Auftakt zum Comeback: Grüne wollen sich (fast) neu erfinden
Im Februar 2017 hallte bei den Grünen noch der Jubel über die Angelobung ihres Ex-Chefs Alexander Van der Bellen als Bundespräsident nach. Ein Jahr später versucht die Bundespartei, aus den Trümmern ihrer Existenz etwas Neues aufzubauen – und heute fällt dafür der Startschuss.
Bei einem Zukunftsdialog unter dem Titel "ZUkunftsHÖREN", der am Nachmittag im Veranstaltungszentrum Catamaran in Wien-Leopoldstadt stattfindet, soll Offenheit demonstriert werden. Unter den rund 300 Teilnehmern soll mindestens die Hälfte bis dato nicht bei den Grünen aktiv gewesen sein.
Neulinge sollen also Themen entwickeln, mit denen die Ökos in den nächsten Jahren reüssieren wollen. Das wären Natur und Umweltschutz, Integrationspolitik, Arbeitsmarkt, Frauen- und Sozialpolitik. Unter den Gästen sind etwa Ex-Flüchtlingskoordinator Ferry Maier und Roman Hebenstreit von der Gewerkschaft vida.
Neustart mit Alten
Alles neu bei den Grünen? Nicht ganz. Das Entrée macht Bundesparteichef und Alt-Grüner Werner Kogler mit einer 30-minütigen Rede. Seine neue Stellvertreterin ist Regina Petrik – auch keine Unbekannte. Seit 2012 ist sie Landessprecherin im Burgenland und sie ist Mutter der aufmüpfigen Jung-Grünen Flora Petrik, die sich im Frühjahr 2017 mit der damaligen Parteichefin Eva Glawischnig angelegt hat.
Angela Stoytchev, die in Wien bereits Landesgeschäftsführerin ist, nimmt jetzt die Bundesgeschäftsführung dazu. Im Parlamentsklub der Grünen ist Robert Luschnik, einer der Hauptentscheider im missglückten Wahlkampf, wieder als Jurist tätig. Albert Steinhauser, der kurzfristig Klubchef war, soll hinter den Kulissen inhaltlich mitarbeiten – was er auf Nachfrage einschränkt: "Ich unterstütze den Neustart mit meiner Erfahrung gerne dort, wo es erwünscht ist." Berufspolitiker sei er aber nicht mehr.
Dass die Grünen – ausgedünnt durch den Wegfall ihrer Nationalratsabgeordneten – auf erfahrenes Personal zurückgreifen, ist nachvollziehbar, an der Basis beobachtet man das aber mit Argwohn. "Was ist das für ein Signal an die Basis und die Wähler, wenn jetzt wieder nur die Alten am Ruder sind?", sagt ein Grüner Spitzenfunktionär. Eine Personaldebatte gibt es momentan zwar nicht, die inhaltliche Debatte hält Parteichef Kogler aber jetzt für überlebensnotwendig. In der Vergangenheit ließ er immer wieder anklingen, dass er nur dann weiter zur Verfügung stünde, wenn sich die Partei völlig neu aufstellt und öffnet. Am Freitag war er für ein Statement nicht zu erreichen.
Die Tiroler Grünen wollten ursprünglich bei der Landtagswahl am 25. Februar die Trendwende für die Öko-Partei als Ganzes schaffen. Die sei aber bereits in Niederösterreich eingeleitet worden, sagt Spitzenkandidatin Ingrid Felipe: „Das hat mir ein Gefühl der Erleichterung gegeben.“
Als Kurzzeit-Bundessprecherin musste sie den Rauswurf der Grünen aus dem Parlament mitverantworten. Ihr Abschneiden kommende Woche hat erneut Auswirkungen auf die gesamte Partei. „Ein zweistelliges Ergebnis würde der ganzen Bewegung gut tun. Das brauchen wir auch, um unser Bundesratsmandat zu halten“, sagt die Umweltlandesrätin. Ohne diesen Tiroler Sitz wird es auch mit dem ohnehin wackeligen Klubstatus im Parlament wieder eng.
In Tirol schafften die Grünen 2013 mit 12,59 Prozent der Stimmen erstmalig den Sprung in eine Koalition mit der ÖVP. Schwarz-Grün II ist erklärtes Ziel von Felipe. Dass sie sich damit erpressbar macht, glaubt die 39-Jährige nicht: „Die ÖVP wird Erster werden und sich aussuchen können, mit wem sie regiert. Das ist ohnehin eine schwierige Verhandlungsposition.“
Eines hat sie bereits klar gemacht: Fallen die Grünen unter zehn Prozent, gehen sie in Opposition. Ob mit oder ohne Felipe, lässt diese noch offen. Im Gespräch mit dem KURIER schlägt sie nun einen weiteren Pflock ein: „Die Mindestsicherung wird mit mir in der Regierung nicht mehr gekürzt. Die bundeseinheitliche Lösung, wie sie Sebastian Kurz und H.C. Strache wollen, ist für mich keine Option.“
Das schwarz-grüne Westachsenmodell kam bislang ohne Deckelung aus, brachte den Grünen aber dennoch Kritik bei ihren Wählern ein. Bei den größten Erfolgen der Öko-Partei nimmt hingegen VP-Landeshauptmann Günther Platter dem Koalitionspartner die Butter vom Brot.
Im Kampf gegen den Transit setzten die Grünen den „Lufthunderter“ und das sogenannte sektorale Fahrverbot für Lkw durch. Aber die Schlagzeilen dominiert derzeit der Landeshauptmann mit seinen Lkw-Blockabfertigungen an der Grenze zu Bayern. Und auch mit dem von Felipe umgesetzten Öffi-Jahresticket um 490 Euro wirbt Platter gerne. „Ich habe die Wahrnehmung, dass die Tiroler wissen, dass das ein grünes Projekt ist“, proklamiert Felipe eine Woche vorm Wahlsonntag.
- Christian Willim
Die ehemalige Parteichefin Eva Glawischnig (48) kehrt zwar nicht in die Politik zurück, will aber bald mit beruflichen Neuigkeiten von sich hören lassen. Gemeinsam mit ihrem Ehemann Volker Piesczek und ihren Söhnen Benjamin (11) und Sebastian (8), wohnt sie im 17. Wiener Gemeindebezirk. Die Sommermonate verbringen sie an einem See in Niederösterreich. In ihrer Freizeit musizieren sie gerne: Piesczek singt und Glawischnig begleitet ihn dabei am Keyboard.
Ulrike Lunacek (61), Ex-Spitzenkandidatin für die letzte Nationalratswahl, ist jetzt freiberufliche Publizistin, Vortragende und Außenpolitikexpertin. Bis Juni 2018 ist Lunacek außerdem noch beim Institut für die Wissenschaften am Menschen (IWM) tätig, einem gemeinnützigen Verein für Geisteswissenschaften, wo sie an einem Projekt über die Zukunft Europas arbeitet.
Karl Öllinger (66), ging in Pension und schreibt weiter auf seiner Seite stopptdierechten.at über braune Umtriebe.
Albert Steinhauser (46), ist als Jurist in die Gewerkschaft der Privatangestellten (GPA) zurückgekehrt und unterstützt die Grünen beim Neustart.
Harald Walser (64), bleibt trotz Pension im Landesvorstand der Vorarlberger Grünen und in der grünen Ortsgruppe in Altach. So wie Aslan und Steinhauser will er die Ökos in der Neuorganisation- und Ausrichtung unterstützen. Nebenher ist er noch Kolumnist für die Vorarlberger Nachrichten und publiziert in meheren pädagogischen Magazinen.
Berivan Aslan (36), ist weiterhin politisch aktiv und unterstützt die Grünen dabei sich "neu zu profilieren" und Positionen zu "verschärfen". Sie sieht die jetzige Situation der Partei als Chance, obwohl viele der alten Strukturen fehlen. Außerdem nimmt sie sich jetzt Zeit, um ihre Fremdsprachenkenntnisse aufzustocken: sie will jetzt noch Spanisch oder Arabisch lernen.
Sigrid Maurer (32), hat eine Stelle in Aussicht und wird auch in Zukunft bei den Grünen bleiben.
- Bernardo Vortisch
Kommentare