KURIER: Herr Vranitzky, SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner zitiert Sie gern mit dem Satz „Stürme gehen, Stürme kommen“. Der Sturm, der derzeit über die SPÖ hinwegfegt, scheint nicht gehen zu wollen…
Franz Vranitzky: Wir führen unser Gespräch kurz vor einem richtungsweisenden Ereignis in der SPÖ. Ich bin gefragt worden, was ich mir von der Sitzung am Mittwoch erhoffe. Aber um die Hoffnung geht es jetzt nicht mehr.
Worum geht es dann?
Es geht um eine klare Forderung. In Vorstand und Präsidium sitzen gewählte Vertreter der SPÖ. Und die haben die Verpflichtung, die negative Situation der Partei mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln zu beenden. Es geht nicht nur darum, die Partei zu einen, sondern zu begreifen, warum das wichtig ist, nämlich: Weil eine Nationalratswahl vor der Tür steht. Ziel muss sein, sich für die Wahl so aufzustellen, dass man sehr gut abschneidet. Was ich sage, das geht in den Köpfen all derer vor, denen an der Sozialdemokratie etwas gelegen ist. Egal ob Mitarbeiter, Wähler oder die Bevölkerung im breiten Sinn. Es bedarf einer kritischen Einstellung gegenüber der Bundesregierung und hier vor allem der Volkspartei.
Bleiben wir noch kurz bei der SPÖ: Ist ihrer Ansicht nach ein Parteitag nötig?
Peter Kaiser hat richtigerweise festgehalten, dass der Parteitag die höchste Instanz der Partei ist. Bei der Führung geht es um eine elementare Frage, insofern halt ich einen Parteitag für richtig.
Sie haben die SPÖ-Chefin immer verteidigt. Ist sie die beste Kandidatin für die Wahl?
Pamela Rendi-Wagner wurde auf dem Welser Parteitag gewählt. Dass nicht alle, die sie mit fast 100 Prozent gewählt haben, sie später zu 100 Prozent unterstützt haben, bedaure ich. Mehr will ich dazu nicht sagen.
Sie haben eingangs von einer kritische Haltung gegenüber der ÖVP gesprochen. Was genau meinen Sie?
Unter anderem das europäische Einigungsprojekt. Europa beruht auf vielen Grundsätzen. Einer davon ist das Bekenntnis zur liberalen Demokratie. Daher ist jede übereinstimmende Beziehung zu einem Vertreter einer „illiberalen Demokratie“ kontraproduktiv für die gemeinsame Idee, unseren kleinen Kontinent in der Kampfzone der Großen zu stärken.
ÖVP-Kanzler Karl Nehammer würde antworten: Aber man muss mit Viktor Orban doch im Gespräch bleiben – immerhin ist er unser Nachbar!
Ich verstehe das Argument. Aber man kann ja nicht behaupten, mit Budapest und Warschau werde nicht geredet. Ich orte hier einfach eine massive Gefahr: Wie will man den Bürgern in Europa und Österreich klar machen, dass die repräsentative, liberale Demokratie mit Gewaltentrennung und Meinungsfreiheit unverzichtbar ist, wenn man gleichzeitig akzeptiert, dass sie in einzelnen Mitgliedsstaaten ignoriert wird? Krankheiten und politische Unzulänglichkeiten halten sich nicht an nationale Grenzen. Ihnen muss Einhalt geboten werden. Und das ist eine Frage der politischen Führung.
Können Sie mit dem Begriff der „wehrhaften Demokratie“ etwas anfangen?
Natürlich. Die europäische Politik, von der wir reden, muss sich sehr genau darauf einstellen, die Demokratie zu verteidigen. Das sehe ich im Großen, das Stichwort Ungarn ist gefallen, wie auch im nationalen Zusammenhang. Verschwörungstheorien, Identitäre, Reichsbürger: All diese Bewegungen im Auge zu haben, die Fakten und Wissenschaft leugnen und sich unter Umständen sogar militant gegen andere Menschen und Bewegungen stellen, ist eine Kern-Aufgabe der Politik.
War Politik zu ihrer Zeit einfacher?
Das kann man so auf keinen Fall sagen. Der Öl-Schock in den 1970ern war gewaltig - nur eben nicht verbunden mit einem Angriffskrieg wie jetzt. Auch gab es die ständige Angst vor einem Atomkrieg, denken Sie an die Kubakrise. Und vergessen wir nicht den Jugoslawien-Krieg. Es war nie so, dass sich die Politik gemütlich zurücklehnen konnte. Was stimmt ist, dass die Politik angesichts der Digitalen Revolution vor neuen Möglichkeiten – aber auch Gefahren – steht.
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