Höhepunkt des Geburtstagsfests waren Reden des deutschen Philosophen und früheren Kulturministers Julian Nida-Rümelin sowie Vranitzkys eigener Rückblick auf seine Kanzlerschaft (von 1986 bis 1997).
Demokratie ist nicht nur Mehrheitsentscheidung
Thema beider Reden war Demokratie und (Rechts-)Populismus. Rümelin führte aus, dass Demokratie eben nicht auf bloßen Mehrheitsentscheidungen beruhe, wie es Populisten gerne glauben machen: „Es gibt keine Demokratie ohne Rechtsstaat und ohne Minderheitenschutz.“
Vranitzky wurde 1986 nach dem Rücktritt von Fred Sinowatz Kanzler. Die SPÖ regierte damals in Koalition mit der FPÖ. Als Jörg Haider im Herbst 1986 die FPÖ-Spitze stürzte und selbst Parteichef wurde, kündigte Vranitzky die Koalition auf, ging in Neuwahlen und regierte fortan mit der ÖVP. Die Haider-FPÖ wurde für die Sozialdemokratie zum Tabu.
Rechtspopulismus war einmal österreichische Spezialität
36 Jahre später erscheint Vranitzkys damalige Weichenstellung noch gravierender und geradezu gespenstisch vorausschauend. Denn damals galt der Haider’sche Politikstil in der Welt noch als österreichische Spezialität. Man wusste nichts von dem, was noch kommen sollte, von Trump, Marine Le Pen, Salvini, Orban und den Brexiteers.
Seither ist der Umgang mit dem Rechtspopulismus zum beherrschenden Thema für westliche Demokratien geworden. Vranitzky spannt den Bogen anhand einer Anekdote von damals. Der Kärntner Landeshauptmann Leopold Wagner habe ihn 1986 angerufen und gesagt: Er trage Vranitzkys Entscheidung mit, im Bund mit Haider nichts zu machen. Aber in Kärnten brauche er „die FPÖ als Waffe gegen die ÖVP“. Vranitzky habe geantwortet: Die Waffe gegen die ÖVP sollte wohl die SPÖ selbst sein. Die Botschaft des Alt-Kanzlers ist klar: Für Sozialdemokraten gebe es keine guten Argumente, sich mit Rechtspopulisten einzulassen. „Wenn Rechtspopulisten den Rechtsstaat infrage stellen, haben wir als Sozialdemokraten die Möglichkeit verloren, mit denen politisch in die Gänge zu kommen.“
Vranitzky wünscht sich europäische "Gegen-Gipfel"
Dass der amtierende Kanzler Karl Nehammer zu einem Gipfel mit Orban nach Budapest reist und sich dort mit einem Autokraten inszeniert, den auch die Europäische Volkspartei bereits rauskomplimentiert hat, nennt Vranitzky „eine Schande“. Er bedauert, dass solche Auftritte nicht mit Gegen-Events beantwortet werden, die klar machen, was Europa ausmacht.
Kommentare