Asylpolitik wie aus dem PR-Handbuch: Erst die Botschaft, dann die Fakten

European interior ministers meet on Germany's highest peak to discuss migration policies near Garmisch-Partenkirchen
Warum diese Strategie im Asylbereich, der so komplex ist wie kaum ein anderer in der Politik, durchaus seine Berechtigung hat.

„100.000 Asylwerber.“ Im Herbst 2022, als ÖVP-Politiker vom damaligen Kanzler Karl Nehammer abwärts mit dieser Zahl hausieren gingen, sah man schon eine neue Flüchtlingswelle über Österreich schwappen.

Einem Faktencheck hielt dies nicht stand: Laut Jahresbilanz 2022 fielen von 87.000 Asylentscheidungen 42.500 in die Kategorie „sonstige“. Die Verfahren endeten also weder positiv noch negativ, sondern unentschieden, weil die Antragsteller nicht mehr greifbar waren. 

Experten gehen davon aus, dass diese Menschen nie vorhatten, in Österreich zu bleiben, sondern nur bei der Durchreise aufgehalten wurden und dann weitergezogen sind. Quasi „Asylwerber wider Willen“, die das Land nicht gerade ins Chaos gestürzt haben. 

Nur ein Beispiel für Asylpolitik wie aus dem PR-Handbuch: Die Botschaft muss knallen, Fakten sind zweitrangig. Was durchaus seine Berechtigung hat. Denn kaum ein anderer Bereich in der Politik ist so komplex und lebt (vielleicht gerade deshalb) so sehr von der Signalwirkung.

Als Angela Merkel sagte „Wir schaffen das“, setzten sich Hunderttausende in Bewegung. Denselben Effekt – nur umgekehrt – erhofft man sich nun eben von Negativ-Botschaften. 

Klar ist: Auch in Fluchtländern haben die Menschen Smartphones, verfolgen Nachrichten aus Europa und wägen ihre Chancen ab, bevor sie sich auf den Weg machen. Und klar ist auch: Nie wieder wollte sich Österreich so hilflos fühlen wie 2015. 

Womit wir bei der nächsten Zielgruppe wären: der eigenen Bevölkerung.

„Hart, streng, gerecht“

Gerhard Karner (Innenminister seit Dezember 2021, ÖVP) geht da einen anderen Weg als seine Vorgänger: Anstatt Angstbilder heraufzubeschwören, die letztlich nur der FPÖ helfen, mimt er den Macher, der alles im Griff hat. „Hart, streng, gerecht“, lautet sein Mantra. 

Ein Gutteil der Abschiebungen, die er diese Woche stolz präsentiert hat, betrifft EU-Bürger und nicht den „klassischen Asylwerber“. Aber auch dieses Faktum vermag die Botschaft nicht zu schmälern. Abschiebung ist Abschiebung.

Syrer und Afghanen zwangsweise außer Landes zu bringen – kriminell oder nicht – ist kaum bis gar nicht machbar. Einen Syrer hat Österreich kürzlich (als erstes Land Europas seit 15 Jahren) abgeschoben – und das auch nicht friktionsfrei. Der Mann gilt als verschwunden. Eine weitere Abschiebung nach Syrien wurde vom EGMR ausgesetzt.

Karner blieb ungerührt und zuversichtlich, dass bald weitere Abschiebungen möglich sein würden. 

Wer in ihm den rücksichtslosen Hardliner sieht, muss genauer zuhören: In der „ZiB 2“ sagte er kürzlich, die Abschiebung straffälliger Fremder sei auch im Sinne jener, „die wertvoller Teil unserer Gesellschaft sind. Sie wollen mit Straftätern und Gefährdern nicht in einen Topf geworfen werden.“ Das sei ihm „enorm wichtig“. Das Asylsystem müsse glaubwürdig sein (auch für diese Zielgruppe).

Ob er sich in dieser Hinsicht mit dem Stopp des Familiennachzuges einen Gefallen tut, bleibt abzuwarten. Mehrere Experten warnen, dass der „Notstand“, mit dem die Maßnahme begründet wird, EU-rechtlich kaum haltbar sei. 

Aber solange der Europäische Gerichtshof keine Entscheidung trifft und Österreich etwaig verurteilt, wirkt die Botschaft.

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