Assistierter Suizid: "Romantisierung sollte man unbedingt vermeiden"

Eine Hand berührt eine andere.
Wenn es um Suizide geht, ist eine verantwortungsvolle Berichterstattung unerlässlich, um Nachahmung vorzubeugen, sagt Suizidforscher Thomas Niederkrotenthaler.

Ein Interview über den geplanten assistierten Suizid des österreichischen Lehrers und Kolumnisten Niki Glattauer hat Österreich bewegt. Medien müssen sich die Frage stellen, wie Berichterstattung darüber gelingen kann. 

Der Suizidforscher Thomas Niederkrotenthaler von der MedUni Wien befasst sich seit vielen Jahren mit den Auswirkungen von Medienberichten über Suizide. Im KURIER-Interview spricht der Vizepräsident der Internationalen Gesellschaft für Suizidprävention (IASP) darüber, welche Grundsätze bei der Berichterstattung im Sinne der Suizidprävention zentral sind – und warum er den Umgang im aktuellen Fall als durchaus problematisch ansieht. 

KURIER: In vielen Medienhäusern wurde dieser Tage diskutiert, wie mit dem Interview mit Niki Glattauer zu seinem geplanten assistierten Suizid umzugehen ist. Sie beschäftigen sich schon lange mit der medialen Berichterstattung über Suizide und deren Auswirkungen. Was ist Ihre Sicht der Dinge?

Thomas Niederkrotenthaler: Zuallererst gilt es natürlich der persönlichen Geschichte von Niki Glattauer und seiner Entscheidung Respekt zu zollen. Dass sich Medien fragen, wie mit dem Interview umgegangen werden soll, ist aber höchst wichtig. Denn wie Niki Glattauers Geschichte aufgegriffen wurde, ist schon sehr speziell und auch problematisch.

Inwiefern?

Grundsätzlich gelten in der medialen Berichterstattung über den assistierten Suizid die gleichen Grundsätze wie beim Suizid. Es ist also unter anderem besonders wichtig, darauf zu achten, dass es nicht zu einer Glorifizierung oder Romantisierung kommt oder zu vereinfachten Erklärungen gegriffen wird – etwa, dass der assistierte Suizid die einzige Möglichkeit für todkranke Menschen ist, würdevoll zu sterben. Das sollte unbedingt vermieden werden.

Es sollte nicht der Eindruck entstehen, assistierter Suizid sei alternativlos?

Richtig. Der Tod und das Sterben betreffen alle Menschen und diese Themen lösen in uns allen etwas aus. Oft sind es Ängste. Die Darstellung, dass der assistierte Suizid alternativlos sei und der natürliche Sterbeprozess im Vergleich dazu als sehr tragisch beschrieben wird, verstärkt diese Ängste. Und kann potenziell einen Werther-Effekt bedienen.

Also zur Nachahmung anregen?

Es kann zu einem Anstieg von assistierten Suiziden kommen, ja. Wenn Menschen eine schwerwiegende, terminale Diagnose erhalten, sind neben der Angst vor dem Autonomieverlust bei Fortschreiten der Krankheit oft auch Todeswünsche vorhanden. Aber in vielen Fällen werden diese Gedanken bewältigt, es gibt einen positiven Sterbeprozess und ein gutes Leben bis dorthin. Diese Realität wird in der aktuellen Berichterstattung nicht sichtbar. Im Gegenteil, es wird sogar als etwas ganz und gar Unmögliches dargestellt. Dabei bietet uns die moderne Palliativ- und Hospizmedizin selbstverständlich diese Möglichkeit.

Steht die Option jedem offen? In dem Artikel wird auch Kritik am Zweiklassensystem der österreichischen Gesundheitsversorgung geübt. 

Diese Kritik ist berechtigt. Ich halte es nur für höchstproblematisch, sie in diesem Kontext als zentralen Entscheidungsfaktor zu bringen. Die Darstellung, dass es nicht möglich ist, in unserem Gesundheitssystem in Würde zu sterben, ist inkorrekt.

Erleben Menschen vor einem assistierten Suizid auch ambivalente Gefühle?

Ja – und deswegen ist es auch etwas irritierend, dass das Interview bereits vor dem geplanten Suizid erschienen ist. Da wird quasi kein Raum für Zweifel oder ein Zurückrudern gelassen. Dabei wissen wir aus Studien aus Oregon in den USA, wo der assistierte Suizid bereits länger möglich ist, dass sich rund 50 Prozent der Menschen kurz vor der Einnahme der letalen Substanz noch umentscheiden und diese nicht einnehmen. In der Praxis ist es so, dass in vielen Fällen eine Ambivalenz oft bis zum Schluss vorhanden ist. In diesem Zusammenhang ist sehr problematisch, dass das Interview bereits vor dem eigentlichen Suizid publiziert wurde. Hier wird der Suizid zur Diskussion gestellt und durch das Vorausgreifen auch die Möglichkeit erschwert, sich gegebenenfalls doch noch umzuentscheiden.

Ambivalenzgefühle erleben wohl auch Angehörige in großem Ausmaß …

Es gibt Forschungen, die uns zeigen, dass gerade Angehörige, die ihre Nahestehenden beim assistierten Suizid intensiv begleiten, oft massive innere Konflikte erleben. Einerseits sind sie solidarisch und haben Verständnis für die Todeswünsche, aber sie wünschen sich vielleicht auch, dass es doch anders kommt. Auch in diesem Punkt wird in der Berichterstattung ein romantisches Bild eines scheinbar einfachen Umgangs des Umfelds mit dem Ableben gezeichnet.

Durch das Prozedere vor einem assistierten Suizid soll unter anderem sichergestellt werden, dass der Mensch nicht aus einer depressiven Einengung heraus handelt. 

Es sollte so sein, ja. Aber es ist nicht gesichert, dass das auch immer so passiert. Laut den aktuellen gesetzlichen Bestimmungen muss nur bei einem Verdacht auf eine psychische Begleiterkrankung ein Experte hinzugezogen werden. Hinzu kommt, dass Depressionen an sich oft übersehen werden – und sich diese bei Männern zum Beispiel auch anders äußern können als bei Frauen, was das Risiko des Übersehens weiter erhöht. Darüber hinaus werden auch nicht alle Fakten in der aktuellen Berichterstattung richtig wiedergegeben: Zum Beispiel ist es nicht so, dass es in Wien keine Ärztinnen und Ärzte gibt, die eine Begleitung beim assistierten Suizid anbieten. 

Können solche Berichte schwer kranke Menschen in ihren Überlegungen für einen assistierten Suizid bestärken? 

Das ist anzunehmen. Es wird die Angst vor dem natürlichen Sterbeprozess bedient, und er wird auch abgewertet, was Todeswünsche verstärken kann. In den letzten Lebenstagen können noch wichtige Prozesse im Menschen ablaufen, auch das wird hier ausgeblendet. 

Besetzt man das Thema Suizid insgesamt positiv? Oder ist eine ausreichende Differenzierung erfolgt?

In der Berichterstattung wird schon ein Unterschied gemacht, aber es ist grundsätzlich denkbar, dass sich die Darstellung einer höchstautonomen Entscheidung auf Suizide insgesamt auswirkt. 

Was sind Ihre Empfehlungen für Medien?

Wenn über persönliche Geschichten zum assistierten Suizid berichtet wird, dann sollte die Berichterstattung kurzgehalten werden, um nicht individuelle Lebenswege als einzige Möglichkeit darzustellen. Das Bild, dass assistierter Suizid die einzige Möglichkeit eines würdevollen Sterbens darstellt, ist unbedingt zu vermeiden, ebenso wie Romantisierung. Auf keinem Fall sollten Suizide vor der eigentlichen Durchführung bekannt gegeben werden. Wichtig ist auch, dass psychosoziale Beratungs- und Hilfsangebote angeführt werden, für Menschen in Krisen und auch Angehörige. Trigger-Warnungen helfen laut Studien hingegen kaum, um negative Effekte von Berichten zu vermeiden.

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