Und die Frage von Krediten oder De-facto-Geschenken?
Schellhorn: Meines Erachtens wird ein Kompromiss herauskommen: Ein Teil der Förderungen wird ein Kredit sein, der andere ein nicht rückzahlbarer Kredit, also ein Geschenk – und das ist nicht die schlechteste Vorgangsweise.
Sind Sie d’accord, Frau Blaha?
Barbara Blaha: Wir können uns darauf einigen, dass wir Spanien und Italien helfen müssen. 2009 ist das Gegenteil passiert: Wir haben Griechenland alleingelassen – mit massiven Auswirkungen für Griechenlands Wirtschaft. Gleichzeitig müssen wir uns aber darüber unterhalten, welche Europäische Union wir haben wollen. Ist es eine Familie, in der man einander beisteht? Oder begreifen wir uns als Konkurrenten, die im Globalisierungssprint gegeneinander antreten? Ich gebe noch ein anderes Beispiel: Als Kärnten vor dem Bankrott stand, hat Österreich nicht gesagt: „Ist uns egal, sollen die faulen Kärntner mal schauen!“ Nein, wir sind zusammengestanden. Ähnlich muss das in der EU laufen. Springen wir nicht über unseren Schatten und entwickeln gemeinsame Verschuldungsinstrumente, hat das große Konsequenzen für Österreich – dann würde die Eurozone zersprengt werden.
Schellhorn: Ich sehe das in Teilen ähnlich. Allerdings möchte ich darauf hinweisen, dass private Gläubiger Griechenland 100 Milliarden an Schulden erlassen haben, hinzu kamen EU-Finanzhilfen und Kreditgarantien. Das ifo-Institut in München hat berechnet, dass es in Summe 36 Marshallpläne waren. Meines Erachtens wird Europa in der aktuellen Krise Kredite vergeben, die man später mit einem Schuldenschnitt erlässt. Ich halte das für eine schnelle und gute Lösung. Aber man muss Italien klarmachen, dass es nicht weitergeht wie nach der letzten Krise. Die strukturellen Probleme wurden damals einfach kaschiert. Also: Helfen ja – aber nicht bedingungslos.
Blaha: Bleiben wir bei den Zahlen: Die Italiener haben ihre Staatsschulden zuletzt ganz wunderbar bedient. Und zu Griechenland: Sogar die Financial Times hat ausgerechnet, dass weite Teile der europäischen Hilfen wieder zurückgeflossen sind. Vereinfacht gesagt: Die europäischen Hilfsgelder haben die Deutsche Bank gerettet.
Kommen wir nach Österreich: Die Wirtschaft fährt hoch, aber die Angst der Konsumenten bleibt spürbar. Wie kann man den Konsum stimulieren? Oder müssen wir akzeptieren: Solange es keine Impfung gibt, geht es einfach es auf diesem Niveau weiter?
Schellhorn: Den letzten Satz würde ich als sehr realistisch sehen. Ja, es wird einfach Zeit brauchen. Den Unternehmen fehlen die Kunden, den Kunden fehlt das Vertrauen. Und, solange man das Vertrauen nicht hat, ist alles schwierig. Das Bild ist allerdings gespalten: Nordische Möbelhäuser zum Beispiel werden gerade überrannt, während Gasthäuser oft leer sind. Die Menschen haben offenbar ein Interesse, ihre private Umgebung besser auszustatten, aber man hat wenig Lust essen zu gehen. Was kann die Regierung tun? Klar kommunizieren, was wie lange dauert. Und sie kann den Staat noch besser als Dienstleister aufstellen. Viele Unternehmen haben immer noch kein Geld bekommen.
Was halten Sie von der Abwicklung der Hilfsprogramme?
Schellhorn: Wenn Sie mit Steuerberatern sprechen, zeigt sich ein desaströses Bild. Viele Betriebe stehen vor dem Aus. Die Wirtschaftskammer hat beim Härtefallfonds relativ schnell reagiert, aber es wäre besser gewesen, mehr über die Finanzämter abzuwickeln. Zusätzlich steht die Bankenregulierung im Weg. Eine Bank kann einen vom Staat besicherten Kredit nicht einfach weitergeben, weil sie feststellen muss, ob der Betrieb vorher überlebensfähig war. Die Banker haben Angst vor der Finanzmarktaufsicht, die im Nachhinein kommt und sagt: Ihr hättet den Kredit nicht durchwinken dürfen!
Frau Blaha, wie läuft die Krisenbewältigung – und was halten Sie von den „Schnitzelgutscheinen“, die mancherorts verteilt werden?
Blaha: Im Großen und Ganzen sehen wir, dass das Motto „Koste es, was es wolle“ nicht für alle gegolten hat. Franz Schellhorn sagt völlig zu Recht: Den Menschen fehlt das Vertrauen. Ich füge hinzu: Den Menschen fehlt auch das Geld. Durch Kurzarbeit, durch Arbeitslosigkeit, oder weil ihnen als kleine Einzelunternehmer alle Einnahmen weggebrochen sind. Am Beginn der Krise wurde zu wenig entschlossen reagiert. Das könnte man reparieren, indem man das Arbeitslosengeld anhebt. Wie kann man Vertrauen zurückgewinnen? Wohl nur mit einem entschlossenen Konjunkturpaket. Und zu den angesprochenen Konsumgutscheinen: Das ist tatsächlich eine ungewöhnliche Maßnahme, aber es ist ein wirtschaftspolitisches Instrument, um den Konsum anzukurbeln. Denn ich kann den Gutschein nicht aufs Konto legen. Ich muss ihn verkonsumieren.
Herr Schellhorn, bremst Covid-19 die Globalisierung? Es gibt ja schon Ansagen in Wien und Brüssel, wonach Schlüsselindustrien wie etwa die Pharmawirtschaft wieder zurück auf den Kontinent geholt werden sollen.
Schellhorn: In einigen Bereichen wird es zu größerer Diversifizierung kommen, man wird nicht von einem Standort in China oder Italien abhängig bleiben wollen. Ich glaube aber nicht an eine De-Globalisierung, sondern eher an eine Beschleunigung der Globalisierung. Die Stimmung ist teils paradox: In Deutschland und Österreich profitiert man stark vom internationalen Handel, dennoch gibt es Tendenzen, die an die 1920er erinnern, so eine Art Einkaufswagen-Nationalismus. Ich kann das nicht nachvollziehen.
Blaha: Wenn sogar Liberale wie Macron sagen, wir können nicht alles dem Markt überlassen, dann ist das ein Weckruf. Macht es wirklich Sinn, dass wir jedes strategisch wichtige Gut wie Medikamente über den halben Erdball karren? Corona wird die Globalisierung nicht ungeschehen machen, aber vielleicht tritt ein wenig mehr Reflexion ein.
Frau Blaha, was haben Sie persönlich aus der Krise gelernt?
Blaha: Im Wesentlichen sind es zwei Dinge. Die Corona-Krise zeigt: Wir sitzen nicht alle im selben Boot, die Krise trifft nicht alle gleich. Während Hunderttausende im Maschinenraum arbeiten und in den so genannten systemrelevanten Jobs ihre Gesundheit riskieren, gibt es andere, die die Zeit am Sonnendeck verbracht haben – mit eigenem Balkon, Homeoffice und ohne großes Risiko für die Gesundheit. Diese Menschen haben die Krise mitunter als Entschleunigung erlebt, während andere ihren Job verloren haben. Ich persönlich habe gelernt: Ein Büro aus dem Homeoffice zu führen, ist herausfordernd – aber möglich.
Und Sie, Herr Schellhorn?
Schellhorn: Ein zentrales Learning ist für mich, dass eine Welt ohne Wachstum und globalisierte Handelsströme keine sehr schöne, sondern eine verheerende ist. Bei mir persönlich sind die Widerstände gegen das Homeoffice deutlich schwächer geworden, und mein Respekt für Lehrkräfte hat sich erhöht. Aber ich glaube, dass uns die Angst vor den tödlichen Viren noch Jahrzehnte begleiten wird – auch wenn wir hoffentlich besser vorbereitet sein werden.
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