Austrotürken: Die EU-Wahl wird zum Hochrisiko
Wahlen sind bis auf weiteres in Österreich ein juristisches Vabanquespiel.
Der Grund: In den kommenden Monaten dürften Tausende Österreicher ihre Staatsbürgerschaft verlieren und mit ihr das Wahlrecht. Es handelt sich um Österreicher, die unrechtmäßig auch die türkische Staatsbürgerschaft angenommen haben.
Das juristische Problem: Die Aberkennung der österreichischen Staatsbürgerschaft wird nicht auf einen Schlag vonstatten gehen. Die Behörden der Bundesländer müssen jeden Einzelfall prüfen und Einzelbescheide ausstellen. Viele Betroffene werden sich an die Landesverwaltungsgerichte wenden und die Bescheide, mit denen ihnen die österreichische Staatsbürgerschaft aberkannt wurde, anfechten. Auch die Landesverwaltungsgerichte müssen dann die Einzelfälle prüfen, bevor sie entscheiden.
Das kann sich über viele Monate ziehen.
Zeit der Unsicherheit
Und während dieser Zeit der Unsicherheit, ob jemand Staatsbürger ist oder nicht, wird es schwierig, eine Wählerevidenz zu erstellen. Diese muss schließlich juristisch wasserdicht sein und einer etwaigen Wahlanfechtung standhalten.
Es wäre nicht das erste Mal, dass eine Partei das Höchstgericht anruft, wenn sie glaubt, dadurch einen Vorteil zu gewinnen. Geht eine Wahl knapp aus – etwa, wenn eine Partei um wenige Stimmen den Einzug ins EU-Parlament verpasst – könnte sie beim Höchstgericht ihr Glück versuchen.
Die Verfassungsrichter sind bei Wahlen pingelig. Den zweiten Durchgang der Bundespräsidentenwahl und die Bezirksvertretungswahl in Wien-Leopoldstadt haben sie zuletzt aufgehoben.
Angebliche Wählerliste
Die Vorgeschichte der Austrotürken: Im Frühjahr 2017 ließ die FPÖ dem Innenministerium eine Exceldatei zukommen, auf der rund 100.000 Austrotürken standen – angeblich das Wählerverzeichnis der Türkei von in Österreich lebenden Personen, die bei türkischen Wahlen wahlberechtigt sind.
Auf Basis dieser Liste erheben die Behörden seither, wer unrechtmäßig eine Doppelstaatsbürgerschaft besitzt. Rund 70 Personen wurde bisher die österreichische Staatsbürgerschaft aberkannt, Tausende Fälle sind noch offen. Die Zahlen sind von Bundesland zu Bundesland sehr unterschiedlich, in der Steiermark sind es nur 447, in Wien sind von ursprünglich 18.000 „Verdachtsfällen“ angeblich 12.000 Personen übrig geblieben. Der Wiener Behördenleiter Walter Sedlak bestätigt diese 12.000 jedoch nicht: „Wir prüfen jeden Einzelfall. Wir können nicht sagen, wie viele es betrifft.“
Über den Sommer kam Bewegung in die Causa. Die Landesbehörden haben nämlich Musterfälle herausgefiltert und Musterbescheide erlassen, um bei den Landesverwaltungsgerichten Musterurteile zu erwirken.
Brisante Erkenntnisse
Das Ergebnis ist brisant: In Vorarlberg, Salzburg und Wien haben die Gerichtshöfe den Behörden recht gegeben, die Beschwerdeführer verlieren somit ihre österreichische Staatsbürgerschaft. Die Richter verwehren ihnen zudem eine „ordentliche Revision“, das heißt, die Bescheide sind rechtskräftig. Nur wer „außerordentlich“ den Verwaltungsgerichtshof anruft und um aufschiebende Wirkung ansucht, bleibt vorerst Staatsbürger. Insider glauben jedoch, dass der Verwaltungsgerichtshof diese Revisionen ablehnen dürfte, weil „keine grundlegenden Fragen zu klären sind“.
Sicher ist: Bis zur EU-Wahl im Frühjahr 2019 werden viele Fälle juristisch offen sein – und damit auch die Frage, wer aller wählen darf.
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