Bioethik-Chefin: "Die vielen Spritzen bei Corona-Berichten wirken abstoßend"
Christiane Druml, Chefin der Bioethikkommission, über Fehleinschätzungen in der Corona-Pandemie, unsensible Impf-Werbekampagnen und die verbesserungswürdige Gesundheitsdaten-Lage.
Um auf die nächste Pandemie besser vorbereitet zu sein, sollte eine Kommission die vergangenen drei Jahre aufarbeiten, sagt Expertin Druml.
KURIER: Wiederholt sich die Geschichte? Jeder zweite Chinese, der vergangene Woche am Flughafen Mailand ankam, war Corona-positiv.
Christiane Druml: Das Problem einer Pandemie ist eben, dass sie global existiert und lokale Regeln in einer mobilen Welt nicht funktionieren. Aber auch wenn die Situation bei uns im Abflachen ist, muss man überlegen, wie man in Bezug auf die Reisetätigkeit aus anderen Ländern mit hohen Infektionszahlen umgeht.
Hätte das Gesundheitsministerium schneller handeln müssen? Erst am Donnerstag wurde Testpflicht für Reisende aus China angekündigt. Das Ressort war auch zu Pandemiebeginn überfordert.
Seither hat sich aber einiges getan. Das große Problem damals war, dass die Sektionsleitungen für die Legistik und für die öffentliche Gesundheit unbesetzt sowie der Oberste Sanitätsrat ab 2019 nicht existent waren. Das Ministerium konnte dadurch nicht die Position eines Gesundheitswächters wahrnehmen, und das Ganze wurde plötzlich politisiert. Wir leiden noch immer darunter, dass die Maßnahmen nicht als gesundheitlich relevant, sondern als politisch erwünscht betrachtet werden.
Dazu kamen seltsame Kampagnen. Die aktuelle „Booster“-Kampagne der Stadt Wien wurde sogar vom Werberat verurteilt. Ist es nicht kontraproduktiv, mit großen Spritzen herumzuwacheln?
Das ist unsensibel. Eine aktuelle Studie bestätigt, dass die vielen Spritzen bei den Corona-Berichten für viele Menschen abstoßend wirken. Deswegen hat ja auch das Foto von Christoph Wenisch – dem Arzt, der als einer der ersten geimpft wurde – so gut funktioniert: Man sah keine Spritze, sondern seine Freude. Damals schimpfte man noch über Impf-Vordrängler.
Wäre Impfstoff-Verknappung besser gewesen?
Man kann ja nicht das Schlechte im Menschen in den Vordergrund stellen. Natürlich wäre schnellere Durchimpfung besser gewesen.
War die Impfpflicht rückblickend betrachtet nicht falsch? Manche haben sich daraufhin in ihrer ablehnenden Haltung eingemauert.
Wegen des Personalmangels hat sich die Politik nicht getraut, eine Impfpflicht für das Gesundheitspersonal einzuführen. Gerade am Beginn sind viele Menschen in Pflegeheimen gestorben, weil die Krankheit hineingetragen wurde. Dann kam plötzlich eine generelle Impfpflicht, die davor immer in Abrede gestellt wurde. Diese wurde aber nie aktiviert und wieder zurückgenommen.
Thema Ethik
Die Juristin Christiane Druml ist Inhaberin des UNESCO-Lehrstuhls für Bioethik und leitet seit 2007 die im Kanzleramt angesiedelte Bioethikkommission. Sie ist Teil der Corona-Taskforce. Druml ist außerdem Direktorin des Josephinums. Die einstige chirurgisch-militärische Akademie besitzt eine aufsehenerregende Sammlung an Wachspräparaten. Von 2011 bis 2015 war Druml Vizerektorin der Medizin-Uni Wien.
Pandemie
Am 31. Dezember 2019 wurde der Ausbruch eines neuen Virus in Wuhan bestätigt. Knapp 21.300 Corona-Tote wurden seither in Österreich gezählt. Ende Dezember 2020 begannen die Impfungen. Als eines der ersten Länder weltweit beschloss Österreich ab Februar 2022 eine Impfpflicht, die im Sommer wieder abgeschafft wurde.
Bürger fühlten sich in ihrer Freiheit und ihren Menschenrechten beschnitten.
Auch der Verfassungsgerichtshof hat – bei ordentlicher wissenschaftlicher Begründung – kein Problem gesehen. Man darf nicht vergessen, dass es bei Einführung der Impfpflicht dramatische Zustände in den Spitälern gab. Österreich hatte nahezu die weltweit höchsten Infektionsraten, wenn auch bei höchsten Testfrequenzen.
Gab es nicht dennoch zu viele Fehleinschätzungen? Ein Experte zum Beispiel machte die Politik mit der Aussage panisch, dass es bald 100.000 Tote geben werde.
Sicher – und zwar in allen Ländern. Daher wäre eine Gesamtaufarbeitung wichtig: Was hat funktioniert, was nicht? Damit wäre man auch auf eine mögliche nächste Pandemie besser vorbereitet. Es kann ja zum Beispiel etwas kommen, was nicht mehr die Alten, sondern eher die Kinder gefährdet.
Ja. Ich denke, dass sich hier eine Expertengruppe – und zwar nicht ehrenamtlich nebenher, sondern offiziell bezahlt – alles anschauen müsste: Wie hat das Gesundheits- und das Bildungssystem funktioniert? Waren die vielen dafür ausgeschütteten Beträge treffsicher? Manches, wie die Sperre der Bundesgärten, war völlig absurd. Vielleicht könnte so ein Endbericht auch die aufgebrachten Gemüter versöhnlicher stimmen.
Die Maßnahmen haben extrem polarisiert, wie kann man künftig verhindern, dass Menschen quasi zu Staatsverweigerern werden?
Vielleicht war eines der Probleme, dass Meinungen der Maßnahmengegner quasi gleichberechtigt mit wissenschaftlichen Fakten vorkamen.
Wäre das nicht passiert, hätte es aber noch mehr Vorwürfe gegeben, dass Medien Meinungen unterdrücken.
Aber das war oft wie ein Schaukampf inszeniert, in dem es keinen gemeinsamen Nenner gibt. In der Bioethikkommission gibt es auch verschiedene Meinungen, aber wir müssen Konsens finden.
Welche Länder sind am besten durch die Pandemie gekommen?
Das ist nicht vergleichbar, weil es geografische und auch Mentalitätsunterschiede gibt. Portugal hatte eine höhere Impfquote und eine längere Saison, die man im Freien verbringen kann. Schweden hatte zwar keinen so strengen Lockdown wie wir, aber auch Beschränkungen. In Italien, das am Beginn stark litt, hatte die Bevölkerung dadurch eine höhere Bereitschaft, sich Regeln zu unterwerfen.
Warum haben die Coronamaßnahmen bei uns eigentlich so aufgeregt?
Weil wir vergessen haben, wie man jahrhundertelang Epidemien wie Pest oder Cholera bekämpft hatte: mit Quarantäne. Und wir haben vergessen, was wir den Fortschritten der Wissenschaft verdanken. Es war großartig, wie schnell eine Impfung entwickelt werden konnte.
Aber diese weckte zu große Hoffnung, dass die Infektion verhindert würde. Jetzt wird nur noch von schwerem Verlauf gesprochen.
Ja, das ist erst sukzessive klar geworden.
Was sagt man jenen, die Impfen für gefährlich halten?
Um das Impfen rankten sich gerade in Österreich immer Verschwörungstheorien. Andreas Hofer galt auch deshalb als Held, weil er gegen Bayern, das damals als erstes Land eine verpflichtende Pockenimpfung einführte, aufstand. Dabei haben Impfungen größten Nutzen gebracht. Wir brauchen uns nicht mehr vor Polio oder Pocken fürchten und können dank Gelbfieber- und Tollwutimpfung unbesorgt nach Afrika reisen.
Reden wir zu wenig über die Impfnebenwirkungen?
Wir haben in der Bioethikkommission schon 2015, in Zusammenhang mit der Masern-Impfung, mehr Transparenz nach außen verlangt. Da gibt es Luft nach oben.
Gleichzeitig gehen uns selbst simple Medikamente aus.
Ja, weil wir schon vor Corona die Medikamentenproduktion vor allem nach Indien und China ausgelagert haben und nun von Lieferkettenproblemen betroffen sind. Medikamente müssen wieder in Europa produziert werden.
Ist ein Learning aus der Pandemie nicht auch, dass die Datenlage im Gesundheitswesen mangelhaft ist?
Ja sicher, dann kann man in einer Pandemie auch leichter reagieren. Datenschutz wird hier falsch verstanden.
Was ist mit dem Gesundheitswesen los? Die Rede ist vom Sterben in Gangbetten und Zwei-Klassen-Medizin.
In erster Linie liegt das am Personalmangel. Die neuen Arbeitszeitregeln haben die Situation noch verschärft. Aber wir haben immer noch ein ausgezeichnetes Gesundheitssystem. Temporäre Überlastungen gab es immer wieder.
Themenwechsel: Wie steht die Bioethikkommission zur Geschlechterdebatte? Ist es nicht gerade für Pubertierende ein Problem, unter mehreren Geschlechtern wählen zu können?
Hier ist ein sachverständiges Gutachten über die Ernsthaftigkeit des Wunsches notwendig. Psychologische Beratung sowie intensive Betreuung sind für diese Menschen aus ethischer Sicht geboten, um irreversible Entscheidungen zu verhindern.
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