Massive Kritik an Abschaffung des Pressefoyers
Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) hat am Dienstag im Bundeskanzleramt die Journalisten informiert, dass das seit Kreisky bestehende Pressefoyer nach dem Ministerrat in der bisherigen Form abgeschafft wird. Künftig sollen die beiden Regierungskoordinatoren, Kanzeramtsminister Thomas Drozda (SPÖ) und Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) die Öffentlichkeit über Themen aus dem Ministerrat informieren.
Damit geht eine langjährige politische Tradition zu Ende. Das Pressefoyer mit dem Bundeskanzler wurde 1972 vom damaligen Amtsinhaber Bruno Kreisky (SPÖ) eingeführt. Kern sagte, er wisse, dass er für diese Maßnahme vermutlich keinen Applaus ernten werde. "Aber Politik ist kein Hunderennen, wo es nur darum geht, drei oder vier Schlagzeilen zu produzieren." Er sieht sich nicht verpflichtet an diesem "Hunderennen" teilzunehmen, der Ministerrat solle eine Arbeitssitzung sein. Kern kündigte an, er werde die Öffentlichkeit nach größeren Entscheidungen gemeinsam mit Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) informieren. Zudem kündigte er die Einrichtung eines Kanzlerblogs an.
Journalistenvertreter üben massive Kritik
In einem gemeinsamen Statement verurteilten die großen Journalismus-Organisationen die Maßnahme und warnten vor einer "Einschränkung der Medienfreiheit für traditionelle Medien". Den Journalisten werde die Möglichkeit genommen, die Regierungsspitze "persönlich zu ihrer Verantwortung bei wesentlichen Themen zu befragen". Dies "kann nicht im Sinne politischer Transparenz sein", hieß es in der Aussendung der Journalistengewerkschaft, des Redakteursrats des ORF, des Presseclubs Concordia, der Vereinigung der Parlamentsredakteure sowie des Österreichischen Journalistenclubs (ÖJC). Denn das Hinterfragen zähle zu den wesentlichen Aufgaben der Medien - "und nicht eine unhinterfragte Verbreitung vorgefertigter Statements im Sinne von Regierungs-Propaganda".
Die Öffentlichkeit "selektiv über Beschlüsse des Ministerrates zu informieren", werde auch in Zukunft nicht reichen. Das Pressefoyer sei in "entscheidenden Phasen österreichischer Politik" immer wieder die einzige Möglichkeit gewesen, Regierenden, die sich sonst einem Interview verweigert hätten, aktuelle Fragen zu stellen.
Einschränkung der Pressefreiheit für traditionelle Medien
"Aus unserer Sicht geht ein Stück Pressefreiheit in Österreich verloren, da es nicht mehr möglich ist, ohne vorherige Interviewanfrage Regierungspolitikern Fragen stellen zu können", wurde festgehalten. Gewarnt wurde vor einer Verlagerung der politischen Kommunikation von den traditionellen Medien in soziale Netzwerke: Dies sei aus Journalistensicht "nicht gut für die Demokratie", weil es keine Möglichkeit zum kritischen Nachfragen mehr gebe. Der angekündigte "Kanzler-Blog" sei eine Ein-Weg-Kommunikation, die kein kritisches Nachfragen erlaube.
Die Journalisten-Vertretungen wollen daher "genau beobachten, wie die von Bundeskanzler Kern angekündigte Informations-Offensive der Regierungspolitik konkret aussieht, beziehungsweise wie sehr es durch die Abschaffung des Pressefoyers zu einer Einschränkung der Medienfreiheit für traditionelle Medien kommen wird", hieß es abschließend.
Das Presse-Briefing nach der Regierungssitzung, das künftig nur noch die Regierungskoordinatoren bestreiten, geht eben in die Ära Kreisky zurück. Als erster Bundeskanzler erkannte er die Chance der Medieninszenierung und empfing ab 14. März 1972 Journalisten im Ecksalon des Kanzleramts. Am Tag der "Neueinführung", die sich laut der Arbeiter-Zeitung bereits "bei ihrer Premiere bestens bewährte", wurden noch Kaffee und Krapfen serviert. "Die sind vom Fasching übriggeblieben", sagte Kreisky demnach.
Höfliche Fragen ließ sich Kreisky gefallen, vorlaute Medienleute wurden abgekanzelt. Legendär sein Sager im Frühjahr 1981: "Lernen Sie ein bisschen Geschichte, dann werden Sie sehen, Herr Reporter, wie das in Österreich sich damals im Parlament entwickelt hat."
Sitzender Sinowatz, Vranitzky setzte auf "Stehfoyer"
Fred Sinowatz schätzte die Nähe der Medien weniger. Er ging auf Distanz und legte sein Foyer am Tisch im kleinen Ministerratssaal als formelle Pressekonferenz an.
Klima und die Kordel
Auch Vranitzkys Nachfolger Viktor Klima machte anfangs ein "Stehfoyer", bereitete dem - beraten von seinen berüchtigten "Spin-Doktoren" - aber 1998 ein Ende. Gefragt war ab nun die vermeintlich perfekte Fernseh-Inszenierung: Klima verlegte seinen Auftritt in den Kongresssaal des Kanzleramts und baute sich fortan hinter einem Stehpult auf - eine rote Kordel sorgte für Distanz zu Journalisten und Kameras. Eine Wahlniederlage später war Viktor Klima Geschichte. Das Stehpult überlebte.
Schwarzblaues Doppelfoyer
Im Februar 2000 brachte die schwarz-blaue Koalition ein Novum: Kanzler und Vizekanzlerin traten erstmals gemeinsam auf - zuvor hatten sich die Koalitionspartner mit eigenen Pressekonferenzen vor oder nach dem Kanzler bescheiden müssen. ÖVP und FPÖ wollten mit dem "Doppelfoyer" sowohl den "Schulterschluss" gegen die EU-Sanktionen als auch die neue Harmonie nach dem großkoalitionären Gezänk demonstrieren.
Rotschwarze Trennung auf Zeit
Auch nach der Neuauflage der Großen Koalition 2007 wurde das gemeinsame Pressefoyer beibehalten - zwischenzeitlicher Liebesentzug inklusive: Kanzler Alfred Gusenbauer und sein Vize Wilhelm Molterer traten anfangs gemeinsam vor die Medien, nach einem Konflikt um die Steuerreform bestand der SP-intern unter Druck geratene Gusenbauer auf getrennten Auftritten. Im März 2008 rauften sich SPÖ und ÖVP dann zwar wieder zusammen. Die beim "Neustart" vereinbarte neue Ministerrats-Inszenierung (gemeinsame Auftritte schon vor der Regierungssitzungen) war aber nur von kurzer Dauer, denn keine vier Monate später beendete Molterers "es reicht!" die Koalition.
Faymann: Zurück zum Duett
Die Regierung Faymann kehrte dann wieder zum gemeinsamen Auftritt zurück: Zuerst - mit Vizekanzler Josef Pröll - sitzend an einem Tisch, dann - mit Michael Spindelegger und in weiterer Folge Reinhold Mitterlehner - wieder an Stehpulten. Daran änderte sich in fast acht Jahren Faymann wenig. Aufregung gab es nur, als sich das Regierungsduo überlegte, dass mitunter Fachminister an ihre Stelle treten und über Aktuelles aus ihren Bereichen informieren könnten. Die Aufregung der Presse war groß, der Plan wurde wohl auch aus anderen Gründen nach einigen kümmerlichen Versuchen wieder ad acta gelegt.
Alles neu bei Kern
Da nach der Ära Faymann alles neu werden sollte, durfte auch eine Neuinszenierung des Ministerrats nicht fehlen. Christian Kern übersiedelte das Foyer in den Steinsaal, wo traditionell die Medienvertreter vor der Regierungssitzung den Ministern auflauern. Zunächst ohne Pulte, später mit, dann wieder ohne versuchten Kanzler und Vizekanzler der Medien-Info neuen Schwung zu verleihen. Gefallen haben Kern/Mitterlehner die Auftritte offenbar nicht. Statt eines Foyers soll es nun öfter mal themenbezogene Hintergrundgespräche mit dem Kanzler geben.
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