der Smartwatch kontaktiert, um mehr Daten zu bekommen. Auch das hätte man schon vor einem Jahr tun können.
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