Landau: "Die Kirche antwortet viel zu oft auf Fragen, die ihr niemand mehr stellt"
Dem Video von ÖVP-Chef und Kanzler Karl Nehammer, in dem er sich für einen Hamburger als warmes, wenn auch nicht gesundes Essen, ausspricht, kann er nichts abgewinnen. Caritas-Präsident Michael Landau plädiert für eine differenzierte Diskussion.
➤ Mehr lesen: Bürger-Video und die Folgen
Diese müsse möglich sein, aber, "mit einer Verhöhnung armutsbetroffener Menschen ist niemandem gedient. Auch Arme haben Würde, u. die ist zu achten“, schreibt Landau auf X. Im KURIER-Interview spricht er über sein Verhältnis zur ÖVP, Migration, das Feldlazarett Kirche und die Priesterweihe von Frauen.
Michael Landau: In Notsituationen ist nicht die erste Frage, wie Gott das zulassen kann, sondern was ich tun kann. Not ist für mich nicht zuallererst eine Anfrage an den Glauben, sondern eine Aufforderung zum Handeln.
Sieht die Regierung die Not?
Zu aller erst sehe ich in unseren Sozialberatungsstellen einen Zuwachs der Erstkontakte von bis zu 50 Prozent. Die Schlangen werden länger: Es wenden sich jetzt auch viele Menschen an uns, die nie gedacht hätten, jemals Hilfe zu benötigen. Zum anderen sehe ich, was Regierung und Länder in den vergangenen Jahren getan haben. Diese Hilfspakete haben in vielen Fällen noch dramatischere Armutssituationen verhindert. Wer diese Leistungen vom Tisch wischt, der betreibt das Geschäft von Populisten. Klar ist aber auch: Es bleibt noch viel zu tun.
Es macht den Eindruck, Ihre Beziehung zu Kanzler Karl Nehammer ist weit besser als zu seinem Vor-Vorgänger Sebastian Kurz. Wenn Nehammer jetzt kampagnisiert „Glaubt an dieses Österreich“ stimmen Sie mit ein?
Ich denke, es ist nicht das schlechteste Zitat aus dem Zitate-Fundus der II. Republik. Doch wer möchte, dass möglichst viele Menschen an dieses Land glauben, sollte glaubwürdig für Reformen stehen, von denen die Menschen in unserem Land profitieren. Die Situation damals nach dem II. Weltkrieg war natürlich eine ganz andere. Es geht uns in Österreich verglichen mit damals noch immer sehr gut. Wir haben in der Geburtsortslotterie einen Haupttreffer gelandet. Und dennoch und gerade deshalb dürfen wir uns jetzt in der Krise mit der Not nicht abfinden.
Hilft der Blick zurück oder verstellt er die Sicht?
Der Blick in die Vergangenheit, der nähere und der weitere, zeigt uns, wie viel wir gemeinsam vermögen und bewältigen können. Er zeigt, was Österreich groß gemacht hat: Aufzustehen, anzupacken und auf die Schwächsten nicht zu vergessen. Wir haben es mit einer Mehrfach-Krise zu tun und damit verbunden ist auch eine Krisenmüdigkeit. Wenn ich aber mit den Menschen in jenem Seniorenheim spreche, in dem ich Seelsorger sein darf, sagen viele: „Wir haben schon so viel erlebt. Das werden wir doch auch noch schaffen!“
Die Caritas engagiert sich nicht nur im Bereich der Seelsorge und Pflege, sondern macht insbesondere auch auf Armut aufmerksam. Doch jeder scheint unter Armut etwas anderes zu verstehen …
Wir halten uns an die offiziellen Daten der Republik. Die EU-SILC-Daten besagen, dass 200.000 Menschen in Österreich massiv von Armut betroffen sind - um 40.000 mehr als im Jahr zuvor Und als Armutsgefährdungsschwelle gelten 60 Prozent des Medianeinkommens. Soweit die Zahlen: Uns geht es aber um etwas anderes: Hinter den Zahlen stehen immer Menschen und konkrete Wirklichkeiten.
Wer in einen Sozialmarkt geht, der muss belegen, dass er darauf angewiesen ist. Verstehen Sie, dass Menschen gerade dadurch gebrandmarkt werden?
Mein Ziel ist, dass es die Angebote nicht braucht, weil Menschen von der Arbeit, die sie haben, leben können. Sozialmärkte sind auch ein Stachel im Fleisch der Gesellschaft, die Erinnerung, dass wir uns mit der Armut nicht abfinden dürfen. Ich bin froh, dass Sozialminister Johannes Rauch bei der Lebensmittelausgabe unterstützend helfen wird. Gleichzeitig gibt es ein Umdenken bei Unternehmen selbst.
Mit wieviel Geld muss ein Mensch auskommen, der armutsgefährdet ist?
Wenn ich den Ausgleichszulagenrichtsatz heranziehe, also das, was Mindestpensionisten erhalten, dann sprechen wir von etwa 1.100 Euro pro Monat. Diese Summen werden nun um 9,7 Prozent als Inflationsausgleich erhöht. Das ist nicht wenig, aber noch immer unter der Armutsgefährdungsschwelle. Der Mikrowarenkorb hat sich stärker erhöht und deshalb geraten jetzt so viele in eine bedenkliche Schieflage. Gleichzeitig dürfen wir nicht so tun, als würde das Land den Bach hinuntergehen, denn das entspricht einfach nicht den Fakten. An einigen Stellen wäre substanzielle Veränderungen bei gutem Willen machbar.
Wo soll es substanzielle Veränderung geben?
Kommentare