Das Wahlergebnis für Sebastian Kurz hat historisch einmalige Züge, aber um die Regierungsbildung ist der angehende Kanzler nicht zu beneiden: So lässt sich die Nachwahlanalyse des Politologen Fritz Plasser und des Meinungsforschers Franz Sommer in einem Satz zusammenfassen. „Die Regierungsbildung ist eine komplexe Gleichung“, sagt Plasser.
Sebastian Kurz schaffte einen historischen Rekord: Noch nie hat eine Partei die Konkurrenz derart abgehängt. Der Abstand von Türkis auf Rot beträgt 16,3 Prozentpunkte. Der bisher zweitgrößte Abstand stammt aus 1990. Damals ließ die Franz-Vranitzky-SPÖ die ÖVP 10,7 Prozentpunkte hinter sich. Auch 1995 toppte Vranitzky die ÖVP um 9,8 Punkte.
Aus den Nachwahlanalysen und Wählerbefragungen der Experten lassen sich die Schwierigkeiten, die auf Kurz bei der Koalitionsbildung zukommen, gut ablesen. Sie ergeben sich aus den Grundeinstellungen der Wähler zu wichtigen Themen.
So sind einander die Wähler von Türkis und Blau beim Asyl- und Migrationsthema sehr ähnlich, die türkise
Wählerschaft ist im Vergleich zur früheren schwarzen „akzentuiert nach rechts gerückt“, sagt Plasser.
Am anderen Ende
Betrachtet man die Koalitionsoptionen der ÖVP mit Blau, Rot oder Grün, dann liegen die Einstellungen der Grün-Wähler in vielen Fragen genau am anderen Ende des Spektrums (Grafik). Beim Komplex Migration sowieso, aber etwa auch bei der Frage nach der Bedeutung der hohen Steuer- und Abgabenbelastung. Von 100 Personen, denen dieses Thema wichtig ist, wählen 39 ÖVP, aber nur sechs grün. „Türkis-Grün ist, wie eine Brücke über den Bosporus zu bauen. Da ist eine große inhaltliche Spannweite“, sagt Fritz Plasser.
Die Gefahr, die sich für Sebastian Kurz daraus ergibt, lautet, viele der Wähler, die ihm von der FPÖ zugewachsen sind, wieder zu verlieren. Plasser: „Sollten die Grünen zum Beispiel als Koalitionsbedingung stellen, dass Sebastian Kurz nichts Populistisches im Asylbereich mehr sagen darf, dann würde Kurz mit Türkis-Grün ein großes Risiko eingehen.“
Die Experten glauben, dass der ÖVP-Chef mit Türkis-Rot ein geringeres Risiko eingeht, weil die Wählerschaften dieser Parteien nicht ganz so weit auseinander liegen. Auch deswegen, weil Kurz im Sozialbereich Tabus über Bord geworden habe, was früher in der ÖVP undenkbar gewesen wäre. Plasser: „Bei konventionellen Themen im Bereich Wirtschaft oder der Unterstützung für Niedrigverdiener, auch für Pensionisten, sind die Unterschiede zur SPÖ überbrückbar.“
SPÖ war bis Mai stabil
Ein interessantes Detail erzählt Franz Sommer über die SPÖ. Die Sozialdemokraten hätten sich in den Umfragen über Monate hinweg stabil bei 26 oder 27 Prozent gehalten, mit Pamela Rendi-Wagner seien sie kurz sogar etwas darüber hinaus angestiegen – aber dann kam der Einbruch. Ob es nun die EU-Wahl oder die Ankündigung der Abwahl von Sebastian Kurz war, lasse sich nicht auseinanderdividieren. Tatsache aber sei, so Sommer: „Im Mai ist die SPÖ auf 21 bis 22 Prozent abgestürzt und hat sich den gesamten Wahlkampf hindurch nicht davon erholt.“
Das Drama der SPÖ zeigt sich in den Städten: In ihren großen Hochburgen bricht sie am stärksten ein, die Schleusen zu den Grünen stehen sperrangelweit offen.
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