Blaue Tristesse in Hofers gefallener Wiener Hochburg

Stadler schaffte 2015 „blaues Wunder“, jetzt ist Simmering VdB-Gebiet.
Auch der einzige FPÖ-dominierte Bezirk hat mehrheitlich Van der Bellen gewählt, in den blauen Grätzeln am Stadtrand herrscht Frust.

Ein Hundesalon und ein Beisl, an einem Eck ein chinesisches Restaurant, am anderen ein Supermarkt, rundherum Beton und mittendrin eine gigantische Wohnkaserne.

Der Begriff "trist" bekommt in der Gegend um die Florian-Hedorfer-Straße in Simmering eine neue Dimension – obwohl am Tag nach der Stichwahl-Wiederholung sogar die Sonne scheint.

Die Bewohner sind kaum bereit, das Wahlergebnis gegenüber dem KURIER zu kommentieren. Die Grundstimmung: bedrückend wie die grau-braunen Hausfassaden. Jener Kandidat, den ein Großteil von ihnen gewählt hat, hat die Hofburg-Wahl am Sonntag verloren. Zwischen 54 und 59 Prozent hat Norbert Hofer hier erzielt, ein Stück weiter, am Wilhelm-Kreß-Platz, waren es sogar 68 Prozent (ohne Briefwahl).

"Is eh g’scheiter, sonst hätten wir uns im Ausland schämen müssen", meint eine Dame mittleren Alters, die im Beisl eine Runde Würfelpoker spielt, und begründet das nicht weiter – "wurscht".

Kurz gibt es zu dem Thema Gelächter, als ein anderer Gast am Handy ein Bild herzeigt. Es ist ein Wahlsujet von Alexander Van der Bellen, mit dem abgewandelten Slogan: "Lassen Sie uns gemeinsam in Oasch gehen."

Vollblut-Sozialistin

Am Wilhelm-Kreß-Platz plaudert eine ältere Dame, die mit ihrem Rollator in der Siedlung spazieren geht, über die Zeit, als Simmering noch ein tiefroter Arbeiterbezirk war. "Ich war Sozialistin durch und durch", erzählt Frau Heidi. "Kämpferisch, überzeugt von unseren Werten. "Und heute bin ich soweit, dass ich mir denke, der Hofer wäre gar nicht so schlecht gewesen als Präsident."

Die SPÖ-Ära in Simmering endete im Vorjahr bei der Wien-Wahl, der Bezirk ist nun als einziger in blauer Hand. Was ist passiert? Die Hackler – klassisch rote Klientel – dürften in Simmering gar nicht so unglücklich sein, meint Frau Heidi: "Wer arbeiten will, findet hier auch Arbeit. Es gibt viele große Betriebe. Und in den Gemeindebauten gibt es solche und solche Ausländer. Es sind nicht alle schlecht."

Es seien aber gerade diese zwei "höchstpersönlichen Bereiche" – Arbeit und Wohnen – die in Simmering mit großer Unsicherheit verbunden seien, erklärt Ex-BZÖ-Chef Peter Westenthaler im KURIER-Gespräch. "Diese Ängste rufen Protest hervor, den man besonders bei Wahlergebnissen im kommunalen Bereich spürt." Westenthaler ist in Favoriten aufgewachsen, in Simmering startete er 1991 als Bezirksrat seine politische Karriere. "Die Simmeringer fühlen sich vernachlässigt", so sein Fazit.

Kaum Veränderung

Paul Stadler hat im Oktober 2015 mit seinem Wahlsieg das "blaue Wunder" geschafft, er wird wegen seiner zugänglichen, freundlichen Art geschätzt. Konkret können die Simmeringer aber nichts nennen, das sich unter der neuen FPÖ-Führung bisher verbessert hätte. "Im kommunalen Bereich ist man halt mehr für die scheppernden Kanaldeckel zuständig", erklärt Stadler. Er hat die Mitarbeiter seiner SPÖ-Vorgänger zur Gänze behalten – er schätzt ihre Erfahrung, ist sich ihrer Loyalität sicher.

Aus den Sprengelergebnissen der Hofburg-Wahl wurde Stadler noch nicht schlau. "Die paar Prozent weniger sagen für meinen Zuständigkeitsbereich überhaupt nichts aus." Und auch persönlich scheint ihn die Niederlage Norbert Hofers kaum zu stören: "Hauptsache, wir haben überhaupt einen Präsidenten und dieser kräftezehrende Wahlkampf ist endlich vorbei."

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