Belästigung im Netz: „Kinder lehren, sich selbst zu schützen“
Es beginnt oft ganz harmlos mit einem Kompliment: „Du bist so hübsch, magst du mir noch ein anderes Foto schicken?“ Geht über zu: „Worauf stehst du?“ Und endete im Vorjahr in 106 Fällen mit einer Anzeige wegen „Cyber-Groomings“.
So nennt man im Internet-Jargon die „Anbahnung sexueller Kontakte zu Unmündigen“ (§ 208a). Die Zahl ist in vier Jahren um rund 63 Prozent angestiegen – 2013 waren es noch 65 Anzeigen.
Nicht alle Cybersex-Attacken werden aber von älteren Männern bzw. Pädophilen verübt: Intime Bilder, die strafrechtlich relevant sind und als „Kinderpornografie“ gelten, werden in Zeiten von Snapchat und WhatsApp zunehmend auch unter Gleichaltrigen ein Problem.
Die Anzeigen wegen „pornografischer Darstellungen Minderjähriger“ (§ 207a) sind von 2013 bis 2017 um ein Drittel gestiegen (siehe Grafik). 230 von 736 Tatverdächtigen waren selbst noch minderjährig, davon war rund jede Vierte weiblich (55).
„Leider gibt es sehr wenig Wissen darüber, was überhaupt strafbar ist, und was nicht“, erklärt Katrin Grabner, Expertin für Kinderrechte und Digitalisierung bei „Rat auf Draht“. Oft würden Mobbing oder Rache nach einer Trennung eine Rolle spielen. „Die Scham ist hier besonders groß. Viele geben sich selbst die Schuld, etwa Nacktaufnahmen überhaupt gemacht zu haben.“
Hohe Dunkelziffer
Eine legistische Verschärfung brauche es laut Grabner nicht, die Straftatbestände reichten aus. Was jedoch noch fehlt, sei eine effektivere Strafverfolgung – und das Bewusstsein bei der Polizei selbst. „Diese neuen Phänomene sind noch nicht bei allen Polizisten angekommen. Das sehen wir in der Beratungstätigkeit“, sagt Grabner (mehr dazu rechts).
Eine Studie, die Grabners Beratungsstelle mit dem SOS Kinderdorf durchgeführen ließ, ergab, dass mehr als ein Viertel aller Jugendlichen – 27 Prozent– schon einmal im Internet sexuell belästigt wurde; mehr als die Hälfte davon war jünger als 14 Jahre, als es das erste Mal passierte. Nur acht Prozent haben laut der Studie Anzeige erstattet – was bedeutet, dass die Dunkelziffer trotz stetig steigender Anzeigenzahl noch immer um ein Vielfaches höher ist.
Diese Dunkelziffer bekomme man erst weg, „wenn Kinder zu selbstbewussten und kritischen Internet-Usern werden“, sagt der Grüne Bundesrat David Stögmüller, der die Anzeigestatistik beim Innenministerium erfragt hat. Auch er meint, dass es keine neuen Verbote, sondern mehr Bewusstseinsarbeit brauche – und sieht dabei das Bildungsministerium in der Pflicht: „Die Schule muss Kindern und Jugendlichen das Rüstzeug mitgeben, um sich selbst schützen zu können“, betont Stögmüller.
Der Bundesrat plädiert dafür, endlich ein schon lange gefordertes Pflichtfach „Medienkompetenz und Ethik“ einzuführen. „Dafür braucht es aber auch gut geschulte Pädagogen, die am Puls der Zeit sind.“ Eltern seien mit den neuen Kommunikationsmitteln oft selbst überfordert.
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