Brandstetter: „Maßnahmen der EU gegen Polen werden Erfolg haben“
Der Verfassungsgerichtshof veranstaltet jährlich am 1. Oktober den „Verfassungstag“. Damit wird an den 1. Oktober 1920 erinnert, als das Bundesverfassungsgesetz vom Nationalrat beschlossen wurde. Auch heute, Montag, findet eine hochrangig besetzte Veranstaltung statt. Bundespräsident Alexander Van der Bellen nimmt teil. Ex-Bundespräsident Heinz Fischer hält einen Vortrag über „Die Entwicklung der Bundesverfassung vor dem Hintergrund der Zeitgeschichte“.
Der ehemalige Justizminister Wolfgang Brandstetter ist seit Februar 2018 Mitglied des Verfassungsgerichtshofes. Der Rechtsprofessor an der WU Wien leitet dort ein Projekt, das die Rechtsstaatlichkeit in der EU vergleicht.
KURIER: Herr Professor, gegen Polen läuft ein Rechtsstaatsverfahren, gegen Ungarn hat das EU-Parlament ein Artikel-7-Verfahren eingeleitet. Defizite gibt es in Rumänien, Bulgarien und der Slowakei. Warum sind Osteuropas Länder so anfällig, EU-Werte zu verletzen?
Wolfgang Brandstetter: Es ist ein schwieriger Prozess, sich von den Schatten eines früheren totalitären Regimes restlos zu befreien, die Nomenklatura mit ihren Netzwerken kann lange überleben und mit ihrem korruptiven Einfluss, gepaart mit populistischer Propaganda, die man ja noch gut beherrscht, einem jungen demokratischen Rechtsstaat lange schaden. Interessant ist, dass Polens Regierung gerade mit der notwendigen Befreiung von den Resten des alten Regimes ihre Justizreformen zu legitimieren versucht. Das ist natürlich nicht überzeugend.
Der Auswahl von Richtern kommt in Polen große Bedeutung zu?
Die Entfernung von Richtern vor Ablauf ihrer Funktionsperiode und die Auswahl von Richtern ohne Einbindung unabhängiger Richtergremien und ohne „Checks and Balance“-System der jeweiligen Entscheidungsorgane ist rechtsstaatlich unerträglich. Die Maßnahmen der EU gegen Polen erfolgen daher völlig zu Recht und werden auch Erfolg haben. Das sage ich auf die Gefahr hin, dass der KURIER in Polen auf irgendeiner dubiosen Watchlist staatlicher Behörden landet.
Halten Sie das für möglich?
Durchaus, aber wenn es passiert, seien Sie stolz darauf.
Was sind die Kriterien oder Indikatoren für gute Rechtsstaatlichkeit?
Essenziell für einen Rechtsstaat sind: Konsequente Gewaltenteilung zwischen Gesetzgebung, Verwaltung und Justiz; Unabhängigkeit der Justiz; Transparenz, Informations- und Pressefreiheit, damit Medien ihre Aufgabe als Public Watchdog ungehindert wahrnehmen können; und ausreichende Rechtsschutzinstrumente zur Absicherung von Grundrechten und zum Persönlichkeitsschutz, damit man sich gegen Fake News effektiv wehren kann.
Kann man EU-Staaten in bessere und schlechtere Rechtsstaaten einteilen?
Ja, das muss man auch. Es gibt große Unterschiede zwischen Ländern, in denen rechtsstaatliche Defizite bestehen. Objektive Kriterien für Rechtsstaatlichkeitsvergleiche sind zum Beispiel die Anzahl der Verurteilungen durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte oder die Zahl der Vorabentscheidungsverfahren durch die EuGH-Judikatur.
Hat die EU genügend Möglichkeiten, gegen Länder vorzugehen, die rechtsstaatliche Prinzipien missachten?
Rein judiziell ja, die Kontrolle durch den EuGH und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte funktioniert. Wenn aber Politiker wie Polens Vizepremier Gowin erklären, sie könnten EuGH-Entscheidungen schlicht ignorieren, dann wird es schwierig. Wenn so etwas passiert, dann reichen die politischen Möglichkeiten, dagegen vorzugehen, derzeit wohl nicht aus.
Wird Österreichs EU-Vorsitz das Verfahren gegen Ungarn forcieren?
Bundeskanzler Kurz hat erst kürzlich im Zusammenhang mit Ungarn die Bedeutung der Rechtsstaatlichkeit betont und sich klar positioniert. Die EU-Kommission – gerade Kommissarin Jourová – hat sich stets als Hüterin der Rechtsstaatlichkeit verstanden. Bulgarien und Rumänien stehen seit ihrem Beitritt unter Kontrolle, was auch notwendig ist. Das zeigen einzelne Fälle. In Ungarn gibt es ermutigende Signale. Der zuständige Minister arbeitet an einem neuen Gesetz über die Richterbestellung. Kommt es so, hätte dieses Gesetz EU-Standard.
Ist der Vorstoß des Innenministeriums, kritische Journalisten von Informationen auszuschließen, eine klare Einschränkung der Pressefreiheit?
Ich bleibe meinem Grundsatz treu: Wenn man einmal aus der Politik draußen ist, soll man sich nicht mehr einmischen, schon gar nicht als Höchstrichter. Da hat man Distanz zu halten.
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