Assistierter Suizid: Was der Fall Niki Glattauer bewirkt hat
Kaum ein Medienbericht der vergangenen Monate löste mehr Aufsehen aus: Via Interviews in Falter und newsflix.at kündigte der prominente Publizist und Pädagoge Niki Glattauer, unheilbar an Krebs erkrankt, Anfang September seinen assistierten Suizid an, den er nur wenige Tage später dann auch tatsächlich vollzog.
Eine emotionale Debatte über Glattauers Schritt war die Folge. Wie von ihm beabsichtigt, geriet im Zuge dessen aber auch die erst 2022 für unheilbar Kranke geschaffene Möglichkeit der Sterbeverfügung bzw. des assistierten Suizids in das Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit.
Seitdem sind zwei Monate vergangen. Zeit für eine Bilanz: Wie hat der Fall Glattauer den Umgang mit dem Thema verändert? Und welche Nachschärfungen der bestehenden Regeln für den assistierten Suizid sind notwendig? Der KURIER hat bei Stellen nachgefragt, die im Alltag mit dem Thema beschäftigt sind.
Mehr Anfragen
Bei der Wiener Ärztekammer verzeichnete man unmittelbar nach der medialen Berichterstattung zum Fall Niki Glattauer für einige Wochen einen starken Anstieg von Anfragen zum Thema, konkret zur Liste jener Ärzte, die die für einen assistierten Suizid notwendigen Gutachten ausstellen, schildert der dortige Patientenombudsmann Thomas Holzgruber. Der Hintergrund: Die jeweiligen Ärzte wollen nicht, dass die Liste öffentlich etwa im Internet einsehbar ist, „weil es sich um ein gesellschaftlich kontroverses Thema handelt“, so der Kammer-Funktionär.
Auch der Wiener Patientenanwalt Gerhard Jelinek spricht von einem gestiegenen Interesse am Thema. Wobei das auch damit zu tun haben könnte, dass man in den vergangenen Monaten unabhängig vom Fall Glattauer seitens der Patientenanwaltschaft begonnen habe, aktiver über das Thema zu informieren und selbst die kostenfreie Errichtung einer Sterbeverfügung anzubieten.
Die Anfragen, die an Jelinek herangetragen werden, sind vielfältig. Oft gehe es um die Frage, unter welchen Umständen Angehörige die Rolle der Hilfe leistenden Personen beim assistierten Suizid übernehmen können. „Wir klären auf, welche Schritte möglich sind, ohne strafrechtliche Probleme zu bekommen, weisen aber auch auf die palliativmedizinischen Möglichkeiten hin“, sagt Jelinek.
Er ist überzeugt, dass mit dem Fall Glattauer jedenfalls ein öffentlicher Diskussionsprozess in Gang gekommen sei, der den Anliegen der Betroffenen helfen würde. Habe sich doch damit der Informationsstand über die in Österreich noch relativ neue Möglichkeit zum assistierten Suizid in der Bevölkerung verbessert. Besser geworden sei damit laut Jelinek auch der Zugang zu den Ärzten, die entsprechende Beratung anbieten.
Assistierter Suizid ist erst seit 2022 in Österreich legal möglich. Eine Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes (VfGH) machte das Gesetz notwendig. Die aktive Sterbehilfe ist weiterhin verboten. Hier verabreicht jemand einem Menschen ein unmittelbar tödlich wirkendes Mittel.
Für die Beantragung einer Sterbeverfügung muss die betroffene Person an einer unheilbaren, zum Tod führenden Krankheit oder an einer schweren, dauerhaften Krankheit mit anhaltenden Symptomen leiden. Die Folgen einer solchen Krankheit müssen die betroffene Person in ihrer gesamten Lebensführung dauerhaft beeinträchtigen, und die Krankheit muss einen nicht anders abwendbaren Leidenszustand mit sich bringen.
Freier und selbstbestimmter Entschluss
Die für ein Jahr gültige Sterbeverfügung kann ausschließlich schriftlich von einem Notar oder einem Mitarbeiter einer Patientenvertretung errichtet werden, davor muss eine Aufklärung durch zwei Ärztinnen oder Ärzte erfolgen, die unabhängig voneinander bestätigen, dass die sterbewillige Person entscheidungsfähig ist und einen freien und selbstbestimmten Entschluss gefasst hat.
Nach der Aufklärung gilt eine Wartefrist von drei Monaten, ehe die Sterbeverfügung errichtet werden kann. Dies soll sicherstellen, dass sich der oder die Betroffene nicht bloß in einer vorübergehenden Krise befindet. Für Menschen, die voraussichtlich nur mehr sehr kurz zu leben haben, wird die Frist auf zwei Wochen verkürzt.
Das tödliche Präparat muss in der Apotheke abgeholt werden. Es handelt sich um Natrium-Pentobarbital, das auch in der Schweiz verwendet wird und oral in Wasser aufgelöst eingenommen wird.
Laut Patientenanwalt gebe es aber noch eine Reihe von Verbesserungsmöglichkeiten der erst seit 2022 gültigen gesetzlichen Regelung. So sei beispielsweise nicht ausreichend geregelt, was mit dem bereits ausgehändigten Medikament für den assistierten Suizid geschehen soll, sollte sich der Patient kurzfristig doch noch dagegen entscheiden oder vor der Einnahme schon natürlich versterben. Der VfGH habe aber ohnehin für 2026 eine Reform des Gesetzes vorgeschrieben.
Problem Kosten
Ein Problem seien auch die Kosten. Die ein Komplikationsrisiko vermeidende Methode sei es laut Jelinek, dass sich der Sterbewillige das Medikament intravenös statt oral verabreicht. Dafür sei aber die Unterstützung durch einen Arzt und/oder eine diplomierte Pflegekraft erforderlich, was mit höheren Kosten verbunden sei.
Verbesserungsbedarf sieht auch die Österreichische Gesellschaft für ein humanes Lebensende (ÖGHL), die wichtigste heimische Interessensvertretung und Expertenorganisation auf diesem Gebiet. Die Einrichtungen des Gesundheits- und Sozialwesens würden sich weder für die Koordinierung noch die Begleitung des assistierten Suizids zuständig fühlen – „Sterbewillige werden im Moment alleine gelassen“, sagt Christina Kaneider, Präsidentin der ÖGHL, die diese Lücke schließen will.
Die ÖGHL hat der Regierung einen Forderungskatalog mit zehn Punkten vorgelegt, die aus ihrer Sicht in die anstehende Novellierung einfließen sollten. Darin findet sich allen voran die Forderung nach einer expliziten Verankerung der Professionalisierung der Suizidhilfe. Gemeint sind damit verbindliche Strukturen etwa im Rahmen von Sterbehilfevereinen, die Qualitätsstandards, Missbrauchsprävention und eine fachlich hochwertige Betreuung sicherstellen.
Weiters soll unter anderem die Fort- und Weiterbildung sowie die Qualitätssicherung gesetzlich verankert werden. Öffentliche Institutionen sollen zudem verpflichtet werden, auf Anfrage Infos zum Sterbeverfügungsgesetz zur Verfügung zu stellen.
Sie sind in einer verzweifelten Lebenssituation und brauchen Hilfe? Sprechen Sie mit anderen Menschen darüber. Hilfsangebote für Personen mit Suizidgedanken und deren Angehörige bietet das Suizidpräventionsportal des Gesundheitsministeriums.
Unter www.suizid-praevention.gv.at finden sich Kontaktdaten von Hilfseinrichtungen in Österreich.
- Rat auf Draht ist die österreichische Notrufnummer für Kinder und Jugendliche. Die Nummer ist unter 147 rund um die Uhr anonym und kostenlos erreichbar.
- Die Ö3-Kummernummer ist unter 116 123 täglich von 16 bis 24 Uhr und ebenfalls anonym erreichbar.
- Die Telefonseelsorge ist unter der kostenlosen Telefonnummer 142 rund um die Uhr als vertraulicher Notrufdienst jeden Tag des Jahres erreichbar.
- Auf der Website www.bittelebe.at finden Angehörige/Freunde von Menschen mit Suizidgedanken Hilfe.
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