Beate Meinl-Reisinger: "Kein Gebetsbuch darf über die Verfassung gestellt werden"
Beate Meinl-Reisinger will mit den Neos das positive Gegenbeispiel zur FPÖ sein. Und sie warnt bei der Integration vor zu viel Toleranz gegenüber der Intoleranz.
Noch nie war die Chance der Neos so groß, Teil der kommenden Bundesregierung zu sein. Mit Herbert Kickl und der FPÖ will deren Spitzenkandidatin Beate Meinl-Reisinger nichts zu tun haben. Von ÖVP und SPÖ verlangt sie Reformwillen.
KURIER: Frau Meinl-Reisinger, Sie haben schon einige nationale Wahlkämpfe mitgemacht. Was ist diesmal anders?
Beate Meinl-Reisinger: Die wirtschaftliche Situation Österreichs ist eine andere. Wir sind abgeschlagen in Europa, was das Wachstum betrifft. Die Industrie ist in einer Rezession. Wir haben einen gigantischen Schuldenberg. Die letzte Bundesregierung aus ÖVP und Grünen hat über 100 Milliarden Euro zusätzliche Schulden gemacht. Wir brauchen Reformen, denn sonst galoppieren uns die Ausgaben davon. Die nächste Regierung muss Reformen machen, für die in der Vergangenheit der Mut gefehlt hat. Wir sind die Einzigen, die sagen, es muss gespart werden.
Anders ist diesmal auch, dass mit Herbert Kickl ein FPÖ-Obmann als haushoher Favorit gilt, wenn es um den Wahlsieg geht.
Ist das ein Thema? Es ist kein Geheimnis, dass ich mir die FPÖ nicht in einer Regierung wünsche. Und ehrlich gesagt, es ist mir ziemlich wurscht, ob mit oder ohne Kickl. Ich sitze im Parlament neben Kickl, und es ist nicht immer einfach mit ihm. Ich ziehe jedenfalls nicht die Energie daraus, in der Früh aufzustehen und zu sagen: Ich bin gegen die FPÖ. Das bin ich. Es ist aber notwendig, ein positives Gegenprogramm zur FPÖ auf den Tisch zu legen.
Anders ist auch, dass wohl noch nie die Chance so groß war, dass die Neos nach dem Wahltag in eine Bundesregierung kommen.
Wir haben uns vor zwölf Jahren gegründet. Die Motivation dazu war ja, dass wir gesagt haben, wir können nicht länger zuschauen, wie unsere Zukunft verspielt wird. Nehmen wir nur das wirklich veraltete Bildungssystem her. Die letzte große Bildungsreform war 1962, da waren meine Eltern noch in der Schule. Wir haben den Eindruck gehabt, da sind mit ÖVP und SPÖ zwei Parteien, die sich an die Macht gewöhnt und sich das Land mehr oder weniger aufgeteilt haben. Aber ohne den Willen und die Energie für Reformen. Wir sind bereit, unsere Pläne für die Wirtschaft und die Bildung in einer Regierung umzusetzen. Das ist aber kein Selbstzweck.
Wenn man Ihre Ansagen mit jenen von SPÖ-Chef Andreas Babler vergleicht, dann liegen Neos und SPÖ vor allem im Bereich Wirtschaft sehr weit auseinander. In Wien sind die Neos aber in einer Regierungskoalition mit der SPÖ. Wie passt das zusammen?
Die ÖVP hat jahrzehntelang mit der SPÖ koaliert, und da wird es in diesen Fragen auch nicht einfach gewesen sein. Wiewohl ich schon sagen möchte, dass die ÖVP mit dem „Koste es, was es wolle“ jedem sozialistischen Finanzminister alle Ehre gemacht hat. Aber ja, Andreas Babler und ich, wir haben unterschiedliche Vorstellungen. Ich glaube, dass wir gerade den Menschen in der Mitte wieder den Glauben, den Optimismus und die Zuversicht geben müssen, dass man sich etwas aufbauen kann.
Und Bablers Forderung nach einer Kindergrundsicherung?
Wenn es um Kinderarmut geht, dann würde ich eher danach fragen, was wir strukturell ändern können, so wie wir den Weg in Wien gehen. Unser Vizebürgermeister und Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr hat die Nachmittagsbetreuung bei den Ganztagsschulen kostenlos gemacht und auch ein kostenloses, gesundes und warmes Mittagessen dort eingeführt. Das klingt banal, aber bei dem Thema würde ich mich auch mit Herrn Babler finden.
Zum ausführlichen Gespräch
Sie wollen das Budgetdefizit abbauen und sprechen von strukturellen Einschnitten. Wo sollen die passieren?
Als ersten und wichtigsten Schritt brauchen wir einen Konsolidierungspfad und einen strengen Budgetvollzug. Wir erreichen ja nicht einmal die sogenannten Maastricht-Kriterien der EU. Dazu müssten bis zu drei Milliarden ausgabenseitig eingespart werden. Das geht meines Erachtens nur mit einer Ausgabenbremse. Da haben wir allerdings das Problem des Finanzausgleichs, der von der Regierung mit den Bundesländern ausgehandelt worden ist. Da hat man wieder einmal mehr oder weniger den Landesfürsten einen Freibrief für das Geldausgeben gegeben. Man hat zwar Ziele vereinbart, die aber nicht einmal an Sanktionen geknüpft. Ich verspreche, wir werden dafür Sorge tragen, dass den Bundesländern Grenzen gesetzt werden. Dieser Spendierföderalismus muss ein Ende haben.
Sie fordern auch eine Entlastung bei den Lohnnebenkosten. Da haben zuletzt Arbeiterkammer und Gewerkschaft aufgeschrien, indem sie dargelegt haben, was alles im Staat über die Lohnnebenkosten finanziert wird.
Gewerkschaft und Arbeiterkammer kampagnisieren dagegen, und das verstehe ich nicht, weil eine Arbeitnehmervertretung vor allem Sorge tragen sollte, dass den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mehr Geld in der Börse bleibt.
Nicht zuletzt durch den vereitelten Anschlag auf das Taylor-Swift-Konzert sind die Themen Sicherheit und Zuwanderung wieder aufgetaucht. Wie wird das bei den Neos gesehen?
Das ist nicht aufgetaucht, das Thema war und ist bei uns da. Wir haben eben in Wien mit Christoph Wiederkehr einen Vizebürgermeister in der Stadtregierung, der seit Monaten sagt, so kann es nicht weitergehen und Integration muss besser gelingen. Keine Religion, keine Person darf ein Gebetsbuch über unsere Verfassung und unsere liberale, offene Gesellschaftsordnung stellen. Zu viel Toleranz der Intoleranz gegenüber schadet. Dann wird am Ende die Toleranz sterben.
Kommentare