Schlamperei, Pannen, Chaos: Die SPÖ hat das erste Halbjahr damit verbracht, über sich selbst zu stolpern. Nach den Verlusten bei der niederösterreichischen Landtagswahl Ende Jänner geht Hans Peter Doskozil gegen Pamela Rendi-Wagner in die Offensive. Die Gremien raufen um ein Prozedere, eine Mitgliederbefragung wird ausgedealt und die beiden Lager bekriegen einander.
Den Höhepunkt bildete der Parteitag, dessen Ergebnis zunächst verkehrt herum präsentiert worden war. Statt Doskozil war im Endeffekt Andreas Babler der lachende Dritte und ist jetzt SPÖ-Chef. Damit ist die Causa nicht beendet.
Die Linzer Staatsanwaltschaft prüft nun eine anonyme Anzeige wegen möglichen Betrugs: Im Visier ist die ehemalige Vorsitzende der SPÖ-Wahlkommission, Michaela Grubesa. Ihr wird in der Sachverhaltsdarstellung vorgeworfen, sie habe den falsch verkündeten Sieg von Hans Peter Doskozil bewusst manipuliert.
Die Partei kann die Folgen ihrer Pannenserie nicht so recht abschütteln. Wie konnte es soweit kommen?
➤ Mehr lesen: SPÖ mit Babler überholt Kanzlerpartei ÖVP
Am 11. Mai platzte eine kleine interne Bombe
Die Folgen sind nicht absehbar: Das Wiener SPÖ-Urgestein Harry Kopietz legte an dem Tag seine Funktion als Leiter der SPÖ-Wahlkommission zurück. Aus gesundheitlichen Gründen, wie er betonte. Davor hatte er sich allerdings interne Scharmützel mit seiner Stellvertreterin, Grubesa, geliefert. Kopietz repräsentierte das Rendi-Wagner-Lagner, Grubesa galt als Doszkozil-Frau. Ihr Lebensgefährte, der Nationalratsabgeordnete Max Lercher, war seit Längerem gegen Rendi-Wagner aufgetreten und hatte bei Doskozil angedockt.
Nun war Grubesa für die Mitgliederbefragung zuständig.
Am 22. Mai wurden die Ergebnisse bekannt.
Doskozil erhielt 33,7 Prozent der Stimmen. Babler holte 31,5 Prozent, Rendi-Wagner 31,4 Prozent.
Die Parteichefin gab nach dieser Niederlage ihren Rückzug bekannt. Auch hier war schon Sand im Auszählungsgetriebe, wie der trend später berichtete: Zahlreiche Mitglieder misstrauten offenbar einem Barcode, der auf dem Stimmzettel aufgedruckt war.
Um tatsächlich anonym abstimmen zu können, schnitten sie diesen vom Formular ab – mit der Folge, dass ihre Stimmen ungültig waren: Laut trend wanderten 740 Stimmabgaben in den Mülleimer.
Eine Darstellung, die SPÖ-Pressesprecherin Patricia Huber zumindest in Teilen zurückwies: Ihr zufolge gab es nur 218 ungültige Stimmen. Trotzdem, es reicht für einen nachträglichen Spin aus dem Doskozil-Lager. Die These: Das knappe Rennen zwischen Babler und Rendi-Wagner um den zweiten Platz wäre womöglich anders ausgegangen.
Und weiter: Ob Babler vom dritten Platz aus tatsächlich beim Parteitag gegen Doskozil angetreten wäre? Andreas Babler und Pamela Rendi-Wagner trennten bei der Mitgliederbefragung am Ende mit 33.703 zu 33.528 nur 175 Stimmen. Vergossene Milch, aber für ein paar aufgeregte Onlinemeldungen reichte es.
Der Parteitag fand am 3. Juni statt.
Dort trat Doskozil gegen den vermeintlichen Außenseiter Babler an. Der Burgenländer holte seinen vermeintlichen Sieg: Auf den wegen ihm einberufenen Sonderparteitag in Linz erhielt er 53 Prozent der Stimmen. Zuständig für die Auszählung: Michaela Grubesa.
Die Mitgliederbefragung war eigentlich erst die Ouvertüre für den darauffolgenden Parteitag.
Wir erinnern uns: Zur Wahl standen die damalige Parteichefin Rendi-Wagner, Doskozil und der vorgebliche Außenseiter Babler, mit dessen Erfolg damals keiner wirklich rechnen konnte. Der Traiskirchner Bürgermeister galt als chancenloser Favorit der Parteilinken. Sowohl Doskozil als auch Rendi-Wagner kündigten an, am Parteitag nur antreten zu wollen, wenn sie bei der Mitgliederbefragung als erste durchs Ziel gehen würden.
Bablers Kandidatur galt intern als eine Art Unfall, denn die Mitgliederbefragung hatte eigentlich ein Zweikampf zwischen Doskozil und Rendi-Wagner werden sollen.148.000 SPÖ-Mitglieder waren zur Abstimmung berechtigt.
Zahlreiche Doskozil-Anhänger bleiben an diesem Samstag noch länger in Linz, um den Sieg zu feiern.
Dem ORF-Journalisten Martin Thür fiel jedoch noch am Nachmittag ein Fehler im verkündeten Wahlergebnis auf. Die offizielle Rechnung hatte einen Additionsfehler: „316 und 279 sind nicht 596, sondern 595“, schrieb Thür. Eine Stimme fehlte in der Parteidarstellung. Sie hätte das Endergebnis aber nicht gedreht. Wahrscheinlich nahm die Anmerkung deshalb in der Wahlkommission niemand unverzüglich ernst.
Die unmittelbare Reaktion am Wochenende: Laut Grubesa war bei der Transkription des Ergebnisses ein Fehler passiert. Es sei nicht feststellbar, wem die eine Stimme gehört. Ob die Wahlkommission nun noch einmal zusammentritt und sich auf die Suche nach der verlorenen Stimme macht, ist unklar.
Tags darauf musste sie den wohl peinlichsten Gang ihrer Laufbahn antreten.
„Aufgrund eines technischen Fehlers wurde das Ergebnis vertauscht.“ Wie bitte? Parteimitarbeiter hatten die Stimmzettel sicherheitshalber neu ausgezählt (ohne Beiziehung der Wahlkommission) und festgestellt: Thürs Anmerkung war gar nicht das eigentliche Problem der Verkündung vom Samstag: Man hatte fälschlicherweise Doskozil zum Sieger gemacht, obwohl eigentlich Babler gewonnen hatte.
Die Steirerin trat von der Wahlkommission zurück. Eine späte Genugtuung für ihren Vorgänger Kopietz: Es hätte auffallen müssen, dass eine Stimme fehle, meint er. Dann hätte auch klar sein müssen, dass „etwas nicht passt“. Sein Urteil: „In Wirklichkeit ist das ein Desaster“, kommentierte ihr Vorgänger Kopietz.
Die Stimmen wurden auf Anweisung des Nun-Doch-Parteichefs Babler neu ausgezählt.
Schwamm drüber? Nicht in der SPÖ.
Zwei Wochen nach dem Pannenparteitag landete ein Rechtsanwaltsschreiben in der SPÖ-Bundesparteizentrale in der Wiener Löwelstraße. Im Namen von Berthold Felber aus Oberpullendorf hatte Oliver Felfernig von der Wiener Rechtsanwalts GmbH ein elfseitiges Papier verfasst, mit dem die Wahl von Andreas Babler zum Vorsitzenden der SPÖ angefochten wird.
Felber will die Wahl anfechten, denn unter den fünf ungültigen Stimmen, die Grubesa am Parteitag verkündete, soll auf einem Zettel der Name "Felber" gestanden sein. "Diese Stimme als ungültig zu bewerten, macht die gegenständliche Wahl gleichfalls anfechtbar", heißt es dazu in dem Anwaltsschreiben. Der Burgenländer war nicht zur Wahl zugelassen worden.
➤ Mehr lesen: Verhinderter SPÖ-Kandidat vor Parteitag - "Kann sein, dass sie mich nicht reinlassen"
Eine Posse.
Ob die Anzeige wegen Betrugs gegen Grubesa ähnlich harmlos vorübergeht, wird sich zeigen. Die Staatsanwaltschaft Linz (wo der Parteitag stattfand) prüft einen Anfangsverdacht. Grubesa weist die anonymen Vorwürfe zurück und kündigte eine Klage an. Der Kronen Zeitung war das eine Titelseite wert. Die SPÖ und ihre Pannen: Sie stopfen jetzt offenbar auch das Sommerloch.
Kommentare