Budgetloch: Erste Spar-Milliarde zahlen Familien
Auch wenn das Budgetloch laut Regierung kleiner ist als ursprünglich angenommen – 24,2 Milliarden Euro müssen binnen fünf Jahren lukriert werden.
Wie wollen die Koalitionäre das schaffen? Einen ausgefeilten Plan gibt es noch nicht. Die Details müssen erarbeitet werden. Grob haben Rot und Schwarz aber skizziert, wie und wo gespart werden soll.
– Pensionen: 8,7 Milliarden Euro wollen SPÖ und ÖVP da holen. Ab 2014 wird es schwerer, in Frührente zu gehen. Überdies wird ein Bonus-Malus-System erwogen – als Anreiz für Arbeitnehmer, länger im Job zu bleiben; und für Arbeitgeber, damit sie Ältere länger beschäftigen. Pensionsexperte Bernd Marin ist im KURIER-Gespräch skeptisch, auf diese Art das Ziel zu erreichen: „Das ist theoretisch möglich, aber praktisch sehr unwahrscheinlich. Man kann erst beurteilen, ob das Ziel erreichbar ist, wenn die Maßnahmen und Zeitpläne detailliert feststehen. Aus meiner Sicht ist es jedenfalls ziemlich unwahrscheinlich, auf 8,7 Milliarden zu kommen, wenn man das Frauenpensionsalter nicht vor 2018 – und Abschläge, auch für Unternehmen und über die derzeitigen Regelungen hinaus - erhöht.“
– Bundesländer: Allein fünf Milliarden Euro sollen Wien & Co. aufbringen. Wie kommt die Regierung auf diese Zahl? Sie geht davon aus, dass bis 2018 um 15 Milliarden weniger Steuern eingenommen werden als veranschlagt. Damit fallen auch die Länder um fünf Milliarden um (sie kassieren stets ein Drittel der Steuereinnahmen).
–Familienbeihilfe: Vor der Wahl haben Rot und Schwarz verkündet, dass es ab 2014 mehr Geld für Kinder geben wird. Im Schnitt um sechs Prozent hätte die Beihilfe erhöht werden sollen (seit 2000 unverändert). Auch der Zuschlag für kinderreiche Familien hätte steigen sollen. Nun bleibt alles wie gehabt. Jugendvertreter, Opposition und Familienverbände sind empört. Der Bund erspart sich bis 2018 aber rund eine Milliarde Euro.
– Parlamentsumbau: 500 Millionen Euro hätte laut Regierung die Sanierung des Hohen Hauses gekostet. Das werde aufgeschoben. Die drei Nationalratspräsidenten (Prammer, Kopf, Hofer) betonen hingegen, alles laufe nach Plan. Die erste Tranche für die Renovierung soll ohnedies frühestens 2017 fällig werden. Für die Vorbereitung (Ausschreibung, Planung etc.) will die Koalition 32 Millionen Euro bereitstellen.
– Aufnahmestopp: Den soll es im Staatsdienst weiterhin geben.
– Steuerreform: Diese ist wegen der prekären Budgetlage vertagt worden. Lediglich Burgenlands SPÖ-Landeschef Hans Niessl drängt weiter darauf.
– Neue Steuern: Die SPÖ plädierte vor der Wahl für Vermögenssteuern, die ÖVP ist dagegen. Deren Finanzverhandler Josef Pühringer schloss Mittwochabend neue Belastungen nicht aus – wohl zum Missfallen von ÖVP-Chef Michael Spindelegger. Dieser sagte gestern, was er von neuen Steuern hält: Die wären „Gift für das Wachstum“. Einkalkuliert sind dennoch Einnahmen aus der Finanztransaktionssteuer (500 Millionen pro Jahr ab 2016).
– Förderungen: Die Regierung hat sich dazu noch nicht geäußert, Experten wie WIFO-Chef Karl Aiginger plädieren aber dafür, bei den vielen Subventionen zu kürzen.
Wie groß ist das Budgetloch? Stimmen die 24,2 Milliarden, von denen Kanzler und Vizekanzler sprechen?
Ja und Nein. Es kommt auf die Betrachtungsweise an. Die Regierung rechnet das Budgetloch aus politischen Gründen klein. Sie nennt daher einen Einsparungsbedarf von 18,4 Milliarden, um das Defizit bis 2018 abzubauen, sowie 5,8 Milliarden Euro für die Bankenhilfe (Hypo). Macht besagte 24,2 Milliarden. In dieser Darstellung wurden jedoch diverse Effekte herausgerechnet. Man spricht nur noch von einem „strukturellen“ Defizit. Genauso gut könnte die Regierung einen Sparbedarf von 31,5 Milliarden nennen. An der Finanzierungsnotwenigkeit ändert sich durch eine andere Darstellungsweise des Defizits nichts, wie IHS-Chef Christian Keuschnigg sagt: „Das tatsächliche Defizit ist damit noch nicht abgebaut.“
Regt das eigentlich niemanden auf?
Doch. Die Opposition tobt, in den Regierungsparteien wird die eigene Kommunikation teils als „desaströs“ bezeichnet und selbst ÖVP-Verhandler wie Günter Stummvoll kritisieren das Begriffs-Wirrwarr: „Das krampfhafte Herunterrechnen bringt nichts. Unterm Strich reden wir von ungefähr 30 Milliarden – auf oder ab. Ob das jetzt Maastricht-Defizit oder strukturelles Defizit heißt, versteht doch eh niemand.“
Darf sich die Regierung solcherart schönrechnen? Ist das nicht Voodoo-Ökonomie in Reinkultur?
Erlaubt ist die Vorgangsweise, wobei unklar ist, ob die EU alles durchgehen lässt. Praktischerweise gibt es dafür diesen Begriff des „strukturellen“ Defizits. Er erlaubt, Zusatzkosten z. B. für die steigende Arbeitslosigkeit bei einer Wirtschaftsflaute herauszurechnen. Damit wird es viel leichter, ein (strukturelles) Nulldefizit zu erreichen als einen tatsächlich ausgeglichenen Haushalt nach Maastricht, wo – vereinfacht – alle Einnahmen und Ausgaben des Staates saldiert werden.
Was ist die Konsequenz daraus?
Mehr und mehr Menschen sagen, dass die Regierung vor der Wahl gelogen hat und nach der Wahl nicht viel ehrlicher geworden ist. Wie sich zeigt, wurden etliche Wahlversprechen – wie das (Maastricht-)Nulldefizit 2016 – still und heimlich beerdigt. Von einer Steuerentlastung schon 2015 ganz zu schweigen.
Wo könnte Brüssel noch eingreifen?
Offen ist, ob die EU erlaubt, die Hälfte des Neun-Milliarden-Sparbedarfs bei den Pensionen als strukturellen Effekt anzusehen und daher herauszurechnen – ganz so als ob dieser Sparbedarf nicht dennoch bestünde. Auch ein fraglicher „Konjunktureffekt“ von stolzen 4,4 Milliarden wurde beim Budgetloch nicht eingerechnet, der sich aus der Differenz zwischen der EU-Prognose und der optimistischeren WIFO-Schätzung ergibt. Rechnet man beides hinzu, landet man wieder jenseits der 30-Milliarden-Grenze.
Drüberschwindeln wird nicht mehr gehen. Wenn nichts passiert, fahren wir gegen die Wand.“ Noch eindringlicher als Rechnungshof-Präsident Josef Moser kann man auf die Notwendigkeit von strukturellen Reformen für den Staatshaushalt nicht mehr hinweisen. „Österreichs setzt seine Glaubwürdigkeit aufs Spiel, wenn wir uns etwas vormachen und keine Maßnahmen setzen“, warnt der oberste Rechnungsprüfer der Nation. Was nachteilige Folgen am Finanzmarkt hätte.
Der Reformdruck sei bereits für den bisher geplanten Finanz-Fahrplan (16 Milliarden Euro Einsparungen) enorm gewesen, „umfangreiche Maßnahmen waren bisher aber nicht sichtbar“. Angesichts des von den Regierungsverhandlern nun genannten Einsparungsbedarfs von 24,2 Milliarden Euro bis 2018 sei der Reformdruck noch „ungleich höher“. Moser hält das Erreichen des von der EU vorgegebenen Nulldefizits allerdings für möglich, „auch ohne Abwürgen der Konjunktur“.
Am dringendsten ist für den Rechnungshof-Chef die sofortige Installierung eines einheitlichen Rechnungswesens. Analog zum Bund müssten Länder und Gemeinden auf eine doppelte Buchführung umstellen. Denn derzeit „wissen wir nicht, wie die wahre finanzielle Situation aussieht, weil wir die Lage von Ländern und Gemeinden gar nicht kennen“. Was Moser am Donnerstag im Klub der Wirtschaftspublizisten so nebenbei als „grob fahrlässig“ kritisierte.
Ebenfalls ganz oben auf der Prioritätenliste steht für Moser der Bereich Bildung. 2800 Lehrer wurden in die Hackler-Pension geschickt, gleichzeitig würden 6700 Lehrer zusätzlich benötigt, die noch nach dem alten Dienstrecht angestellt werden müssten.
Handlungsbedarf ortet Moser auch im Gesundheitsbereich, wo koordiniert finanziert werden müsste. Er moniert, dass im Gesundheitsreformgesetz unter § 1 festgelegt wurde, „alle Kompetenzen bleiben unangetastet“. Als Negativ-Beispiel nennt Moser das Wiener AKH mit der getrennten Aufgabenverteilung zwischen Bund und der Stadt Wien.
Auch das Fördersystem müsse effizienter werden, „es muss eine Input-Output-Analyse geben“. Ebenso bei den Steuern. 558 Steuerbegünstigungen in der Einkommensteuer würden einen Steuerausfall von neun Milliarden Euro und Verwaltungskosten von 73 Millionen Euro verursachen.
Bei den Pensionen wiederholte Moser seine Forderung nach Reformen und kritisierte die Sonderpensionen bei Nationalbank (OeNB), ÖBB und den Sozialversicherungsträgern. In die Luxuspensionen der OeNB, die der Rechnungshof derzeit prüft, könnte nachträglich sehr wohl von der Bank eingegriffen werden.
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