Neujahrsansprache: Van der Bellen warnt vor "Verzwergung"

"In welchem Land wollen wir leben?", fragt der Bundespräsident in seiner Neujahrsansprache. Welche Antworten er darauf hat.

„In welchem Land wollen wir leben?“ Diese Zukunftsfrage hat Bundespräsident Alexander Van der Bellen ins Zentrum seiner Neujahrsansprache gestellt. Und zwar auch vor dem Hintergrund der Regierungsverhandlungen. Der Präsident äußert indirekt Verständnis dafür, dass diese nach wie vor andauern: Das Finden gemeinsamer Lösungen sei eben nicht nur in Familien, sondern auch in der Politik eine „Geduldsprobe für uns alle“.

Zurück zur Kernfrage: Für ein lebenswertes Österreich liefert Van der Bellen dann selbst  Denkanstöße. Etwa in puncto Sicherheitspolitik: Österreich sei ein Land, „das es seit frühen Tagen versteht, Konflikte nicht in Unversöhnlichkeit enden zu lassen, sondern Gegensätze zu verheiraten“, sagt er. 

Diese ureigene Fähigkeit habe Österreich immer geholfen – „in jeder Dimension unserer Existenz“. Gleichzeitig plädiert Van der Bellen für den Schutz „vor inneren und äußeren Bedrohungen. Mit einer Stärkung der Verteidigungsfähigkeit“.

Verbindung von Wirtschaft und Klimaschutz

Zweiter Pfeiler der Rede des ehemaligen Grünen-Vorsitzenden: Die Verbindung der Wirtschaft mit Klima- und Umweltschutz. 

Österreich sei reich an Naturschätzen, betont Van der Bellen: „Das Österreich, an das ich glaube, schafft es, die ganze Welt an dieser Schönheit teilhaben zu lassen. Und gleichzeitig will ich, dass wir sorgsam mit unseren Schätzen umgehen. Und einen Weg finden, diese wirtschaftlich zu nutzen, ohne ihre und unsere Seele zu verkaufen.“ In diesem Zusammenhang glaube er an ein nachhaltiges Österreich, das dauerhaft Wohlstand für „alle Bürgerinnen“ schaffe. 

Österreich müsse Beschäftigung und Produktivität fördern, benötige eine robuste Infrastruktur und hohe Attraktivität für Investitionen und Handel. Ein lebenswertes Österreich, so Van der Bellen, müsse für „Stabilität und Wachstum“ stehen.

„Populistisches Trugbild von Souveränität durch Verzwergung“

Der dritte, zentrale Aspekt der Ansprache: Österreichs Rolle als EU-Mitglied. Österreichs Ziel müsse Sicherheit und Frieden sein: „Als Mitglied der Europäischen Union, das sich der Vorteile eines Bündnisses von 450 Millionen Menschen bewusst ist – und nicht dem populistischen Trugbild von Souveränität durch Verzwergung auf den Leim geht.“

Vor allem diese Passage kann als indirekte Kritik am EU-skeptischen Kurs der FPÖ gewertet werden. Deren Parteichef Herbert Kickl hat Van der Bellen im Herbst – trotz des klaren Wahlsieges – bekanntlich nicht mit der Regierungsbildung beauftragt.

Auf die FPÖ oder deren Kritik an Van der Bellens Amtsführung, geht das Staatsoberhaupt übrigens nicht weiter ein. Er glaube jedenfalls an ein „respektvolles Österreich“, wie der 80-Jährige klarstellt. Das heißt? „An ein Österreich als liberale Demokratie, in der die rechtsstaatlichen Institutionen geachtet werden und die Justiz unabhängig arbeitet. An ein Land ohne Hass, Häme und Vorurteile. Ein Land, in dem Hilfesuchenden geholfen wird und gleichzeitig unsere Art, zu leben, respektiert wird.“

In so einem Land, meint Van der Bellen, wolle er leben. Und er sei davon überzeugt, dass es noch viel mehr Dinge gebe, die Österreich „ausmachen und ausmachen werden“. Deshalb fragt er abschließend: „Welche fallen Ihnen ein?“

Liebe Österreicherinnen und Österreicher und alle Menschen, die hier leben!

Ich hoffe, Sie sind gut ins neue Jahr gerutscht. Haben im Kreise Ihrer Lieben das Neue Jahr gefeiert und gemeinsam Pläne für die Zukunft gemacht. Es sind wertvolle Tage und wir können uns auf die Dinge konzentrieren, die wesentlich sind.

Und sehen Sie: In unserer Republik ist es ganz ähnlich. Dieser Tage wird über die nächste Bundesregierung verhandelt. Auch hier geht es - wie in jeder Familie - um den Ausgleich von Interessen. Das Finden gemeinsamer Lösungen. Und natürlich ist das - offen gesagt - auch eine Geduldsprobe für uns alle. Eines ist mir jetzt sehr, sehr wichtig. Dass wir diese Zeit nutzen, um über eine ganz grundlegende Frage nachzudenken.

Nämlich: In welchem Land wollen wir leben?

Was soll Österreich in der Zukunft sein? Nicht nur nächstes Jahr. Sondern in den kommenden Jahrzehnten. Und was sollen die Menschen in dreißig, in hundert Jahren, über das Österreich von heute denken?

Ich weiß: Vieles ist ungewiss und unklar. Und mitunter verwirrend. Aber wir brauchen ein gemeinsames Bild davon, wie unser Land aussehen soll. Eine Vorstellung von Österreich und den Willen, dieses Österreich zu gestalten .

Woran glauben wir im Kern? Was können wir mitnehmen? Was wird uns helfen? Was brauchen wir nicht mehr? Wie wecken wir Begeisterung? Wie bringen wir unser Land zum Erblühen?

In welchem Land wollen wir leben? Ich hätte da ein paar Ideen.

Ich glaube an ein kulturell reiches Österreich. Das Land von Mozart und Lassnig und Jelinek. Von Falco und Wanda und Gabalier. Ein Land der Künste, des Theaters, der Oper. Das Land einer reichen Volkskultur, das Vielfalt schätzt. Ein Land der Lebenskunst.

Ein Land, das inmitten Europas seit alten Zeiten am Kreuzungspunkt von Norden, Süden, Osten und Westen liegt. Und aus den Gegensätzen, die hier einander begegnen, Kraft, Ideen und Lebendigkeit schöpft.

Ein Land, das es seit frühen Tagen versteht, Konflikte nicht in Unversöhnlichkeit enden zu lassen, sondern Gegensätze zu verheiraten. In so einem Österreich will ich leben.

Diese ureigene, uralte Fähigkeit, Gegensätze zu versöhnen, hat uns immer geholfen. Und sie wird uns auch in Zukunft helfen, in jeder Dimension unserer Existenz.

Ich glaube an ein Österreich, das einen unfassbaren Reichtum an Naturschätzen besitzt. Unsere Berge, unsere Seen und Wälder, aber auch unsere wunderbaren Städte sind einzigartig. Gibt es ein schöneres Kompliment, als dass man andernorts Plätze wie Hallstatt so magisch findet, dass man sogar versucht, sie nachzubauen?

Das Österreich, an das ich glaube, schafft es, die ganze Welt an dieser Schönheit teilhaben zu lassen. Und gleichzeitig will ich, dass wir sorgsam mit unseren Schätzen umgehen. Und einen Weg finden, diese wirtschaftlich zu nutzen, ohne ihre und unsere Seele zu verkaufen. In so einem Österreich will ich leben.

Ich glaube an ein nachhaltiges Österreich. Das durch seine nachhaltige Wirtschaft dauerhaften Wohlstand für alle Bürgerinnen schafft. Mit der Förderung von Beschäftigung und Produktivität, dem Aufbau und Erhalt einer robusten Infrastruktur und einer hohen Attraktivität für Investitionen und Handel.

Ein Österreich, das für Stabilität und Wachstum steht. In so einem Österreich will ich leben.

Ich glaube an ein Österreich, das das lebenswerteste Land der Welt ist. Mit der lebenswertesten Umwelt für unsere zukünftigen Generationen. Wo der Schutz der natürlichen Ressourcen, der Wälder und der Biodiversität ernst genommen wird. Ein Land, das es schafft, unsere Natur mit einer verantwortungsvoll agierenden, prosperierenden Wirtschaft zu verbinden.

Ich glaube an ein Österreich mit einer gerechten Gesellschaft, in der alle Menschen gleiche Chancen haben. Und ungleiche Fähigkeiten nicht zu sozialem Ausschluss führen, sondern Inklusion selbstverständlich ist.

Wo Armut und Ungleichheit bekämpft werden. Wo Mädchen und Buben in der Schule, wo Mann und Frau am Arbeitsmarkt nicht diskriminiert werden. In so einem Österreich will ich leben. 

Ich glaube an ein schlaues Österreich: Eine wissensbasierte Gesellschaft mit globaler Wettbewerbsfähigkeit. In der wir den Fokus auf die Förderung von Bildung und Innovation legen. Die Bildungsqualität vom ersten Lebensjahr an verbessern, in Forschung und Technologie investieren und uns auf die digitale Transformation vorbereiten.

Und an ein Land, in dem Menschen sich freudvoll anstrengen, weil sie wissen, dass sich ihre Anstrengungsbereitschaft lohnt. Weil sie wissen, dass sie etwas erreichen können und ihr Leben durch ihre eigene Kraft verbessern.

In so einem Österreich will ich leben. Und in einem Österreich, dessen großes Ziel Sicherheit und Frieden sind. Mit Schutz vor inneren und äußeren Bedrohungen. Mit einer Stärkung der Verteidigungsfähigkeit.

Als Mitglied der Europäischen Union, das sich der Vorteile eines Bündnisses von 450 Millionen Menschen bewusst ist - und nicht dem populistischen Trugbild von Souveränität durch Verzwergung auf den Leim geht.

Ich glaube an ein respektvolles Österreich. An ein Österreich als liberale Demokratie, in der die rechtsstaatlichen Institutionen geachtet werden und die Justiz unabhängig arbeitet. An ein Land ohne Hass, Häme und Vorurteile. Ein Land, in dem Hilfesuchenden geholfen wird und gleichzeitig unsere Art, zu leben, respektiert wird.

Das ist das Österreich, in dem ich leben will. Das ist das Land, zu dem ich sage: Du glückliches Österreich.

Liebe Österreicherinnen und Österreicher und alle, die hier leben, ich bin sicher, es gibt noch viel mehr Dinge, die unser Land ausmachen und ausmachen werden. Welche fallen Ihnen ein?

Ich wünsche Ihnen ein wunderbares Jahr 2025.

Möge es voll positiver Überraschungen sein.

Ihr Alexander Van der Bellen.

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