Brexit-Verhandlungen: "Jetzt heißt es kühlen Kopf bewahren"

Brexit-Verhandlungen: "Jetzt heißt es kühlen Kopf bewahren"
Österreichs „Mr. Brexit“, Spitzendiplomat Gregor Schusterschitz, über die Chancen, rechtzeitig einen Kompromiss zu finden.

Sollten die Brexit-Verhandlungen scheitern, drohe eine Katastrophe, warnte EU-Ratspräsident Donald Tusk in einem Brief an die EU-Staats- und Regierungschefs vor dem Gipfel in Salzburg. Steht es wirklich so schlimm? Der Spitzendiplomat Gregor Schusterschitz, Vertreter Österreichs in der Brexit-Ratsarbeitsgruppe der EU, gewährt dem KURIER Einblick.

KURIER: Bei aller Verhandlungsdramatik und drastischen Warnungen vor einem harten Brexit, also ohne Abkommen zwischen UK und EU: Wo stehen wir derzeit aus Sicht der EU?

Gregor Schusterschitz: Das Austrittsabkommen ist fast fertig – mit der Ausnahme ein paar kleinerer Bereiche, die sich lösen lassen werden – und der Nordirland-Grenzfrage. Aber die große, noch offene Frage ist das zukünftige Verhältnis, also wie die EU mit Großbritannien zusammenarbeiten wird. Wir haben unseren Plan im März vorgelegt. Er berücksichtigt die roten Linien aller Seiten. Und dann gibt es den britischen „Chequers-Plan“. Der versucht, die eigenen roten Linien so zu retten, indem er rote Linien der EU ignoriert. Das funktioniert aber so nicht.

Dieses zukünftige wirtschaftliche Verhältnis, ist es Teil des Scheidungsabkommens?

Das Austrittsabkommen muss im Herbst fertig sein. Wird es im Oktober oder November angenommen, wird gemeinsam damit eine politische Erklärung zum künftigen Verhältnis abgegeben. Rein rechtlich gehört beides nicht zusammen, die Erklärung zum künftigen Verhältnis ist nur ein politisches Paket. Details können noch bis Ende 2020 geklärt werden.

EU-Brexitchefverhandler Barnier sagt, er möchte die Nordirland-Frage „entdramatisieren“. Gibt es neue Vorschläge?

Die Idee wäre, keine Grenzkontrollen zwischen Irland und Großbritannien – sondern Kontrollen, die irgendwo gemacht werden. So etwas gibt es schon – bei Pflanzen und Tiergesundheit. Die Insel Irland gilt als ein einheitliches epidemiologisches Gebiet – und schon jetzt wird kontrolliert, wenn man von Großbritannien Pflanzen nach Nordirland bringt. So etwas gibt es auch zwischen Spanien und den Kanarischen Inseln. Würde also etwas von Liverpool nach Belfast transportiert, wird es kontrolliert. Aber es gäbe keine Kontrollen zwischen Belfast und Dublin. Diese Kontrollen wären also nichts Neues. Sie würden nach dem Brexit aber eben mehr werden.

Wäre das eine Lösung?

Die Briten sind aber noch nicht damit zufrieden. Sie sagen, das käme einer Grenze innerhalb des Landes gleich und würde die territoriale Integrität des Vereinigten Königreiches belasten.

Geht sich eine Einigung wie geplant bis Oktober aus?

Das ist keine Frage der Zeit, sondern des politischen Willens. Sobald ich weiß, in welche Richtung ich gehen will, ist die Lösung binnen drei Stunden gefunden. Aber beide Seiten müssen aufeinander zugehen. Die britische Seite steht vor schwierigen Entscheidungen, die innenpolitische Situation ist äußerst unklar und fragil. Und ein Austrittsabkommen, das vom britischen Parlament abgelehnt wird, davon haben auch wir nichts. Dann sind wir beim „dirty Brexit“.

Und wo hakt es beim zukünftigen Verhältnis zwischen EU und Großbritannien?

In vielen Bereichen gibt es gute Übereinstimmung. Wo es sich spießt, ist die wirtschaftliche Partnerschaft. London will für Waren im EU-Binnenmarkt und damit an einen Teil unseres EU-Rechts gebunden bleiben. Das ist aber so nicht möglich. Die Briten würden einen extremen Wettbewerbsvorteil daraus ziehen. Ihre Industrie würde billiger produzieren als unsere. Es muss Chancengleichheit bestehen, sie können nicht den Austritt dafür nutzen, um die Konkurrenzfähigkeit ihrer Waren uns gegenüber zu erhöhen.

Wie könnten die Briten Waren billiger produzieren?

Ein Beispiel: Man verkleinert den Mindestplatz für Legehennen um drei Zentimeter, lässt die Zahl der Hühner aber gleich – schon wird das Hühnerfleisch billiger. Das Fleisch entspricht damit vollständig unseren Standards, aber die Produktion wird billiger, weil die Briten bei den Produktionsvorschriften nicht mehr an den Binnenmarkt gebunden wären.

Wie sehen Sie die Entwicklung der nächsten zwei Monate?

Uns wird eine heiße Phase blühen, da heißt es kühlen Kopf bewahren und zu Lösungen kommen. Und es wird auch auf den österreichischen Ratsvorsitz ankommen, alle zusammenzuhalten und zu schauen, dass alles abgewickelt wird. Aber unmöglich ist es nicht.

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